Blau

Die Gedanken fangen zu blauen an,
so wie der blaublühende Enzian,
wenn ohne Blaufilter der Bildschirm läuft,
du, bereits blau, einfach weiter säufst,
sich im Kochtopf das Blaukraut erhitzt,
mit Blaulicht ein Löschzug durch Straßen flitzt,
im Kinderkanal Käpt’n Blaubär singt,
eine Blaumeise mit dem Wurme ringt,
der Blaufalter in der Blautanne sitzt
und Lieschen heimlich Blaubeer’n stibitzt,
Jahn, weil blau machend, im Bette verweilt,
der Hauswart, im Blaumann, vorübereilt,
das Radio den Blauwal vor Grönland erwähnt,
jemand das Märchen vom Blaubart erzählt,
blauäugig Marie sich verführen lässt,
ein Schatzsucher auf blaue Saphire stößt,
Grafen blaublütige Gräfinnen freien,
Lotsen beflissen zum Blaufeuer eilen,
der blaue Klaus Bad Kreuznach umrundet
ein UFO den blauen Himmel erkundet,
das blaue Frühlings-Band* lustig flattert,
ein Blauhelmsoldat den Heimflug ergattert,
der Fritz sein blaues Auge versteckt,
hinter der Brille, dunkel bedeckt,
die Blaupause auf dem Schreibtisch liegt,
der Chef zur Blauen Lagune fliegt,
der Tag in der blauen Stunde endet
und im Mitternachtsblau man die Sterne findet.

(*nach E. Mörike)

© Cornelia Stößel 2021 / Juli

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Strichweise Regen

Das Bild zeigte eine grüne Wiese. Darin einige wenige Maulwurfshügel. Keine Blumen. Einen Fluss, dessen Wasser aufgewühlt, weiß schäumend dahin strömte. Eine Weide vom Wind gepeitscht, die sich von rechts ins Bild neigte. Darüber ein Himmel, grau-wolkig verhangen. Im Geäst einer Eiche, die mittig im Bild wuchs saß eine Eule. Zerzaust und pitschnass das Gefieder. Etwas Rätselhaftes lag im Blick des Vogels.

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MÄNNLICH

„Blut, verdammt viel Blut! Dich muss jemand wirklich gehasst haben!“, dachte Kommissar Heinrich laut. „Sehen Sie sich das mal an!“, unterbrach Meyer von der Spurensicherung die Überlegungen des Kriminalbeamten und erklärte etwas umständlich die Besonderheiten eines Reifenabdruckes auf dem schmalen Waldweg. Unterdessen wurde der Reißverschluss über der männlichen, bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leiche geschlossen.

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Walpurgisnacht

Maiglöckchen in Töpfen, der Waldmeister in bauchiger Schale, herausragend, voll und weiß blühend, duftend im Vergehen. Dazwischen, gepflanzt, Geranien die ihre feuerwehrroten Köpfen stolz und hoch erhoben. Eher schamhaft verborgen blühten einige Veilchen in einem niedrigen Kübel. Pflanzerde „Die Feinste“ stand versackt am hölzernen Balkongeländer. Eine Blumenampel, bestückt mit Petunien, schwankte. Unter dieser lag eine junge, durchaus attraktive Frau. Ein Besen lag drei Stockwerke tiefer auf dem Rasen des Herrn Schmidt. Schmidt mit dt – wie Damentoilette. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass besagter Rasen erklärter Kampfplatz war. Die Gegner: Herr Schmidt und Friedolin Grabowitz. So hatte ich den Maulwurf genannt. Doch zurück zu der Dame auf meinem Balkon. Sie lag auf dem Rücken, wie ein Käfer die Beine, hübsche Beine – ihr knallbunter Rock war verrutscht –, also die Beine lagen auf den Balkonstühlen. Das heißt der rechte lag auf dem Balkonstuhl zu ihrer Rechten, der linke unter dem Balkonstuhl zu ihrer Linken und sie stöhnte, die Frau, und rollte immer wieder die Augen. Ein unnatürliches Rollen. Ihre Arme, einer links in den Maiglöckchen, meinen Maiglöckchen, der andere rechts im Waldmeister, meinem Waldmeister! Als ich an diesen Abend also auf den Balkon trat, meinen Balkon, traute ich zunächst meinen Augen nicht. Ich dachte, das sei wieder ein makaberer Scherz der Studenten aus der Wohnung über mir. Die Hanfzucht auf deren Balkon, war jedoch keineswegs so ertragreich, dass ein derartiger Absturz damit zu erklären wäre. Zunächst verärgert wegen abgebrochener Maiglöckchen und dem zerzausten Waldmeister besann ich mich schließlich und fragte die Person nach ihrem Befinden. „Mein Besen!“, stöhnte sie nur. „Besen?“, echote ich ungläubig. In den zwei Jahren, seit die Studenten-WG über mir in die Wohnung eingezogen war, hatte ich nie! Wirklich Nie! jemanden mit Besen oder ähnlichem für die Hausarbeit notwendigem Gerät hantieren sehen. „Sind sie nicht aus der Wohnung?“, fragte ich und deutete mit der Hand nach oben. Mühsam schüttelte die Person den mit einer Fülle roter Locken umwölkten hübschen Kopf. „Höher!“, stöhnte sie. Jetzt kniete ich mich doch an ihre Seite und griff nach ihrer Hand. „Haben Sie sich etwas gebrochen?“, wollte ich wissen. „Ich glaube es nicht!“, bekam ich zur Antwort. Ich bot mein Hilfe an um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Mühsam, doch mit vereinten Kräften gelang es und schließlich saß sie in dem bequemen Korbsessel in einer Ecke meines Balkons. „Geht es?“ und eine kurze Entschuldigung murmelnd eilte ich davon. Das Glas Wasser, das ich ihr kurz darauf reichte, lehnte sie allerdings ab. „Tee, Engelwurz und Arnika!“, hauchte sie noch reichlich erschöpft. Und ob sie hier nicht bei Ludowika sei, wollte sie wissen. Ich überlegte. Im ganzen Haus gab es niemanden mit diesem Namen. „Warten Sie!“, befahl ich entschlossen. Im Küchenschrank befand sich eine Flasche Whiskey. Ich schenkte ein Glas ein und reichte es der Person. Sie runzelte die Stirn. „Engelwurz in Alkohol!“, behauptete ich. „Altes Rezept meiner Großmutter!“ Sie trank. Hustete. Rollte die Augen, kniff sie zu, rang nach Luft und verlangte mehr von dieser Medizin.

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