Monika Schau
Bisweilen ist es notwendig, den eigenen Horizont zu erweitern. Ob das jetzt geographisch gemeint ist oder intellektuell – beides ist wichtig. Und man lernt ja immer noch dazu, unabhängig vom Alter. Man muss sich nur trauen.
Angefangen hat alles mit einer Kochsendung von Vinzent Klink. Er ist für mich der Einzige, den ich 30 Minuten ertragen kann. Er ist so normal und bodenständig und er kocht das, was auch die regionale Küche auszeichnet. Die Auswahl seiner Zutaten sind von ausgezeichneter Qualität und er teilt alles so unprätentiös mit, dass es eine Freude ist.
In einer Sendung vor ungefähr einem Jahr sprach er über Bistrogerichte in Frankreich und er meinte, zu jedem Essen gäbe es frisch gebackenes Baguette, das in der Qualität so hervorragend sei, kein Vergleich zu dem ‚sogenannten Baguette‘, das allenthalben in Deutschland angeboten würde. Dann wurde noch ein kleiner Film über einen Baguettekurs an der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim gezeigt. Am nächsten Tag war ich dort angemeldet.
Da ich für meine Kunden kein Baguette mehr in Bamberg von dieser Qualität bekam, das ich anbieten konnte, musste ich also selber ran. Der einzige Bäcker, der mir ordentliche Baguette anbot, machte zu, aber er verriet sein Rezept natürlich nicht.
Sie werden jetzt sagen, der oder jener Bäcker macht doch auch gute Baguette. Aber wie ich schon oft erwähnte, man kann sich auch an nicht so optimale Nahrungsmittel gewöhnen und dann kann man gar nicht mehr beurteilen, wie etwas eigentlich schmecken sollte.
Das erste Modul habe ich jetzt hinter mir und ich hatte ordentlich Bammel davor, in Weinheim aufzutauchen, waren da nur Vollprofibäcker am Werk. Zum Glück habe ich seit meiner Anmeldung, also ein Jahr lang, geübt. Und hier muss ich mich bei all meinen Nachbarn und Freunden einmal ganz herzlich bedanken. Sie haben mich mit ihrer positiven Kritik unterstützt, weiter zu experimentieren und nicht aufzugeben.
Nun erwartete mich das zweite Modul: am Institut National de la Boulangerie in Rouen in der Normandie. Dort bekam man praktische Demonstrationen vorgeführt und musste auch selbst Hand anlegen. Wieder ein neuer Lernprozess, nicht nur für mich.
Wir stellten wie schon in Weinheim unter Leitung von französischen Bäckern Baguette nach verschiedenen Herstellungsmethoden her. Natürlich stand für mich die Baguettetradition im Mittelpunkt. In Frankreich, wo man auf Tradition noch sehr viel Wert legt, darf das (eigentlich ‚la‘, also ‚die‘) Baguette traditionell nur in Läden verkauft werden, wo es vorbereitet und gebacken wird. Also kein Filialenverkauf und schon gar nicht gefroren aufgebacken. Diese Bäckereien haben dann auch die Bezeichnung „Boulangerie tradition“ verdient.
Allein das Mehl ist im Vergleich zu unserem absolut verschieden.
Nicht nur, dass es andere Typenbezeichnungen gibt, das Mehl lässt sich besser als unseres für die französischen Teigwaren verarbeiten. Beim Weizen zum Beispiel, wie mir die beiden netten französischen Bäckermeister in Weinheim erzählt haben, die den Backkurs für Baguette tradition abhalten, sind die Unterschiede schon beim gemahlenen Mehl allein in der Farbe zu erkennen. Das hängt natürlich vom Terroir ab, denn auch hier bestimmt das Anbaugebiet, ähnlich wie beim Wein, beim Olivenöl, beim Gras, auf dem die Kühe weiden, und so auch beim Getreide, wie etwas schmeckt. Das sind die speziellen Bodeninhaltsstoffe, die je nach Mineralstoffen und mineralischen Salzen einen entsprechenden Geschmack an die Nahrungsmittel abgeben.
Das französische Mehl wird nicht nur anders gemahlen, sondern geht – das probiere ich momentan mit diesem Mehl aus – auch ganz anders auf. Es gibt eine schönere Kruste und auch ohne Zusatzstoffe, auf die ich von vorneherein verzichtet habe, ist es leicht und luftig – eben wie es sein soll. Mehl, Wasser, Salz, ein wenig Hefe und eine lange Garzeit sind ausschlaggebend für das Baguette tradition.
Aber dazu hat ja hierzulande keiner mehr Zeit. Die Leute kaufen es in Backshops und sogar an der Tankstelle.
Das war der Grund, etwas länger in dieser Gegend zu verweilen. Daher kann ich Ihnen jetzt einen Eindruck geben von Regionen und Essen in der Normandie.
Die Küche der Normandie
Die Regionalküche der Normandie ist vor allem landwirtschaftlich geprägt. Vieh- und Milchwirtschaft und der Apfelanbau sind die wichtigste Einnahmequelle der Bevölkerung und das spiegelt sich natürlich auch im Speiseplan wider. Die normannischen Küche hat viele Rind- und Kalbfleischgerichte. Sahne von glücklichen Kühen, Butter und Äpfel sind die wichtigsten Zutaten für die bodenständige Küche der Normandie.
Die für die Region typischen Gerichte sind u.a. Ente mit Blutsauce (Canard au Sang), Kutteln (Tripes) und Lammkeule (Gigot de pré-salé) von der ‚Manche‘, also am Ärmel-(Kanal), wo das Fleisch der Lämmer ähnlich den Rindern einen leicht salzigen Geschmack hat. Hier gibt es natürlich auch den Queller, in Frankreich Paspierre genannt, über den ich einem früheren Bericht geschrieben habe. Berühmt sind auch die Duclair-Entchen (Caneton), Hühnchen (Poulet) mit kleinen Zwiebeln in der Vallée d’Auge. Die Kaldaunenwurst (Andouillette) ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack. Sie wird aus Därmen mit Fleischfarce oder auch ohne gemacht. Wer Kutteln nicht verabscheut, sollte sie probieren. Dann gibt es die Blutwurst (Boudin noir), die auch manchmal Apfelstückchen enthält und die Weißwurst (Boudin blanc). Eines der leckersten normannischen Fleischgerichte ist das Kalbskotelett nach Art der Vallée d’Auge (Côte de Veau Vallée d’Auge). Das Kotelett wird in Butter angebraten, mit Calvados abgelöscht und dann mit Cidre und Crème fraîche geschmort.
Zu den Spezialitäten der Normandie zählen unter anderem Poulet Vallée d’Auge au Cidre (Huhn mit Cidre), Miesmuscheln à la Crème, Kabeljau mit Apfelsauce, Miesmuscheln mit Rahmsauce. Als Dessert werden häufig Gerichte aus und mit Äpfeln gereicht wie zum Beispiel in Teighüllen gebackene Apfelringe oder dünne Apfeltartes.
Man fährt durch weite Landstriche mit Äckern und Weiden, auf denen wirklich glückliche Kühe stehen.
Durch die weit verbreitete Milchwirtschaft gibt es in der Normandie nicht nur eine hervorragende Milch. Die Hollsteiner und die normannischen Kühe werden auf den Weiden gehalten, deren Gras schon allein durch die Meeresluft leicht salzig ist. Die Butter aus Isigny, ein fruchtbarer Landstrich an der Baie des Veys gelegen, wird sogar durch die AOC (Appellation d’origine contrôlée) geschützt.
Wie auch beim Käse, der ja aus der Milch entsteht, sind dabei die Jahreszeiten sehr wichtig. So gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen Frühlings- und Winterbutter, zwischen dem Käse, der im Frühjahr (in Italien der Marzelino) oder im Winter entsteht. Durch die verschiedenen Futtersorten – Heu oder frisches Gras – entsteht eine ganz andere Butter, die sich nicht vergleichen lassen. Gut, es gibt auch bei uns noch – selten genug – die Landbutter, die aus nicht pasteurisierter Milch gemacht wird. Aber wir kennen ja im Allgemeinen nur eine standardisierte Allerweltsbutter, die keimfrei und streichfähig ist und auch bei längerem Liegen nicht ranzig werden kann. Da werden eben die Kühe nicht im Winter mit Gras von den umliegenden Wiesen gefüttert, sondern bekommen halt Silofutter.
Hier in der Normandie gibt es noch die ‚gute Butter‘. Was das ist? Also in meiner Kindheit hat man noch den Unterschied gekannt. Die schlechte Butter war dann Sanella und Rama, also aus Öl hergestellt.
Die Crème fraîche ist eine dicke, leicht säuerliche Sahne und passt zu allen Gerichten, seien es Eier, Fisch, Geflügel oder Kalbfleisch oder eben auch zu Fisch und Muscheln. Die entstehende Sauce wird Sauce normande genannt.
Durch die hervorragende Milch gibt es zahlreiche Käsespezialitäten. Der weltberühmte Camembert kommt aus der Normandie. Der beste heißt Pont l’Evêque und wird im Landstrich Pays d’Auge aus kuhwarmer Milch auf dem Bauernhof hergestellt. Der Livarot ist kräftiger und wird aus abgestandener Milch gemacht. Der Neufchâtel, ein Bauernkäse, kommt aus dem Pays de Bray und wird gerne auch in Herzform angeboten. Alles sind Rohmilchkäse. Bei uns gibt es sie auch, allerdings hauptsächlich aus pasteurisierter Milch. Ein Unterschied wie Tag und Nacht!
Ziegenkäse gibt es in den verschiedensten Formen und Reifegraden. Der kommt aber von weiter her, denn: „Nous avons seulement le vaches“, wie mir ein Käsehändler in den Markthallen von Rouen sagte. Das Angebot ist für uns unvorstellbar.
In der gesamten Normandie, insbesondere aber im Pays d’Auge zwischen Caen und Rouen, dort wo die Vache normande auf den Wiesen unter Apfelbäumen weiden, werden Äpfel für eine Spezialität der Normandie angebaut. Die sind jedoch weniger zum Essen gedacht, sondern werden hauptsächlich aus verschiedenen Apfelsorten für den Apfelwein aus der Normandie, dem Cidre, verwendet. Cidre artisanal, also handwerklich hergestellter Cidre wird in Champagnerflaschen abgefüllt und mit Naturkorken verschlossen.
Geschmack und Charakter des Cidre fallen je nach Region und Produzent unterschiedlich aus
Aus dem Cidre wird in der Normandie der Calvados gebrannt. Da zieht oft noch immer ein Brenner, der bouilleur de cru, mit seinem Destillierofen, der am Auto hängt, dem alambic à colonne, von Hof zu Hof. Es sieht aus wie ein vorsintflutliches Gefährt. Der Cidre wird oben eingefüllt, dann fängt der oft tagelange Brennvorgang statt. Was wasserklar herauskommt, wird in alte Eichenfässer aus dem Limousin eingefüllt und ruht oft jahrelang im Keller, bis er eine goldgelbe Farbe vom Holz des Fasses angenommen hat und für gut befunden wird. Nach fünf Jahren gilt er noch als jung, nach 12 Jahren erhält er das Qualitäts-Etikett Hors d’Âge. Bei der Lagerung im Fass verdunstet immer ein Teil des Calvados. In Frankreich nennt man das – la part des anges. Bekannter ist das vielleicht beim Whiskey, da heißt es Angel’s share.
Calvados trinkt man meistens als Verdauungsschnaps, als Digestif. Daneben gibt es noch das ‚trou normande‘, das normannische Loch. Bisweilen wird schon zwischen den Gängen eines Menüs Calvados aufgetischt. Cidre und Calvados gemischt, ergeben den in der Normandie sehr beliebten Aperitif namens Pommeau (pomme = der Apfel). Zum Abschluss eines jeden Essens und auch zwischendurch trinkt man gerne einen Calva. Das ist ein Kaffee mit Calvados, ähnlich dem Corretto mit Grappa in Italien.
Nächsten Monat gibt es die Fortsetzung meines Berichtes. Dann sprechen wir über die Küstenregion, normannische Kirchen und – wie könnte es anders sein – über die Vielfalt in Fischläden, den Charcuterien und den Pâtisserien.
Bis dahin wünsche ich Ihnen eine schöne Frühlingszeit. Ihre Monika Schau
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Monika Schau schreibt jeden Monat für die Leser der Bamberger Online Zeitung. Jedes Mal ein Mix aus Orts- und/oder Volkskunde und ein Fest für die Sinne – Lebensart eben. Ende Dezember widmete sie sich den Rauhnächten mit den vielerorts vergessenen Traditionen und den unvergessenen Gerichten. Erst im Mai stellte sie Junges Gemüse vor mit einer Grünen Frankfurter – nein! – Bamberger Sauce. Im April entführte sie uns nach Budapest und in die dortigen Markthallen, rezitierte das Revolutionsgedicht von Sandor Petőfi und reizte die Sinne nicht nur mit Mohnstrudel. Bereits im Februar wollte sie mit dem Winter ade-Menu und einem Vorwort zum Pferdefleisch ins Frühjahr starten und erzählte uns für die Nachspeise etwas über Cedri. Zuvor waren wir mit ihr in Venedigs Karneval und Leckereien. Das Jahr 2013 begann mit Gaumenschmaus und Seelenfutter – Die Küche im Wiener Kaiserreich, einem Januar-Menue aus Rinderbrühe, dem perfekten Wiener Schnitzel und Palatschinken. Das Jahr 2012 schloss mit einem typisch fränkischen Dezembermenü: A ganz a schööns Gänsla. Wobei natürlich das Gänseschlachten mit einem Schluck zur Stärkung zwischendurch zelebriert werden muss. Zuvor wurden unsere Leser schon mal vorbereitet Die Sau ist tot. Mit der Kochschule der Besseresser ist Monika Schau bekannt. Die Herbst/zeit/lose Gerichte sind ja nicht ganz so herbstzeitlos, wenn man Kürbis, Steinpilze und Spitzkraut bedenkt. Monika Schau gab bislang auch Tipps für Gerichte, bei denen es wohl nicht für Alle eine Freude ist, sie nachzukochen und vor allem zu essen. Es gibt nämlich nur wenige Kochbegeisterte, die sich an solche Gerichte überhaupt rantrauen: Das Unessbare auf den Tellern hat einen Namen: Innereien. Im vergangenen September zitierte sie Lea Linster, eine der besten Köchinnen Luxemburgs: Wenn Du das Huhn, das Du in die Röhre schiebst, nicht liebst — lässt es Dich im Stich. Im Sommer entführte sie uns in die Cuina Catálan: Unser Sommermenü: Mar y muntanya / Meer und Berge. Ihr Eingangsmenu bei der OnlineZeitung stammte ebenfalls aus der Kochschule für Besseresser: Die neue esS-KLASSE. Im Sommer empfahl sie als Sommermenue: Barbecue mit fried green tomatoes und Kritisches zum Junkfood, entführte unsere Leser in die Kellerzeit und nach Ligurien – Das Land wo die Zitronen blühen.
Im September ging es in die Provence: Baguette, Bouillabaisse mit Rouille und danach Tarte tatin. Überall ist jetzt von Queller die Rede, im Oktober auch bei uns Gaumenkitzel. Herbstliches Seelenfutter Wissen Sie, dass Kartoffelbrei glücklich macht? Natürlich selbst gemacht und nicht aus der Packung. In “Gessn werd daham” eine Liebeserklärung an – was wohl? Das Menu zum Frühjahr In Cod We Trust(ed) bietet neben Rezepten für Fischklößchen, Kabeljau in Senfsauce sowie die Anleitung einer Court Bouillon und einer Aprikosensuppe mit Schokotörtchen wieder allerhand Wissenswertes über das Drumherum. Und natürlich geschmückt wieder mit eigenen wunderbaren Photos. Zu Beginn tangiert sie das Thema Überfischung vor Neufundland.
Monika Schaus Ausflüge in die Welt der Kulinaria sind, ein ums andere Mal, arg kundig und sehr lebendig geschrieben. Sie lohnen der Lektüre – und der Mühe, so es denn eine ist, des Nachkochens.
Mit die beste Butter überhaupt wird im übrigen von Jean-Yves Bordier in Saint-Malo hergestellt. Die Milch kommt aus der Bretagne und der Normandie.
Und Vincent Klink vermag nicht nur zu kochen, sondern auch zu schreiben und zu musizieren. Der Name seines Stuttgarter Restaurants ist eine Verbeugung vor Christoph Martin Wieland.