Christiane Hartleitner
In seinen neuen Arbeiten „Coquille II“ bildet Bernd Wagenhäuser den Fond, das Destillat seiner Arbeiten in kleiner feiner Form.
„Das Geheimnis liegt in der Sauce …“
Bei den Cineasten unter Ihnen wird jetzt vielleicht ein Glöckchen klingeln, denn es ist ein Zitat aus dem Film Fried Green Tomatoes at the Whistle Stop Café, der nach dem gleichnamigen Roman von Fannie Flagg von 1987 gedreht wurde (an dieser Stelle als Filmtipp: Grüne Tomaten).
Ein Zitat, das auf die besondere Bedeutung von Saucen (zugegeben, in diesem Fall mit makabrer Konnotation) abzielt und die Bedeutung des Sauciers, also desjenigen einer Küchenbrigade, der gleich nach dem Chef die bedeutendste Rolle einnimmt.
Wie komme ich darauf? Wie im Film, wo zwei Erzählstränge miteinander verwoben und somit Spannung und unterschiedliche Sichtweisen aufgebaut werden, müssen wir uns – wenn wir uns um die Kunst von Bernd Wagenhäuser bemühen – auch mehrerer Erzählstränge bedienen, um zum Kern zu gelangen bzw. zum Ganzen. Man kann es auch das Destillat nennen, oder die Sauce …
Wir können die neuen, eher kleineren Werkstücke „Coquille II“ von Bernd Wagenhäuser nicht verstehen, ohne einen Gedanken an seine großen Skulpturen und somit an seinen Werdegang zu verwenden. Bis zum ersten Besuch vor einem Jahr in seinem damals neu eingerichteten Atelier kannte ich hauptsächlich seine mächtigen Arbeiten, die ganze Plätze und Straßenkreuzungen verwandeln (Bernd Wagenhäuser – der Stahlwerker). In Bamberg vor allem die Großplastik am Markusplatz von 1996 und der Skulpturenpark in der Mußstraße vor dem Welcome Hotel.
Auch eine seiner jüngsten, großen Arbeit kann das, einen Platz prägen: die Skulptur im Hof in der Gertraudenstraße 10, die bis vor kurzem und leider nur für kurz an der Kreuzung zwischen Kettenbrücke und Königstraße stand und sich in die Baulücke neben ein Eiscafe schob. Aus einiger Ferne ließ sie sich bestaunen: Uns Betrachter versetzte sie in die Rolle eines Tauchers, der im Wellenschlag des Wassers eine leicht mäandrierende Alge beobachtet. Besonders wenn des Nächtens die Beleuchtung das ihre dazu tat – dann scheint sie sich fast zu bewegen. Der Straßenzug der heutigen Königstraße ist einer der ältesten unserer mittelalterlichen Stadt, damals noch als Steinweg bezeichnet. Eben eine der wenigen mit Steinen befestigte Straße, die entlang des wichtigsten Handelswegs von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer die Händler nach Bamberg zog, attraktiv allein wegen der Route, vielleicht nicht zuletzt dank der Gastlichkeit und der zahlreichen Brauereien, die es nachweislich damals schon gab.
Längst ist die Straße geteert und Einbahnstraße. Biegen wir in Richtung Insel ab, wollen den Weg über die Kettenbrücke nehmen, fiel seit den Lichthöfen der Blick auf diese Lichtinstallation. Lenkt den Blick nach oben, ohne einen festen Punkt oder gar ein Ende zu finden. Zwangsläufig wandert er ganz nach oben, gen Himmel. Schweift unterwegs ab, denn die Form wird ja weiter. Daher verengt sich der Blick nicht, sondern wird breiter, öffnet sich. Der Blick blieb unterwegs an den Barockbauten hängen und den modernen Anbauten im hinteren Bereich des Deutschen Hauses und sogar an den Ersatzbauten aus den 50er Jahren. Und zu all jenen Bauten aus den unterschiedlichen Jahrhunderten passt diese Skulptur aus glänzendem, poliertem Stahl. Das bestätigt mich als Denkmalpflegerin, die wir ja für moderne Zutaten im überkommenen Bestand mit modernen Materialien plädieren.
Bamberg ist derzeit prächtig ausgestattet mit modernen, platzbildprägenden Skulpturen. Auch der „Philosoph“ von Plensa zieht den Blick nach oben, doch nur bis zu seiner Plattform, auf der ein Hockender reichlich in sich gekehrt uns keinen Blick gönnt. Man mag überlegen, was in seinem Kopf vor sich geht, beschaut er uns Vorübergehende. Allerdings ohne Reaktion – nur ein Wort hier und da – außer dass er des Nächtens farbig von Innen leuchtet. Das ist auch schön, seine Farbe wird von den umstehenden Gebäuden reflektiert, an seinem einzigen Standort sogar von den Wassern der Regnitz. Doch gelingt es ihm, den Blick auf das Drumherum zu öffnen? Die Skulptur ist reichlich introvertiert, womit keineswegs eine Wertung gemeint ist, lediglich eine Beschreibung. Seit dem vom Künstlerhaus Villa Concordia organisierten Skulpturenwegen dürfen wir uns in unserer schönen Stadt mit solchen Gedanken auseinandersetzen.
Im vergangenen Jahr hatte ich den Wunsch nach einer dynamischen Skulptur von Wagenhäuser am Kreisel am Wilhelmsplatz geäußert. Der Kreisel ist nicht nur Verteiler der Verkehrsströme, sondern auch zentrierender Punkt der Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts vom Schönleinsplatz zum Main-Donau-Regnitz-Kanal hin. Dieser Ort bräuchte eine Skulptur, die sowohl nach innen als auch nach außen wirken kann. Eben in alle Richtungen. Die in ihrem Material als modernes Pendant zu den sandsteinernen Fassaden des Historismus wirken kann. Tatsächlich wurde ich mehrfach auf diese Vorstellung angesprochen – es würde dem Platz gut tun. Vorstellbar wäre die Lichtinstallation von der Kettenbrücke, sie hat alles, was dieser Platz benötigt: Allansichtigkeit, Fähigkeit des Zentrierens, Offenheit nach oben, modernes Material. Es wäre eine echte Bereicherung.
Die für kurze Zeit platzbildprägende Skulptur an der Kettenbrücke scheint das Gegenstück ebenjener zu sein, die im geliebten und bei Manchem so missachteten Kesselhaus aus dem Trichter hing. Ein gewaltiger Anblick, der den Dampf des Kessels beim Waschen der verschmutzten Wäsche aus dem Krankenhaus reinigte. Der Druck im Kessel, die hohen Temperaturen, das Stampfen der Turbinen, sogar die hochrot erhitzten Köpfe der Wäscherinnen waren augenblicklich präsent. Ich vermisse sie und wir sollten einiges tun, wenn nicht gar bürgerlichen Ungehorsam üben, um dieses Kesselhaus zu halten.
Ich habe Wagenhäuser im Hinblick auf diese mächtigen Arbeiten den „Stahlwerker“ genannt. Feuer, Stahl, Härte, Rostbeständigkeit, Verformbarkeit, Walzen. Beim Schweißen fließt Schweiß, es ist Schwerstarbeit, wenn die Form erst gefunden ist.
Das ist – um kurz zu unserem zweiten Erzählstrang zurückzukommen – in einer Großküche ja nicht anders. Da werden waschkörbeweise Gemüse verarbeitet, säckeweise Kartoffeln, literweise Olivenöl, kiloweise Fleischbrocken. Zur Zubereitung eines Mehr-Gänge-Menüs wird in einer Küche geschwitzt, Messer gewetzt, geschnitten, filetiert, gehobelt und durchgedreht.
Im Atelier zurück, dürfen wir ein Blick auf ein frühes Werk werfen: diese wunderbare Säule „Walk about“. Auf der Eindrücke einer Reise nach Mexiko verarbeitet, Anlehnungen an frühamerikanische Vorgeschichte und deren Symbole sind vereinfacht, doch offensichtlich. Aufgewickelt einem Textil gleich, auf Walzenform gebannt und doch losgelöst, weil Teile entnommen, weiter verarbeitet und wieder eingefügt. Die Serie “Das verlorene Fragment” als Branddruck auf Büttenpapier ist eine mächtige und zarte Arbeit zugleich.
Nun sind wir fast dort, wo ich eigentlich mit Ihnen hinwollte, nämlich bei den kleineren, aber nicht weniger wirkmächtigen Arbeiten: „Coquille II“
Vor über 3 Jahrzehnten begann Wagenhäuser bei geometrischen Formen, bei Kreis, Zylinder, Ellipse. Zahlreiche Variationen der Grundkonstruktionen begegnen sich, in Reinform, bisweilen verschränkt und verknüpft, in Teilen ausgespart, manchmal gebogen und durchbrochen. Die geometrischen Elemente nähern sich einander, gehen eine Verknüpfung ein. Bereichern und lösen sich.
Diese Vorgehensweise der Verschränkung begegnet uns auch hier wieder. Das Ineinandertauchen der Einzelteile. Woher das kommt?
Vielleicht sollten wir uns zuerst eine andere Frage beantworten, nämlich die, woher hat er die Teile, die Einzelteile? Und hier kommt der Saucier wieder ins Spiel. Sie sind Teile der großen Arbeiten. Wie ein kluger Koch, der bei der Zubereitung eines Mehr-Gänge-Menus das innere Knochengerüst und die Innereien u n b e d i n g t aufbewahrt. Ein kluger Koch hebt sich diese Schätze auf und macht daraus in einer stillen Stunde, wenn die Gäste längst satt und gegangen, die Teller gespült und die Hektik verflogen, eine Sauce. Dann wird zelebriert. Nochmal Gemüse ausgesucht, Gewürze im Mörser gemahlen, das gute Fleur du sel hinzugetan. Hier beginnt die Feinarbeit. Und hier zeigt sich die Kunst des Kochens. Hier beginnt der Sterne-Koch …
„Das Geheimnis liegt in der Sauce …“
Den neueren Arbeiten ist die Durchdringung der Geometrie anzumerken. Und doch schwingt die Weiterentwicklung durch dynamische Aspekte mit. Bisweilen ist sie Dynamik pur. Die Oberfläche von „Coquille II“ aus Cor-Ten-Stahl ist bewusst nochmals aufgeraut, um sie altern lassen zu können. Nach der Bewitterung – sie hingen alle schon mal draußen im Hof – zeigt sich die Patina als Reaktion auf die Umwelt.
Der Werkprozess wird gerade an diesen kleinen Arbeiten überdeutlich. Und in diesem Format sind sie natürlich auch endlich mal geeignet für den privaten Kunstfreund.
Die Verknüpfung mit der Küche ist im Atelier Wagenhäuser augenfällig. Ich möchte Bernd nicht als Saucier bezeichnen – aber den Vergleich mit dem Standing eines Sauciers in einer Küchenbrigade muss er nicht scheuen: ein Saucenkoch ist nicht nur für die Saucenzubereitung verantwortlich ist. Der Saucier besitzt für gewöhnlich die meiste Erfahrung und hat die anderen Posten in seiner Laufbahn bereits absolviert. Zu seinem Aufgabenbereich zählen das Kochen von Fonds, Saucen und Buttermischungen sowie das Zubereiten von Schmorbraten, Frikassee, Rouladen, Gulasch und Ragout. Außerdem muss er Blankett und Geflügel- bzw. Wildgerichte kochen können. Der Saucier stellt alle Brühen, Saucen und Fonds her, zu seinen Aufgaben gehören sowohl vorbereitende Arbeiten, als auch die abschließende Zubereitung.
In der Küchenhierarchie gilt der Saucier als der „Königsposten“. Es ist ein recht komplexer Posten in der Küche. Er ist sehr zeitintensiv, da die Saucen und Fonds teilweise irrsinnig lange brauchen, um fertig gekocht zu werden. Hinzu kommt im täglichen Service der Balanceakt zwischen Stress, Routine und Genauigkeit.
„Das Geheimnis liegt in der Sauce …“
Die neuen Arbeiten konnten Ende November erstmals betrachtet werden. Erneut lädt Wagenhäuser am 19. Januar 2014 ab 11 Uhr in sein Atelier in der Gertraudenstraße ein. Als Lesetipp der Beitrag von Jürgen Gräßer in der neuesten Ausgabe von ART. 5/III „Vom Reiz des Stähleren – Bernd Wagenhäusers Arbeiten aus Cort-Ten-Stahl“.
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