Der Froschturm

Als es darum ging, das Erbe meines Vaters zu verteilen, entschieden wir, meine Brüder und ich, die zu ererbenden Ländereien unter uns zu verlosen. Mir fiel ein Stück Land im schönen Ungarn zu und sofort holte ich mein Pferd aus dem Stall, sattelte es und füllte alle Taschen mit reichlich Proviant. Zusammen mit Wein, Brot und Salami verstaute ich auch ein Fläschchen Palinka. Dann brach ich auf mein Land in Besitz zu nehmen. Es wurde ein ungewöhnlich heißer Sommertag und nach einem schier unerträglich schweißtreibenden und ermüdenden Ritt zog ich es vor für die nächste Etappe in der Kühle der Nacht zu reisen. So bestieg ich erst am nächsten Abend mein treues Pferd, gerade zur blauen Stunde.

Ich ritt eben durch ein Waldstück, von meinen grünenden Ländereien träumend, als mir Frösche, Heerscharen von Fröschen, entgegen kamen. Man grüßte mich höflich und bei einem kurzen Plausch mit dem ein und anderen erfuhr ich, dass alle ausnahmslos aus Ungarn stammten und just dem mir vererbten Stück Land abgewandert waren.

Ich hielt es für die übliche Krötenwanderung. Erst später erfuhr ich, dass selbige im zeitigen Frühjahr stattfindet. Man verzeihe mir meine Unkenntnis.

Als ich nun reichlich erschöpft nach nächtelanger Reise eines Morgens auf meinem Land ankam, begrüßte mich mit einem lauten Quak ein einzelner Frosch. Er saß in einer winzigen Schlammpfütze am Grund eines ausgetrockneten Sees. „ Ludwig!“, stellte er sich vor. Eine lange Dürre habe alle Wiesen in trockene, staubige Erde verwandelt, alle Flüsse in kümmerliche Rinnsale, berichtete er. Den Fischen seien Flügel gewachsen und sie wären davon geflogen ins weit entfernte Meer, erfuhr ich weiter. Ludwig erklärte: „Die Früchte an den Bäumen reifen zu Dörrobst, was einen gewissen Vorteil für die Lagerung bedeutet.“ Ich sah mich um und nickte zustimmend. Da entdeckte ich auf einem alten besonders knorrigen Baum zwei Geier. „Die warten auf mich!“, quakte mein froschiger Freund. „Aber da können sie lange warten!“ Mit diesen Worten sprang er auf und wollte in seine Pfütze abtauchen, blieb aber kopfüber im Schlamm stecken. Alle Froschschenkel von sich gestreckt verharrte er einen kurzen Augenblick. Dann begann er wild zu zappeln und zu strampeln. Die Geier im Baum wechselten den Ast um die Sache, sprich Ludwig, besser im Auge zu behalten. Ich stieg vom Pferd und fasste nach Ludwigs Froschschenkeln und zog und zog und zog. Der Schlamm um ihn begann sich wie Zement zu verfestigen. Nur mit großer Mühe gelang es mir endlich Ludwig aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dann lag der Frosch völlig erschöpft zu meinen Füßen. Die Geier schlugen aufgeregt mit den Flügeln.

Aus meinem Taschentuch, das ich mit etwas Palinka tränkte, machte ich dem armen Fröschlein einen Kopfverband. Ein wenig benommen – war es vom schmerzenden Kopf oder durch die Dämpfe des Obstbrandes? Jedenfalls begann Ludwig von einem Turm zu reden. Ich hielt dies zunächst für eine Art Fieberwahn. „Man muss nur das Himmelsblau in den Teich und die Flüsse leiten!“, faselte er. Dann schlief er ein. Ich bettete Ludwig in eine meiner Satteltaschen und suchte uns Schutz vor der sengenden Hitze im Schatten unter einem Pflaumenbaum. Mein Pferd fraß vom Laub während ich einige Dörrpflaumen verspeiste. Die Sache mit dem Turm, den der Frosch bauen wollte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Dann schlief auch ich ein. Es müssen wohl ein paar Pflaumen zu viel gewesen sein, denn ein gewaltiges Rumoren in meinem Gedärm weckte mich. Gase hatten sich entwickelt und so forderte die Natur ihr Recht.

Als die Nacht hereinbrach, ich deutlich erleichtert und Ludwig weitgehend wieder bei klarem Kopf war, begannen wir seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wir sammelten den von der Sonne zu harten Platten gebrannten Schlamm aus dem Grund des ausgetrockneten Sees. Platte für Platte schichteten wir. Gegen Mitternacht hatte unser Turm, in den wir eine Wendeltreppe eingebaut hatten, schon eine beachtliche Höhe erreicht. Der Mond sah wohlgesonnen auf unser Projekt und schien voll und rund. Bis zum Morgen hatten wir unsere Arbeit abgeschlossen und die Turmspitze ragte ins Firmament. Da konnte ich meinen Froschfreund nicht mehr zurück halten. Er sprang übermütig in das Himmelsblau und planschte eine Weile selig darin herum. Dann begannen wir mit vereinten Kräften zu schieben. Wir schoben das Himmelsblau bis dieses und der ausgetrocknete See den Horizont bildeten. Sofort ergoss sich das Blau in den See und was soll ich sagen, es füllten sich auch alle Flüsse und Bäche und die Wiesen begannen fast augenblicklich zu grünen. Die Menschen und Tiere kehrten zurück. Nur die Geier flogen davon. Als Ludwig von der Turmspitze das Blau seines Sees erblickte, sprang er mit einem gewaltigen Satz hinein und wurde nie mehr gesehen. Ihm zu Ehren habe ich einen Frosch in mein Wappen aufnehmen lassen und auch der Froschturm ist darin verewigt.

Den Original Froschturm kann man heute leider nicht mehr besteigen. Mit den Jahren wurde er baufällig und musste für die Öffentlichkeit gesperrt werden. Nur mehr eine Ruine steht, sehr malerisch, in der grünenden Landschaft.

So wurde es mir berichtet von
Hieronymus Carl Friedrich Schmidt (mit d-t wie Damentoilette),
einem Vetter soundsovielten Grades des Baron von M.

© Cornelia Stößel 2021 / Juli
https://schreibwerkstatt-wortwerke.org


Mit dieser Münchhausiade verabschiede ich mich in die Sommerpause.
Im September bin ich wieder zurück und dann geht es weiter mit den FreitagsTexten.

Es grüßt stets schreibbereit
Cornelia Stößel