Tee mit viel Zucker

3. Teil

Dann rannte ich wieder. Ans andere Ende des Flurs. Hier riss ich die Bodenklappe zum Felsenkeller hoch und stolperte die Stufen hinab. Keuchend und mit pochendem Herzen. Was war von meinem Herzen auch anderes zu erwarten? Ich verkroch mich hinter den dort gelagerten Kartoffeln. Als Ewalds massiger Körper oberhalb der Treppe erschien, begriff ich, dass ich in der Falle saß. „Du!“, dröhnte es bedrohlich zu mir herab und dann setzte Ewald langsam einen Fuß auf die erste Stufe. Schwer und dumpf. Ich kniff die Augen zusammen. Hörte wieder einen schweren dumpfen Tritt und dann noch einen. Ich zitterte. Wie viele Stufen waren es? Doch meine unnütze Überlegung wurde von einem plötzlichen und heftigen Poltern und einem letzten dumpfen Aufprall unterbrochen. Ich lugte vorsichtig aus meinem Versteck. Das schwache Decken-Licht des Hausflurs fiel von oben die Kellertreppe herab und ließ Staub glitzern, der nun reichlich in der Luft hing. Ewalds linken Fuß, der seltsam verdreht auf der untersten Stufe der Treppe lag, konnte ich noch erkennen. Der restliche Ewald befand sich im Dunkel des Felsenkellers. Ich blieb wo ich war. Ewald war ein Vieh. Punkt. Jeder normale Mensch hätte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen, aber bei so einem Urvieh wie ihm konnte man nie wissen. So saß ich und dachte an meine Schwiegermutter selig, die mich einst gewarnt hatte: „Madla!“, hatte sie gesagt, „Madla, ich sag’s dir! Du heiratest fei an Hofinger!“ Aber was hatte ich junges dummes Ding gewusst, was ein Hofinger ist? Heute freilich konnte ich mitreden. Ich seufzte. Da lag nun der vorletzte Hofinger auf mitererbtem Grund und Boden und war hoffentlich mausetot. Und der Bruder steckte in der Regentonne. Ganz sicher mausetot. Ich hatte ihn in der Nacht klopfen und rumoren gehört. Meinen Hofigern Erwin. Er hatte mal wieder seinen Hausschlüssel vergessen. Er nahm ihn eigentlich nie mit, hatte ihn nie mitgenommen. Er muss wohl versucht haben über den Balkon ins Haus zu kommen. Aufs Regenfass gestiegen und reingefallen. Ja, so musste es gewesen sein. Ich lächelte in mich hinein. Ich hatte ihn noch gebeten das Wasser abzuschöpfen, vor dem Winter. Mich traf keine Schuld. Was Erwin betraf. Und Ewald? Das Rohypnol sollte ihn nur ruhigstellen. Die Tabletten waren von meiner Schwiegermutter selig. Dr. Zahleis hatte sie ihr zum Einschlafen gegeben. Aber Schwiegermutter hat die Tabletten gesammelt und zum Einschlafen lieber einen Wodka getrunken. Apropos Wodka …

Ich griff nach einer Kartoffel, einer mittelgroßen festen und warf sie dorthin wo ich Ewalds Kopf vermutete. Ein gedämpftes Plopp, wie man es von einer Kartoffel erwartet, die einen Hohlkopf, wie den meines Schwagers traf, ertönte. Sonst nichts. Was sollte ich jetzt tun? Dort lag Ewald mit reichlich Rohypnol im Blut. Wahrscheinlich tot. Und ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass man keine Obduktion vornehmen würde. Wie konnte ich das Rohypnol erklären? Nein, Ewald gehörte hinten im Garten unter die Radieschen. Nur wie?

Ich warf noch eine Kartoffel nach ihm und hörte wieder nichts außer einem weiteren Plopp. Vorsichtig kroch ich aus meinem Versteck. Ich stupste Ewald an. Nichts. Ich tastete nach seinem Puls. Doch da war kein Herzschlag mehr zu ertasten. Einen Augenblick stand ich starr, dann hastete ich nach oben und schlug die Bodenklappe hinter mir zu. Eine Tasse Tee. Stark, schwarz und mit viel Zucker, ich brauchte eine Tasse Tee. Ich musste nachdenken.

© Cornelia Stößel 2020
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Die Fortsetzung folgt am nächsten Freitag im FreitagsText