Tee mit viel Zucker

Eine Kriminalgeschichte in fünf Teilen

2. Teil

„Ist der Erwin da?“, schreckte mich die unangenehme Stimme meines Schwagers aus meinen Tagträumen von einem Erwin-freien Leben. Ich nahm einen Schluck Tee. Ließ mir Zeit. „Sag mal bist du taub?“, blaffte mich mein unerfreulicher Schwager an und baute sich dabei in seiner ganzen Schäbigkeit vor mir auf. „Überhaupt! Hast du nichts zu tun? Dasitzen und Tee trinken.“ Ich merkte wie sich meine Gesichtszüge verspannten. „Ja, wo ist er jetzt?“, kam Ewald meiner Antwort zuvor. „Ich habe ihn heute noch nicht gesprochen“, gab ich wahrheitsgetreu Auskunft, nahm den letzten Schluck Tee und wollte die Tasse zur Spüle tragen. Einer göttlichen, vielleicht auch teuflischen Eingebung folgend, hielt ich in der Bewegung inne. „Ewald, möchtest du vielleicht auch eine Tasse Tee?“, fragte ich freundlich. Und, wie erwartet nahm Ewald das Angebot an. „Aber mit einem ordentlichen Schuss Rum!“, befahl er. Denn Ewald pflegte zu befehlen. Manchmal fragte ich mich, ob er Josefa, seiner Frau befohlen hatte zu sterben. Aber, die hat er wohl einfach zu Tode geärgert. Ich griff nach einer Blechdose. Ewald ließ sich währenddessen auf meinen Stuhl fallen, dass dieser knarzte. „Den Rum stellst du mir auf den Tisch!“, hörte ich Ewald. Er streckte die Beine von sich. „Fühl dich ganz wie zu Hause“, sagte ich das Gegenteil meinend. Aber Ewald war gänzlich unempfänglich für die Meinungen und Gefühlsregungen anderer Menschen und wenn doch nicht, so interessierten ihn die anderen „einen feuchten Dreck!“ (Ich erlaube mir ihn hier zu zitieren.) Noch einmal umrührend, stellte ich die Tasse nur dreiviertel gefüllt vor ihn. „Ich habe schon Zucker hinein. Das mit dem Rum machst du besser selbst.“ Aber das hätte ich nicht extra sagen brauchen. Ewald griff nach der Flasche, schraubte mit seinen dreckigen Händen den Verschluss von der Flasche und füllte die Tasse bis knapp unter den Rand. Dann schlürfte er geräuschvoll einen Teil des Gebräus aus der Tasse und goss mit reichlich Rum nach. Nach einem weiteren kräftigen Schluck stellte Ewald die Tasse ab und blickte sich selbstgefällig in meiner Küche um. „Sauber bist ja“, meinte er. „Aber a weng arg spröde“, dabei fasste er nach meinem Rockzipfel und lachte. „Erwin ist sicher nur im Garten“, sagte ich eisig. Bei der Erwähnung seines Bruders besann sich Ewald und ließ meinen Rock los. Ich wischte mit der flachen Hand über den Stoff. Ich wollte diese widerliche Berührung, wenn auch nur an einem Kleidungsstück, entfernen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Ewald sich über die Stirn strich. „Stark, der Rum“, sagte er und dann sank sein Kopf gebettet aufs Doppelkinn nach vorn.

„Oh!“, machte ich und blinzelte. „So schnell?“ Aber dann wurde mir schlagartig klar, dass Ewald den Tag vielleicht schon mit Hochprozentigem begonnen hatte, das meist griffbereit neben seinem Bett stand. „Was mach ich denn jetzt?“, hörte ich mich mit mir selbst reden. Aber in diesem Moment riss Ewald die Augen auf, glotzte mich, mit aus den Höhlen tretenden Augäpfeln an, streckte die Hände nach mir und brüllte „Du!“ Ich wich zurück. „Du!“, grölte er erneut und hievte seinen massigen Leib vom Stuhl. Konnte er mit seinem beschränkten Geist so schnelle Schlussfolgerungen ziehen oder war das reiner Instinkt, überlegte ich, doch noch in der Überlegung drehte ich mich um und lief. Lief aus der Küche, den Flur entlang zur Hintertür. Diese war zugesperrt. Doch der Schlüssel steckte wie üblich im Schloss. Ich fingerte nach dem Schlüssel und, ließ ihn fallen. Panik ergriff mich für einen kurzen Augenblick. Dann wandte ich mich um. Ewald taumelte die ganze Breite des Flurs einnehmend auf mich zu. Mit einem tierischen Grunzen stürzte er sich auf mich. Doch es gelang mir unter seinem rechten Arm durchzuschlüpfen.

© Cornelia Stößel 2020

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Die Fortsetzung folgt am nächsten Freitag im FreitagsText