Eine kleine Geschichte vom Rande!
Christina Werner-König
Es geschah an einem grauen Spätherbstnachmittag auf meinem Weg in Richtung Stadtmitte. Ich lief ordnungsgemäß auf dem Gehsteig der rechten Straßenseite und hielt, da es leicht regnete, in der rechten Hand meinen geöffneten Schirm. Über der Schulter hing meine große Ledertasche und in der linken Hand hielt ich eine Plastiktüte mit hölzernen Schuhspannern, die ich einen Tag vorher versehentlich in der falschen Größe gekauft hatte und nun umtauschen wollte. Kurzum, – ich hatte keine Hand frei!
Auf Höhe des Naturwelt-Ladens im Zinkenwörth kam mir, von der Generalsgasse her sich in Richtung Schillerplatz schleppend, mindestens eine Busladung von Touristen entgegen, vorneweg, mit dem obligatorisch hochgehaltenen Schildchen, die Stadtführerin. Die meisten von ihnen liefen mitten auf der Straße – das gewohnte Bild von Besuchern, die glauben, Bamberg sei eine Bühne, sie die Hauptdarsteller und wir Bürger die Statisten.
Plötzlich kam vom Schillerplatz her ein Auto gefahren …
Die Touristenmenge stob auseinander, drängte sich, statt hintereinander, nebeneinander links und rechts auf die beiden schmalen Gehsteige. Für mich wurde es eng! Zwischen zwei Schaufenster gepresst versuchte ich mich mit der rechten Schulter abzustützen. Als ich verhindern wollte, dass mein Schirm mit dem einer Touristin kollidierte, ratschte er die schmale, raue Hausmauer entlang – eine Speiche brach!
Keine Entschuldigung, keine bedauernde Äußerung – mürrisches Schweigen! An die Wand gelehnt rieb ich meine schmerzende Schulter, betrachtete entsetzt und wütend meinen deformierten Schirm und schimpfte laut:
„Müssen wir Bamberger allmählich Artenschutz beantragen?“
Können wir uns in unserer eigenen Stadt nicht mehr gefahrlos bewegen? Schleichen wir inzwischen an Hauswänden entlang, weil da eine undurchdringliche Mauer an missmutigen Menschen auf uns zukommt, die, nach langen Anfahrtswegen per Schiff und/oder Bus, überfordert und gelangweilt durch ermüdende Führungen – in diesem Falle noch dazu bei Regen – unter Wahrnehmungsstörungen leiden? Dies mit einem Selbstbewusstsein, als glaubten sie, mit ihren wenigen, an Schnellimbiss-Theken zurückgelassenen Euros, eine in Armut versinkende Kleinstadt retten zu müssen!
Achselzuckend und mitleidslos sah die Frau mich an, von der ich gerade so unsanft an die Wand gedrängt wurde. Sie fand sich selbst bedrängt, hatte mit der Wiederherstellung ihres Gleichgewichts zu kämpfen. Wobei sie, bei kompakter Figur, eingekeilt in diese geballte Menschenmasse, kaum hätte umfallen können. Steht doch das das Gedrungene fest im Gedränge!
Ich entsorgte meinen Schirm in einem Abfallkorb am Gabelmann, obwohl dies aus Gründen des Umweltschutzes kaum der richtige Ort war. „Vielleicht kann ihn einer brauchen“, dachte ich mir. „Besser einer mit hängender Speiche, als gar keiner!“
Bei Karstadt kaufte ich mir den Taschenschirm, der mir am stabilsten schien. Man kann ja nie wissen, vielleicht gerate ich das nächste Mal in eine Situation, in der ich mich mit dem geschlossenen Schirm gegen aufdringliche Touristen verteidigen muss. Wäre auch nicht viel schlimmer, als sich mit offenem Schirm retten zu wollen!
Später ging ich ins Cafe Beckstein – einst das Stammcafe meiner seligen Mutter – und bestellte die üblichen zwei Eier im Glas und eine Tasse grünen Tee. Ich saß direkt am großen Fenster, meinem Lieblingsplatz, als eine der am Tisch gegenüber sitzenden drei Damen in Richtung Fenster deutete, vor dem sich gerade eine Touristengruppe vorbeischob und sagte: „Wo kommen denn die alle her? Wer zwingt die hierher und warum werden die immer mehr? Oder hat einer von Euch schon mal einen Touristen mit fröhlichem Gesichtsausdruck gesehen?“ Die zwei Damen verneinten und wandten sich wieder einem interessanteren Thema zu.
Ich dachte mir: „Aber ja doch – in der Sandstraße, mit der Bierflasche in der Hand!“
Das sind die konkreten Folgen der Tourismus-Industrie. Es geht dabei ausschließlich um Kohle. Die Besonderheiten der Städte sind nur die auswechselbare Kulisse und eine Art Durchlauferhitzer. Auch die Touristen sind dafür nur eine Verfügungsmasse.
Und bald ist es ja in München wieder soweit. Das Touristen-Geschäft mit den Bier muss aufrechterhalten werden wie schon seit sehr vielen Jahren. Die Kulisse, Vergnügungsmasse und erhitzte Gemüter müssen stimmen. Da werden nicht nur Regenschirme zerdeppert. Die Tourismus-Industrie bleibt vorerst noch bestehen, mit oder ohne GT.
Viel zu originell geschrieben, um den Tiefsinn des Ärgers zu spüren