„Einen schönen guten Abend, buenas tardes, amigas y amigos!“
wünschte Dietlinde Schunk-Assenmacher den zahlreichen Gästen in der Galerie am Stephansberg, die zur Ausstellung von Werner Kohn über Cuba gekommen sind.
Dietlinde Schunk-Assenmacher M.A.
Als Werner Kohn mich vor einigen Wochen frug, ob ich die Einführung für seine Ausstellung hier in der Galerie am Stephansberg übernehmen würde, sagte ich gerne ja, denn sofort kam mir meine eigene Kuba-Reise vor zwei Jahren wieder in Erinnerung. Und dann war ich gespannt auf Werner Kohns Fotografien. Denn, hört man von Kuba, „die Perle der Karibik“, wie sie auch genannt wird, über die ja seit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama beinahe wöchentlich im Fernsehen berichtet wird, dann denken wir an seine lebensfrohen Bewohner und an die kubanische Musik, an tropische Landschaften und grüne Tabakplantagen, wo die feinen Havanna-Zigarren gerollt werden, an seine malerischen Strände, prächtigen Kolonialbauten einstiger Zuckerrohrbarone, an seine musealen US-Oldtimer, an Che Guevara und an Fidel Castro. All das verbinden wir mit Kuba. Und von alledem ist auf den Fotografien von Werner Kohn viel und zugleich wenig zu sehen.
Während wir in den Medien vor allem mit den Insel-Klischees bedient werden, zeigen die Fotografien von Werner Kohn die Faszination, die von den Menschen ausgeht, und wir werden Zeuge ihres tief verwurzelten Lebenswillen. Wir sehen sie allein und in Gesellschaft, in heiteren und melancholischen Momenten. Wir sehen das Absurde im Alltäglichen, das mitunter eine surreale Stimmung besitzt.
Werner Kohn läßt uns mit seinen Bildern in eine Welt schauen, in der sich der Alltag, politisch bedingt, noch nicht an der Existenz der Vernetzung und der Globalisierung festmacht. Kinder spielen auf der Straße, Nachbarn treffen sich zum Klatsch und Tratsch, alles, was in unserer technisierten Welt langsam verloren geht. Obgleich das Internet und das handy auch schon angekommen sind, trifft sich der Kubaner nach wie vor in der Öffentlichkeit, lebt in der Öffentlichkeit. Aber jeder kennt auch den ihm zur Verfügung stehenden Spielraum, und – wann er mit dem Staat in Konflikt gerät, wenn er diesen verläßt.
Die Fotografien von Werner Kohn zeigen uns die Menschen der Karibikinsel in ihrer ungeschönt realistischen Lebenswirklichkeit. Und sie hinterfragen Zustand und Zeitgeist der post-industriellen Gesellschaft. Denn trotz Embargo und weltpolitischer Insel-Lage, verfallener Kolonialbauten und ständigem Mangel, leben die Menschen ihre eigene Lust und Freude, ihre Spiritualität und Sexualität – vor allem im Privatbereich. Ein Leben auf Kuba ist kein Trauerspiel.
Mit den Titeln seiner Fotografien macht Werner Kohn mit uns, den Betrachtern, eine Rundreise durch die Insel, von West nach Ost, vom Tabakanbaugebiet Vinales über Havanna nach Trinidad, sie gilt als eine der schönsten Städte Cubas, über Santiago de Cuba, wo Fidel Castro 1959 den Sieg der Revolution vom Balkon verkündete und der Karneval der Neuen Welt seinen Ursprung nahm (1645). Weiter geht es über Camagüey nach Baracoa und zurück nach Varadero, mit seinem touristisch-genußvollen Strandleben.
Im Foto „Havanna“ sehen wir tangotanzende Paare auf der Straße, mit traurigen Gesichtern, deren Kniee sich miteinander vergnügen, und auf dem Foto „Cienfuegos“, auch Perle des Südens genannt, zwei Männer, einen Großen und einen sehr Kleinen. Der Große kickt den Ball des Kleinen in das Kindertor. Der Kleine steckt etwas durch ein Straßengitter. Jeder ist mit sich beschäftigt und mit sich zufrieden.
Wir reisen weiter nach „Baracoa“ – Sie haben vielleicht zum ersten Mal den Namen des Ortes in den Nachrichten vom letzten Tornado gehört, der über die Karibik hinwegfegte. In den Armenvierteln wurde fast alles zerstört. Wir sehen noch eine geruhsame Straßenszene: ein Mann mischt mit seiner Schaufel etwas Beton während ein Rollstuhlfahrer dazu kommt und schaut. Im Hintergrund verschwindet eine Schöne in einer türkisblauen Türe.
Je länger wir die Bilder von Werner Kohn ansehen, desto mehr entdecken wir. Nimmt man sich etwas Zeit, erkennt man, wie sorgfältig sich der Fotograf das Motiv auswählt, den Bildraum erschließt. Kohn besitzt das malerische und auch das künstlerische Auge, das die Fähigkeit besitzt, Raum wahrzunehmen und Dinge unmittelbar in ihrer räumlichen Beziehung zu erkennen.
Wir sehen ein Bild an und haben das Gefühl, am Ort des Geschehens zu sein. Dies ist eine besondere Eigenschaft von Werner Kohn, uns mit in seine Welt zu nehmen.
Fotografieren ist oft harte Arbeit, aber Müdigkeit scheint ihm dabei fremd zu sein. Seine Neugier und sein Instinkt halten ihn wach. Dabei wird er nie zum Voyeur. Die Würde des Menschen, auch in extrem erscheinenden Situationen wird von ihm nie angetastet. Vielmehr rückt er in seinen Fotografien stets den Menschen in den Mittelpunkt und gibt ihnen eine Würde.
Als ich den kleinen Katalog, den ich sehr empfehlen kann, einer Freundin zeigte, war sie von dem Titelfoto derart betroffen, daß sie es nicht länger ansehen wollte. Aber Werner Kohn hat dieses Foto bewußt ausgewählt: Es zeigt uns einen alten Mann in der Hocke mit geschlossenen Augen. In der Rechten hält er eine kleine Plastikflasche, in der Linken ein Papier mit dem Konterfrei eines jungen, bärtigen Mannes. Vor ihm steht die Figur des Heiligen Lazarus, des wichtigsten Heiligen Kubas. Jedes Jahr am 17. Dezember pilgern tausende Kubaner zur Wallfahrtskirche des Hl. Lazarus. Er ist in ihrem Glauben für Krankheiten zuständig. Wenn Sie die Heiligenlegende kennen, erinnern Sie sich, dass Lazarus der Bruder von Maria und Martha und ein Freund von Jesus war. Als dieser erfuhr, dass Lazarus gestorben war, weinte er über dessen Tod; vier Tage später kam er nach Bethanien und weckte Lazarus von den Toten auf (siehe Johannesevangelium).
Doch diese Fotografie bietet noch mehr: Im Hintergrund ist der Reifen eines Autos zu sehen. Fachleute unter ihnen, erkennen sicher sofort am Alufelgen, um welche Marke es sich handelt. Hier ein Symbol der Erfolgreichen – dort ein müder alter Mann mit dem Heiligen der Aussätzigen und Kranken. Je länger wir das Bild ansehen, mit dem alten Mann und der schon ramponierten Figur des Hl. Lazarus, desto mehr entdecken wir und verstehen wir vielleicht den tieferen Sinn seiner Fotoauswahl.
Werner Kohn, sie kennen ihn alle, den gebürtigen Bamberger. Nach seiner Ausbildung als Fotograf, unter anderem an der Essener Folkwangschule bei dem legendären Lehrer Otto Steinert, arbeitet er seit 1968 freischaffend für viele deutsche und internationale Zeitungen, Zeitschriften und Verlage. Er bereiste in den vergangenen 50 Jahren nahezu alle Erdteile. Sein fotografisches Werk ist riesig – es umfasst Musiker- und Künstlerporträts, Städtebilder, Arbeiterwelten, Straßenszenen und Verkehrszeichen. Sein Fotoprojekt „Verkehrszeichen“ wurde ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen. Im Deutschen Historischen Museum Berlin, befindet sich ein Konvolut mit Fotos aus der 68er Studenten- bewegung. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie, Preisträger des E.T.A.Hoffmann-Kulturpreises der Stadt Bamberg (1998), des Berganza-Preises des Bamberger Kunstvereins (2010) und er ist Weltreisender in Sachen Fotografie.
Aus Hunderten von Fotografien, die Werner Kohn 2012 von Kuba nach Bamberg zurückbrachte, wählte er 31 aus. Sie spannen, wie schon gesagt, einen Bogen von Vinales bis Baracoa, von der touristischen Hochburg nahe Havanna, bis zur Ostspitze, wo Christoph Kolumbus einst 1492 die Insel betrat und die spanische Flagge in die Erde rammte.
In dem vom Verleger Erich Weiß zur Ausstellung erstellten Fotobuch mit dem Titel „Cuba – Hasta la siempre“, spielt Kohn auch auf die spanische Grußformel an, mit der man Abschied nimmt, ohne wirklich Abschied nehmen zu wollen. Dies kann auch für uns gelten. Wir können uns mit den Fotografien von Werner Kohn in dieser Ausstellung und im kleinen Katalog täglich auf eine imaginäre Reise nach Kuba begeben, einer Insel, deren Zauber und deren Menschen er mit seiner Kamera für uns festgehalten hat.
Vielen Dank an Sie als Zuhörer und besonders an Werner Kohn für diese wunderbar nachdenkliche Fotoausstellung.