Schillerplatz – mein Lieblingsplatz

von You Xie
Gedenktafel am Schillerplatz. Foto: You Xie

Gedenktafel am Schillerplatz. Foto: You Xie

Schon als ich noch in China Germanistik studierte, las ich Friedrich Schiller (1759–1805). Seine Werke „Die Räuber“ (1781), „Kabale und Liebe“ (1784), die „Wallenstein“-Trilogie (1799) und „Wilhelm Tell“ (1803/04) gelten heute immer noch als Pflichtlektüre für Germanistik-Studierende in China.

Während meiner Studienzeit in Bamberg wohnte ich in der Habergasse, nicht weit weg vom Schillerplatz. Ich ging auch sehr oft spazieren und versuchte Schillers Wohnhaus zu finden. Leider habe ich es nicht gefunden. Ich las die Bamberger Geschichte und wollte wissen, warum der Schillerplatz Schillerplatz heißt. Aus einem Artikel von Stephan Link (Quelle: http://archiv.gal-bamberg.de/Zeitung/gaz-56/Schillerplatz.htm) habe ich erfahren, wie der Schillerplatz zu seinem Namen kam. Nicht die Person des Dichters sollte geehrt werden, vielmehr stand die Umbenennung des Theaterplatzes 1859 symbolhaft für eine politische Idee des 19. Jahrhunderts.

Der Reichstag war von Mai 1848 bis Mai 1849 das verfassungsgebende Gremium der Deutschen Revolution sowie das vorläufige Parlament des entstehenden Deutschen Reiches. Die Nationalversammlung tagte in der Paulskirche in Frankfurt, daher steht häufig der Name Paulskirche für die Nationalversammlung. Als Parlament beschloss die Nationalversammlung auch die Reichsgesetze. Am 28. Juni 1848 richtete die Nationalversammlung mit dem Zentralgewaltgesetz die Provisorische Zentralgewalt ein, also eine vorläufige deutsche Regierung. Der Bundestag des Deutschen Bundes hatte Ende März bzw. Anfang April 1848 ein Bundeswahlgesetz beschlossen, damit das deutsche Volk eine Nationalversammlung wählen konnte. Organisiert wurde die Wahl von den deutschen Einzelstaaten. Die Nationalversammlung sollte eine Verfassung für einen deutschen Bundesstaat entwerfen, die mit den Einzelstaaten zu vereinbaren war. Aus eigenem Machtbewusstsein setzte sie allerdings auch sich und eine Zentralgewalt an die Stelle der Organe des Deutschen Bundes.

Die Nationalversammlung verabschiedete am 28. März 1849 die Frankfurter Reichsverfassung (Verfassung des deutschen Reiches). Nach ihrer Auffassung war sie allein zur Inkraftsetzung imstande. Die Verfassung wurde von den meisten deutschen Einzelstaaten sowie beiden Kammern des preußischen Landtags angenommen, nicht aber vom preußischen König und den großen Einzelstaaten wie Bayern und Hannover. In Bayern suchte sich die politisch interessierte Öffentlichkeit Auswege, um ihre Ziele darzustellen.

Friedrich Schiller galt damals als der „deutscheste“ aller Dichter. Schillers Werke wurden nicht nur in Deutschland, sondern auch in China begeistert aufgenommen. Den einen galt Schiller als Dichter der Freiheit, den anderen als Verteidiger bürgerlicher Gesittung. Die sprachgewaltige Eingängigkeit seiner Verse und seine pointensicheren Bühnendialoge sorgten dafür, dass zahlreiche davon zu geflügelten Worten wurden. Geschätzt wurde er auch als Freiheitsdichter in der deutschen Arbeiterbewegung und in den Arbeiterbildungsvereinen.

Auch in Bamberg organisierte ein Komitee eine Schillerfeier. Ein langer Festzug setzte sich vom Theaterplatz in den Hain in Bewegung. Unter Beteiligung von Schülern, des Gesangsvereins „Liederkranz“ und der Anteilnahme der Bevölkerung wurde auf der ab da so benannten Schiller-Wiese eine Schiller-Eiche gepflanzt und national-politische Reden gehalten. Des Abends führte man im Theater Schiller’sche Werke auf. Im Nachklang der Festaktivitäten beschloss der Stadtmagistrat am 29. November 1859 die Umbenennung des Theaterplatzes in Schillerplatz.

Der Bamberger Schillerplatz ebenso wie die Schiller-Wiese dokumentieren also einen bestimmten Aspekt politischer Geschichte Bambergs im 19. Jahrhundert und sind deshalb selbst als historische „Denkmäler“ zu sehen.

Im Spiegelsaal der Harmonie wurde mir die Einbürgerungsurkunde vom Oberbürgermeister Andreas Starke im Jahre 2010 verliehen. Und jetzt sitze ich im Spiegelsaal der Harmonie in der Vollsitzung des Stadtrates der Stadt Bamberg. Im Saal träume ich, dass ich als OB die Vollsitzung in Peking oder Shanghai leitete. Ich gebe zu, das ist ein luzider Traum, in dem ich mich als der Träumende meines Traumes bewusst bin. Nach dem Traum ist es mir eine klare Erinnerung.

Im Spiegelsaal der Harmonie am Schillerplatz wurde die „Bamberger Verfassung“ verabschiedet. Damit wurde Bayern zu einer demokratisch-parlamentarischen Republik. Der bayerische Adel und das Zweikammersystem wurden dadurch praktisch abgeschafft.

Wenn ich Besuch aus China bekomme, gehe ich mit ihnen zuerst ins Schlenkerla. Da trinken wir Rauchbier und essen Fränkische Schäuferla. Danach gehen wir unbedingt zum Schillerplatz. Heute erinnert eine Gedenktafel am Schillerplatz an die Bamberger Verfassung.

Nach dem ersten Weltkrieg rückt Bamberg für kurze Zeit in den Mittelpunkt bayerischer Geschichte: Die Staatsregierung flieht vor den Tumulten in München und macht in Franken große Politik. Nach der Eröffnungssitzung am 15. Mai 1919 im Kaisersaal der Neuen Residenz tagt der Landtag ab dem 21. Mai 1919 im Spiegelsaal der Harmonie am Schillerplatz. Hier wird am 14. August 1919 auch die Verfassung des Freistaats Bayern verabschiedet.

Leider ist diese staatstragende Rolle Bambergs den Bamberger Einheimischen weitgehend unbekannt. Vielen sagt der Begriff „Bamberger Verfassung“ nichts. Für mich aber, nicht nur für mein normales Leben und sondern auch für das normale historische Bewusstsein in der Bamberger Stadt spielt diese Episode eine wichtige Rolle.

Ich schaue auf die Gedenktafel und sage den Freunden: „Der Rechtsstaat ist den Chinesen zu hoch, um ihn zu erreichen.“

Wird die Einführung eines Rechtsstaats in China möglich? Tatsächlich sind die 1,35 Milliarden Chinesen nicht allesamt Regimegegner. Als die OECD im vergangenen Jahr Bürger verschiedener Staaten fragte, ob sie Vertrauen in ihre Regierung hätten, bejahten das in Deutschland 42 Prozent, in den Vereinigten Staaten 35 Prozent. In China waren es mehr: zwei von drei Landesbürgern.

Der Präsident und Parteichef Xi Jinping betont, er wolle „die Macht in einen Käfig“ sperren und einen Rechtsstaat bauen. „Verfassungsgemäßes Regieren“ fordert Xi Jinping und warnt, China dürfe nicht so tun, als gehe die Macht vom Volke aus, während die Realität eine ganz andere sei. Allerdings ist fraglich, was die Partei unter Rechtsstaat versteht. Auf jeden Fall nicht das Gleiche wie der Westen.

Seit Amtsantritt von Präsident Xi Jinping wird die Freiheit immer geringer. Die Internetzensur ist verschärft, die Angestellten ausländischer Konzerne sorgen sich, ob die E-Mails nach Europa und Amerika auch ankommen. Journalisten können für die Verbreitung von „Gerüchten“ angeklagt werden. Und das politische System wird nicht pluralistischer, sondern konzentriert die Macht auf den Präsidenten. Xi Jinping fährt eine Kampagne gegen korrupte Kader, die das Land beben lässt. Ob sie „Xi Dada“ – Großvater Xi, wie die Propaganda ihn seit neuestem nennt – im Volk beliebter gemacht hat, kann niemand sagen, weil verlässliche Bevölkerungsumfragen fehlen.

Im Fall von Xi ist die Konzentration der Macht auf eine einzelne Person zusätzlich risikoreich. Sie soll das Wort des Präsidenten bis in den letzten Winkel des riesigen Reiches tragen. Wenn es den Bürgern von Jahr zu Jahr nicht mehr besser geht, diese auch noch auf Mitbestimmung verzichten, dann wird es schwierig für China. Aber um wie viel Prozent muss das Gehalt genau steigen, damit die Leute stillhalten? Chinas Modell habe funktioniert, solange das Land gegenüber dem Rest der Welt habe aufholen müssen. Jetzt ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Jetzt ist fehlende Demokratie ein Problem.