Das Bamberger Theater widmet sich der Frage nach Deutschland
Andreas Reuß
Wieder einmal spürt eine Kultureinrichtung der Frage nach, was denn eigentlich „deutsch“ sei – man erinnere sich an die viel beachtete Reihe „Reden über das eigene Land: Deutschland“ in den Münchner Kammerspielen. Diesmal ist es das Theater in Bamberg, das sich des letztlich wohl unergründlichen Themas annimmt, nicht unbedingt ein Metropoltheater, aber mit einer neuen, beachtlichen Mannschaft und entsprechenden Ideen ausgestattet.
Manches ergibt sich freilich durch den Genius loci wie von selbst: Bamberg, mit seiner Altstadt schon seit 1993 UNESCO-Weltkulturerbe, hat sein Theater nach E.T.A. Hoffmann benannt, der hier einst dirigierte, inszenierte und schrieb und noch 1822, als er in Berlin verstarb, von seinen Bamberger Impressionen und Amouren zehrte.
Schon ein halbes Jahrhundert vorher ließ eine andere bühnenbegeisterte Preußin, nämlich die Markgräfin Wilhelmine, Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, im nahen Bayreuth das Markgräfliche Opernhaus errichten, seit 2012 UNESCO-Weltkulturerbe. Um 1748 schuf sie mit dem Felsengarten „Sanspareil“, genau zwischen Bamberg und Bayreuth im Wald gelegen, eine einzigartige Naturbühne, ebenso wie in ihrem Park, den sie im damaligen Zeitgeist „Eremitage“ nannte. 1871 kam Richard Wagner und erwählte Bayreuth bekanntlich für seine überhaupt nicht provinziellen Festspiele.
Ein weiteres „markgräfliches“ Theater findet man südlich von Bamberg, im Erlanger Markgrafentheater – wobei immer die Markgrafen aus dem Geschlecht der Brandenburger gemeint sind, derselben Brandenburger, die auch der Mark Brandenburg Fontanes und Kleists ihren Namen gaben. Nahtlos könnte man also die „Wanderungen durch die Mark“ Fontanes in Franken fortsetzen.
Kein Wunder, dass die neue Bamberger Intendantin, Sybille Broll-Pape, vordem in Bochum wirkend, Kleists „Prinz von Homburg“ zur Vertiefung ihres Deutschland-Themas ausgesucht hat, wo es im letzten Akt heißt: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ So tönt es im E.T.A.-Hoffmann-Theater allerdings erst ab März 2016.
Bis dahin werden immer wieder Hebbels „Nibelungen“ gespielt. So nah ist man noch selten dran gewesen, überwältigt von dem, was auf der Bühne entsteht, wie so manches Gedankengebäude, verkörpert durch Schauspieler als authentische Ideenträger, errichtet und vernichtet werden. Wann hat man zuletzt solch eine Dämonie gesehen, wie sie Katharina Brenner als Frigga ausstrahlt? Diese Bühnenpräsenz kann man nicht lernen, auch wenn man wie die Brenner am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildet wurde, am Wiener Burgtheater spielte und mit Peter Zadek oder Heiner Müller gearbeitet hat.
Dieses Theater kann ein weiterer Bamberger Glanzpunkt werden, neben der Weltkulturerbe-Stadtlandschaft, dem Weltdokumentenerbe „Bamberger Apokalypse“ in der Staatsbibliothek, den Bamberger Symphonikern und dem Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia – um nur einiges zu nennen, was sich in dieser Stadt schon jetzt gegenseitig inspiriert und noch mehr inspirieren könnte.
Denn im Moment ist der überwältigte Bürger in der sonst so hilfreichen Willkommens- und Betreuungsgesellschaft etwas alleingelassen mit der aufgeworfenen Frage nach dem Wesen Deutschlands und weiß nicht, was soll das bedeuten, dass so ein Märchen aus uralten Zeiten ihm nicht aus dem Sinn gehen mag. Die Kirche zum Beispiel hilft auch nicht. Und das Thema Religion wird auf der Bühne der 1000jährigen Kaiser- und Bischofsstadt nur indirekt verhandelt – mit E.T.A. Hoffmanns „Elixieren des Teufels“.
Was ist das also – Deutschland? Eine Kulturnation mit Untiefen, sicherlich, wohl irgendwo zwischen den Nibelungen und Kleist, Wagners Wähnen und den Nazis, zwischen dem Nürnberger Albrecht Dürer und dem Dresdner Gerhard Richter, zwischen „Refugees welcome“ und Pegida.
In Bamberg jedenfalls wurden jüngst rechtsextremistische Anschläge rechtzeitig aufgedeckt und verhindert, mit einer neuen, typisch deutsch „funktionierenden“ so genannten Aufnahme- und Rückführungseinrichtung für Flüchtlinge ohne Bleiberecht zeigt Deutschland ein doppeltes Gesicht. Hier, im Auge des Sturms zwischen Berlin, Dresden und München, könnte in der Tat nah an den Brennpunkten und doch etwas weltabgeschieden der Frage nach dem Wesen unseres Landes gewinnbringend nachgegangen werden.
Man fragt sich nur: Wie kam die neue Intendantin schon vor mehr als einem halben Jahr darauf, gerade die „Nibelungen“, diese „Götterdämmerung“ mit nicht zu übertreffender Aktualität und Brisanz, zu durchdenken und auf die Bühne zu bringen? Künstler ahnen eben doch Dinge voraus.