In zwei Premieren mit alternierenden Besetzungen präsentiert sich die Sommeroper Bamberg als ein unverzichtbares Nachwuchsprojekt.
Monika Beer
Dass die Sommeroper auf Anhieb ein Glücksfall für Bamberg war, als der vielseitige Musiker Till Fabian Weser sie vor zehn Jahren aus der Taufe hob, liegt auf der Hand. Wer wie unser E.T.A.-Hoffmann-Theater ohne eigenes Opernensemble auskommen muss, darf sich gratulieren, wenigstens alle zwei Jahre Gastgeber für dieses außergewöhnliche internationale Nachwuchsprojekt zu sein, dessen Niveau von Mal zu Mal spürbar gewachsen ist. Natürlich gab es Anlaufschwierigkeiten und Probleme struktureller Art, natürlich hatte dieses Glück länger noch seinen kleinen Stich.
Aber auch der ist jetzt Vergangenheit. Denn die Opernregisseurin und Hochschuldozentin Doris Sophia Heinrichsen füllt jene Leerstelle aus, die der bisherige Hausherr verursachte. Jetzt erst – denn nur eine professionelle Opernregie kann in so kurzer Zeit und mit teils noch unerfahrenen Sängern etwas auf die Bühne stellen, das deren Auftritte stützt und beflügelt – lernen die jungen Solisten, wie wichtig alles Szenische für ihre Wirkung sein kann, jetzt erst darf auch das Publikum erleben, dass bloßer Rampengesang und Standardgesten wie Schöpfen und Streuen mit einer lebendigen Opernaufführung nichts zu tun haben.
Schon der erste Blick auf die Bühne zu Mozarts „Zauberflöte“ macht klar, dass das Regieteam keine Klischees bedienen wollte: Der leicht wandelbare Einheitsraum von Jens Hübner zeigt eine Bibliothek als Symbol des Forschens, Wissens und Bewahrens alter Werte. Ein junges, heutig wirkendes Mädchen (Pamina) blättert und vertieft sich in die alten Bücher und Folianten, ein junger Mann (Tamino) mit Schal und Sneekers kommt hinzu. Ein Portalschleier, gekonnte Beleuchtung, dezente Projektionen im Hintergrund und etwas Phantasie genügen, um die zauberischen Elemente zu verwirklichen. Auf die detaillierte Personenführung kommt es an, auf das, was die Menschen auf der Bühne spiegeln.
Die drei Damen hat Kostümbildnerin Chrysenda Sailmann zu forschen Walküren aufgebrezelt, die Königin der Nacht auf ihrer Mondsichelschaukel trägt wie ihre Tochter Pamina eher Klassisches, auch die Führungsmannschaft in Sarastros Welt darf in hellem Brokat schwelgen; nur der Mantel von Monostatos ist dunkel. Die von Lorenzo da Rio vom Landestheater Coburg hervorragend einstudierten Choristen treten in Businesskleidung auf, die heutigen Glanzlichter setzen Papageno und Papagena: Er sieht in seiner Cowboykluft aus wie ein gar nicht depressiver Heath Ledger in „Brokeback Mountain“ – und die zunächst alte Papagena ist ungefähr so umwerfend wie eine Mischung aus Miss Piggy und dem TV-Quasselquotenhit Cindy von Marzahn.
Mit schönen Einfällen, einfachen und unterhaltsamen Mitteln wird die Handlung erzählt, wird klar, dass beide Seiten, sowohl die Königin der Nacht als auch ihr Gegenspieler Sarastro, Pamina und Tamino letztlich nur benutzen, um sich aus der eigenen Stagnation zu befreien. Die Inszenierung wertet nicht, verkneift sich Schuldzuweisungen und stellt die beiden jungen Paare in den Mittelpunkt, die auf ganz unterschiedliche Weise reagieren und sich aus den Machtspielen der Elterngeneration ausklinken.
Unterschiedlich sind nicht nur das klassische hohe und das niedere Paar, unterschiedlich sind auch die Hauptsolisten. „Feuer“ und „Wasser“ wurden die Ensembles getauft, in denen jeweils Sarastro, Tamino, die Königin der Nacht, Pamina und Papageno alternierend besetzt sind; nur in der fünften und letzten Vorstellung am 26. Juli treten die Feuer- und Wassersänger aktweise auf. Dass alle fremdsprachigen Nachwuchssänger mit den Sprechtexten der „Zauberflöte“ ihre Probleme hatten, war nicht zu überhören und wohl in erster Linie ein Zeitproblem.
In der Gesamtwirkung schoss bei der Premiere am 20. Juli eindeutig Ludwig Obst als hinreißender Papageno den Vogel ab – ein agiler Sängerdarsteller, der keine Probleme haben wird, trotz großer internationaler Konkurrenz in unserem Musiktheaterwunderland Karriere zu machen. Ihm konnten nur noch die Sopranistin Danae Kontora als Königin der Nacht mit geläufigen Koloraturen und die sehr gut aufeinander abgestimmten und spielfreudigen drei Damen Simone Krampe, Isabel Segarra und Ulrike Malotta das Wasser reichen. In den kleineren Partien ließen Florentine Papst als Papagena mit Mut zu prolliger Hässlichkeit sowie der prägnante Tenor von Ferdinand Kellers 2. Priester und 1. Geharnischten aufhorchen. Und natürlich Julian Romanowsky, Benedikt Hillringhaus und Raphael Häußler, drei Augsburger Domsingknaben, allerliebst in ihren Schuluniformen à la Hogwards – ebenso wie die zierliche Korrepetitorin Yuka Beppu am Hammerklavier und am Tastenglockenspiel.
Die Premiere am 22. Juli präsentierte ein deutlich geschlosseneres Ensemble, sowohl in den gesanglichen als auch den darstellerischen Leistungen, mehr Doppelbegabungen eben. Jedenfalls widerlegte der sehr lebendige und leuchtkräftige Tamino von Saya Lee das europäische Vorurteil, dass Asiaten keine guten Schauspieler seien. Jasmin Maria Hörner überzeugte als Pamina mit ihrer in allen dynamischen Abstufungen farbenreichen und berührenden Stimme, Svetlana Merzlova gab ihrer Königin der Nacht so viel Drive, dass man selbst in der letzten Reihe etwas unruhig werden konnte.
Im Vergleich mit seinem Sarastro-Kollegen machte Bartosz Szulc in jeder Hinsicht die bessere Figur, auch wenn diesem ausdrucksstarken Bassist noch das notwendige Quäntchen an Sicherheit fehlt. Oliver Pürckhauer gab den Papageno so kammersängerlich, dass man sich ihn sofort in vielen anderen Rollen vorstellen konnte. Auch alle weiteren Solisten leisteten Beachtliches; ob es bei ihnen für eine Profilaufbahn reicht, wird sich weisen. Viel gelernt haben sie garantiert, nicht nur bei den Meisterklassen mit der wunderbaren Angelika Kirchschlager. Die Sommeroper ist ja ein Projekt, das es den jungen Sängern leichter macht, für sich selbst Antworten zu finden.
Wie wichtig und richtig es war, sich nach Puccini und Leoncavallo in den Anfangsjahren auf die Interpretation von Mozart-Opern zu konzentrieren, stellt die orchestrale Wiedergabe an beiden Abenden schlagend unter Beweis. Da ist unter fachkundiger An- und Gesamtleitung ein veritables Barockorchester entstanden, in dem Naturhörner, -posaunen und -trompeten nicht nur selbstverständlich sind, sondern auch so klingen. Und die Streicher haben hörbar viel bei John Holloway, einem Pionier der britischen Alte-Musik-Szene, gelernt.
Dass die historisch informierte Aufführungspraxis für Till Fabian Weser eine Herzenssache ist, versteht sich von selbst. Schließlich ist er unter anderem bei Roger Norrington in die Dirigierschule gegangen. Eine „Zauberflöte“ ohne Vibrato mag für manchen Zuhörer fremdartig klingen. Umso glücklicher darf Bamberg sein, diese aufregende Erfahrung in seinem kleinen Stadttheater bieten zu können. Großer, anhaltender Jubel für alle Beteiligten. Natürlich wird es, muss es mit der Sommeroper weitergehen – in unserem schönen E.T.A.-Hoffmann-Theater.