Wer war Wagners zweite Frau jenseits von Wagner?

Die feministische Autorin Sabine Zurmühl zeigte beim Wagnerverband auf, dass es sich lohnt, Cosima Wagner mit weiblichen Augen zu sehen.

Von Monika Beer
Cosima Wagner, porträtiert von Franz von Lenbach im Jahr 1879 (Öl auf Leinwand)

Cosima Wagner, porträtiert von Franz von Lenbach im Jahr 1879 (Öl auf Leinwand)

Zuhören können, genauer hinschauen, sich ohne Vorurteile einlassen auf einen anderen, ja, auch sich einfühlen, ohne sich deshalb gleich gemein zu machen: Das alles sind Eigenschaften, die beispielsweise gute Journalisten auszeichnen, aber auch gute Mediatoren. Dass Sabine Zurmühl in beiden Professionen exzellent ist und darüber hinaus eine wunderbare Biografin, davon konnten sich jene fast fünfzig Zuhörer überzeugen, die am 7. Juli trotz großer Hitze zu ihrem Vortrag über Cosima Wagner ins Hotel Bamberger Hof gekommen waren.

Schon die Ankündigung dieser Veranstaltung des Richard-Wagner-Verbands Bamberg hatte neugierig gemacht. Denn die feministische Autorin hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem gängigen, eher abschätzigen Urteil über Richard Wagners zweite Ehefrau etwas entgegenzusetzen. Ohne deshalb zu beschönigen. So stellte Zurmühl an den Beginn ihres Vortrags mit dem Titel „Theuerste Freundin …“ vorab Ausführungen zu Cosimas Antisemitismus, wie er vor allem deren zweite Lebenshälfte unübersehbar begleitete.

Die biografische Annäherung begann dann mit der spannenden Frage, wie es wohl geklungen haben mag, wenn die 1837 am Comer See geborene Francesca Gaetana Cosima d’Agoult-Liszt gesprochen hat. Schon die bunte Mischung an Nationalitäten und Dialekten in ihren Familien eröffnet viele Optionen – von der unterschiedlichen sozialen Herkunft ganz zu schweigen. Um zu entdecken, wer diese Frau jenseits von ihrem berühmten Mann Richard Wagner war, lohnt es sich also, ihre Kindheit und Jugend näher zu betrachten.

Ein berühmtes Liebespaar als Eltern, das nur höchst selten Zeit für seine drei illegitimen Kinder hat: Marie d’Agoult und Franz Liszt überlassen ihren Nachwuchs wechselnden Erzieherinnen – und hin und wieder in Wien der Großmutter, wo sich die Geschwister sich endlich auch von einer Erwachsenen geliebt fühlen dürfen. Später schreibt Cosima, sie sei „seltsam enterbt“ zur Welt gekommen, mit dem ein- und ausschwebenden Virtuosenvater und der aristokratischen, gleichwohl intellektuellen und streitbaren Mutter, die erfolgreich aus ihrer Rolle fiel.

Immerhin lernt, „erbt“ Cosima etwas, das laut Zurmühl in ihrem späteren Erwachsenenleben unendlich hilfreich sein sollte: sich bis in die höchsten Kreise sicher zu bewegen. „Die Kinder leben in einer sozialen Spannung zwischen Extremen, die des Hochadels mit Eintritt nur qua legitimer Geburt sowie der gleichzeitigen Erfahrung, dass der große soziale Unterschied zwischen den Eltern überbrückbar schien durch die Kunst, durch die Kreativität, die Besonderheit, den Zugang zur Musik.“

Kein Wunder also, dass Cosima in erster Ehe den Liszt-Schüler und Wagner-Bewunderer Hans von Bülow heiratete. Dass sie selbst musikalisch hochbegabt war, bestätigte der schon vor seiner Eheschließung, die die meisten Biografen später nur als „Freundesopfer“ interpretieren sollten. Bülow sprach ihr nicht nur Talent, sondern Genie zu und glaubte, „im Spiel von Mademoiselle Cosima den ipsissimum Lisztum – das Eigentlichste, Innerste von Liszt – zu erkennen.“ Anders gesagt: „Vielleicht opferte sich nicht Bülow für sie, sondern sie sich für ihren Vater, indem sie einen Weg wählte, der seine Zustimmung finden konnte.“

Ihr erstes Aufeinandertreffen mit Wagner während ihrer Hochzeitsreise im September 1857, dem sie in einer Art Zuneigungsbezeugung zu Füßen fiel, kommentierte dieser in einem Brief an Bülow: „Der übelste Feind Cosima’s ist ihr Temperament: sie ist von gar zu außerordentlicher Herkunft, und deshalb schwer zu hüten.“ Natürlich sieht Zurmühl das etwas anders: „Cosima Wagner wurde im Laufe ihres langen Lebens schließlich eine mächtige Frau, eine Bestimmerin und nach ihrer eigenen Einschätzung Handelnde. Für die frühen Jahre aber gilt, dass sie von sehr vielen Seiten gemaßregelt, erzogen, behindert, ermahnt, eben domestiziert werden sollte und sich diesen Ansinnen mit ihren Mitteln widersetzte. Ihr Temperament war eben nicht ihr Feind, sondern eine Gabe, ein Ventil, das sie glücklicherweise besaß.“

Auch andere Frauen, die Cosima freundschaftlich verbunden waren, haben sie anders gesehen. Die Besonderheit der Biografie, an der Sabine Zurmühl noch arbeitet und die voraussichtlich in einem Jahr erscheinen soll, ist gerade, dass sie immer wieder Quellen zitiert, die man nicht so genau oder noch überhaupt nicht kennt. So ließ sie bei ihrem Vortrag unter anderem ausführlich Ellen Franz (die spätere Helene von Heldburg), Marie von Schleinitz (geborene von Buch, spätere Wolkenstein, genannt Mimi), Malwida von Meysenbug und die Sopranistin Anna von Mildenburg (später Bahr-Mildenburg) im Briefwechsel mit Cosima zu Wort kommen.

Mit Ellen Franz, eine von Bülows Klavierschülerinnen, korrespondierte Cosima auf Englisch in großer Offenheit und Innigkeit über ihre ersten Schwangerschaften und die Verwirrung, die neuerliche Zusammentreffen mit Wagner bei ihr auslösten. Und im sehr umfangreichen Briefwechsel mit Marie von Schleinitz kam Cosima am 21. Mai 1871 just auf jene Frage zu sprechen, mit der auch der Vortrag begonnen hatte. Über die Probleme mit ihrem Vater schreibt Cosima:

„… eine seltsame Auesserlichkeit lähmt mich dabei noch besonders: die französische Sprache hat ganz aufgehört für mich die Sprache des Herzens zu sein; französisch klang alles, was mich verwundet, deutsch, was mich geheilt hat; deutsch sprach zu mir meine alte gute Grossmutter, die meine Kindheit liebte, französisch dagegen die Gouvernanten und Adoptiv-Mütter, die sich meiner annahmen, deutsch war die Zuflucht, die meine Geschwister und ich vor deren Pflege suchten; das Elend unserer Ehe bestreuten wir, Herr von Bülow und ich, mit dem Pfeffer des französischen Witzes. Mit dem ersten deutschen Brief, den ich Wagner – und auch überhaupt – schrieb, hat der ewige Augenblick meiner Erlösung geschlagen, deutsch ist mein Glauben, meine Liebe, mein Hoffen, und nichts Herzliches fällt mir auf Französisch ein; meinem Vater kann ich aber nicht plötzlich deutsch schreiben, ohne dass er sich nicht recht verwundere.“

Cosimas große Zweifel am Glück, das sie im Zusammenleben mit Wagner empfindet, schildert sie unter anderem ihrer mütterlichen Freundin Malwida von Meysenburg. „In Wahrheit theuerste Malwida“, schreibt sie im März 1876, „zuweilen dünke ich mich das einzige glückliche Geschöpf auf diesem Erdenboden, und beinahe empfinde ich Gewissensbisse es zu sein! Sehe ich des einzigen Mannes Genie ausstrahlen, sehe ich, dass er, unter der Pflege von mir … sich wohl fühlt, und ungehindert Seine Liebe und Kraft ausströmen kann, dann drohe ich in der Betrachtung des Uebermasses des Guten, welches mir ward, zusammenzubrechen, und nur die vollste Erkenntnis meines Unwerthes, und der reinen Gnade, die mir wurde, rettet mich.“

Rund zwei Jahrzehnte später – nach Wagners Tod 1883, der sie zunächst in schier unendliche Trauer versetzt, übernimmt Cosima die Leitung der Festspiele und festigt sie als Institution – schreibt Anna von Mildenburg, Bayreuth-Debütantin als Kundry, über sie: „Ihr Gang hatte etwas Unkörperliches, Gleitendes, aber dabei doch wieder etwas ganz Unnachgiebiges, Bestimmtes, Willendurchdrungenes, und das stand ebenso deutlich auch auf dem langen, schmalen, blassen Gesicht geschrieben, über dessen hoher Stirne sich prachtvolles ergrauendes Haar weich um den Kopf schmiegte und aus dem mich zwei unendlich gütige Augen grüßten, während es mir aber doch war, also ob sie meine ganze Seele absuchten und abschätzten und sich meines ganzen Wollens bemächtigten.“

Apropos: Nicht umsonst schmückte Sabine Zurmühl das Rednerpult zu ihrem Vortrag mit einem Cosima-Porträt von Franz von Lenbach aus dem Jahr 1879. Das mochte zwar die Porträtierte nach eigenen Aussagen nicht besonders, aber ihre aktuelle Biografin schon deshalb, weil es vieles in der Schwebe lässt. Die Kostproben aus ihrer Cosima-Biografie, die die Autorin gekonnt mit den notwendigen kleinen Mitdenkpausen vortrug, machten Appetit auf mehr. Zumal Zurmühl nicht zu jenen Feministinnen gehört, die vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehen. Auf ihrer Homepage zitiert sie nicht etwa eine Frau, sondern Gotthold Ephraim Lessing mit folgenden Sentenzen von 1763: „Sieh überall mit Deinen eigenen Augen. Verunstalte nichts: beschönige nichts. Wie die Folgerungen fließen, so laß sie fließen. Hemme ihren Strom nicht; lenke ihn nicht.“