Die Googlonische Brille

Werner Schwarzanger

Christian Schwägerl: „Die analoge Revolution“

In seinem augenöffnenden Buch „Die analoge Revolution“ zeigt Christian Schwägerl, worauf die Verschmelzung von Internet und Natur: „die moderne Attraktion schlechthin“ – mit uns hinauswill. Ihre Vorteile sind atemberaubend. Viele erhoffen von ihr eine nie dagewesene Basisdemokratisierung, die sich jeder nationalstaatlichen Kontrolle entzieht. Den Fortschritt fliegen lehrend bricht sie aus der zweiten Dimension auf in die dritte, vereinnahmt die gesamte analoge Welt und verdichtete das größte Netz aller Zeiten schließlich zur technologischen Singularität. Doch: was ist das?

Alle, so Schwägerl, „tippeln auf ihren Smartphones und streicheln ihre Tablets“, als ob damit nichts geschehe. Doch was geschieht?

Eine Clique „von IT-Oligarchien in Großkonzernen und Geheimdiensten“ lässt die überwachsam veröffentlichte Gesellschaft pro forma Demokratie weiterspielen. In diesem scheinbar wie gehabten Vordergrund zeigt sich der konnexische Abgrund des digitalen Allverrechenraums noch nicht so, dass wir davor schon erschrecken könnten.

Während wir uns damit abfinden, dass die digitale Revolution aller Analogie – dies meint verkürzt der Titel des Buches – unsere Umwelt und unser gesamtes Zusammenleben zu einer kommerziellen Datenwolke umfunktioniert, die sich den Globus als Werbefläche erspiegelt, auf der wir als durchleuchtete Abziehbilder kleben, sucht GRÖNAZ, technatürlicher Supercyborg und singuläres Antiprinzip zur unterworfenen Natur, nicht nur auf sämtliche globalen Datenströme als Werbeflächenressourcen, sondern dafür auch auf jedermanns „genetisches Profil, seine Gehirnbilder, seine gesamte Online-Historie“ schrankenlos zuzugreifen.

Für den schließlich Alle grönazistisch durchregierenden tiefen Geheimstaat bereitet Ray Kurzweil, GRÖNAZ’ fanatischster Fan und Director for Engineering bei Google, die Kernverschmelzung aller relevanten Hochtechnologien vor. Allgegenwärtig soll die Antisingularität, die als DAS digitale „Nervensystem in jedes Wohnzimmer reicht“ und jeden besser kennt als er sich selber und seine Fragen beantwortet, bevor er sie stellt, das ganze Leben aller bald acht Milliarden Menschen transformatorisch umfassen. Die Losung für dieses Ziel, in der sich die IT-Konzerne einig sind, lautet: Erstens alle Informationen werbeeinnahmenmaximierend zu strukturieren – und zweitens alle Onlinehirne so zu waschen, dass sie post privacy sich „vermarktungsfähig preisgeben“  w o l l e n. Besessen von dieser geschichtssprengenden Vision ist für Google Geld nicht mehr so wichtig. Zwar sind die verblassten humanistischen Ideale Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit diesem Ziel noch immer im Weg. Aber über das hintergründig immer Arpanet gebliebene Internet hat Amerika sich längst zur militaristischen Überwachungsdiktatur gemausert, die im heimlichen Weltkrieg wider den freien privaten Bürger alles menschliche Tun und Lassen vorratsspeichert, prozessiert und weiterverwendet.

Wenn Faschismus die Aufhebung des freien Einzelnen in ein Totum bedeutet, dann bereitet sich über GRÖNAZ in der gänzlich neuen Form des in keepsmiling gehüllten Datentotalitarismus das definitive Comeback und der Endsieg des Faschismus auf Erden vor. Schon jetzt geraten die Führer der Megakonzerne ins Schwärmen darüber, wie effizient ihre Portale sich virenschnell verbreiten. Das allmächtige digitale Tiefenimperium liegt so greifbar vor ihren Händen, dass sie ihre „Weltherrschaftsfantasien“ erst gar nicht mehr verhehlen.

Wie dann das ganze Leben aussehen könnte, wenn das technatürliche Online-Leben nicht mehr wie eine Insel in das altnatürliche Offline-Leben eingebettet, sondern dieses restlos ins GRÖNAZ aufgelöst wäre, hat Schwägerl in seinem Szenario von „Googlonia“ angedeutet. In diesem Weltgeheimstaat herrscht der Datenbrillenzwang. Demokratie hat sich damit mirnichtsdirnichts in einen kryptofaschistischen Globalkonzern aufgelöst. Mit der überwachsam blickformenden Datenbrille „schiebt eine Firmenanschauung zwischen Ich und Welt einen Filter von handfesten Interessen und ständigen Anreizen zum Konsumieren“. Offline ist strengstens verboten. Damit hat sich das Verhältnis von erster und zweiter Natur umgekehrt: Die Singularität des weltbildmachenden Verrechenraums wird die erste „Natur“ – und die bloß natürliche folgt sekundär. Eingebettet in den im unsichtbaren Hintergrund kooperativ entscheidenden Maschinenpark des „Internets der Dinge“, durch das Waren strömen wie Wasser und Luft – und umschwirrt von Robodrohnen –, ist „der Brillenträger der Gesehene, und das, was ihn sieht … eine kollektive Rechenkraft, die jede menschliche Dimension übersteigt“.

GSI: Google Security International sieht immer mit und greift auf alles zu, was alle sehen. Und die „biogeosoziopsychotechnologische Totalität“ aufrechtzuerhalten, muss jedermann rund um die Uhr die GSI-Brille tragen, die jedes menschliche Sichtfeld in einen Bildschirm verwandelt mit einem Mix aus Dauersound, Werbung, Nachrichten, Navigationsinfos, Wettervorhersagen usw. Die googlonische Brille hat keinen Ausschaltknopf. Schwägerls als beklemmende Horrorvision von „Googlonia“ zeigt konsequent, wozu GRÖNAZ sich auswachsen will. GRÖNAZ will GRÖHAZ werden: DAS singuläre digitale Superhirn.

Gewiss: derzeit überwiegt das Misstrauen gegen Google Glasses. Google musste seinen Eifer vorerst etwas dämpfen. Doch es  k a n n  so kommen, wie Christian Schwägerl es schildert. Die Infrastruktur für Googlonia wird unaufhaltsam perfektioniert. Schon nächstes Jahr streichen die Finnen die für die Ausbildung des menschlichen Gehirns und für das gründliche Denkenlernen schlechthin unentbehrliche Schreibschrift zugunsten der PC-Tastatur aus dem Lehrplan. Die Schweizer folgen. Googlonia lässt grüßen.

Die analoge RevolutionChristian Schwägerl
Die analoge Revolution
Wenn Technik lebendig wird und die Natur mit dem Internet verschmilzt
Riemann Verlag, 2014
22,99 €

2 Gedanken zu „Die Googlonische Brille

  1. Ein wichtiger Artikel/ein wichtiges Buch. Die schleichende Zunahme der Überwachung durch Google, NSA, SEPA-Konten, Facebook etc. macht uns so transparent, daß wir so überwachbar sind, daß eines Tages die Gestapo, die Stasi und brave new world uns wie Kinderfasching erscheinen könnte.
    Aber man hat ja nichts zu verbergen.
    Wer anders denkt, ist ein dümmlicher Verschwörungstheoretiker, oder?

Kommentare sind geschlossen.