Peter von Liebenau
Der Herbstregen peitscht hernieder. Alle Touristen sind weggefegt. Die letzten Schirme verhaken sich vor dem Schlenkerla wie in Salzburgs Getreidegasse vor dem Mozarthaus. Bei uns in Bamberg ist die Stimmung besser: Rauchbier wirkt stärker als Mozartkugeln.
Der Schriftsteller freut sich. Die Menschen müssen in die Buchhandlungen – so hofft er jedenfalls. Sie müssen mehr lesen, mehr nachdenken, über den Sinn ihrer Reise, ja vielleicht sogar über den Sinn der Welt, des Daseins, des Lebens.
Oder über die höheren Weihen der Stadt. Über eine Stadt-Philosophie, über die Idee, die speziell Bamberg wohl zugrunde liegt – weshalb alle Bamberger irgendwie Philosophen sind, wie wir schon sagten und dies anhand unseres Straßenkehrers verifizierten.
Die Stadt Bamberg ist ja kein rein materielles Phänomen; sie verkörpert auch eine Idee, wie freilich alle Dinge dieser Welt. In Bamberg merkt man das aber besonders deutlich. Überhaupt hat die Stadt etwas Außergewöhnliches, fast Unbegreifliches. Am besten sagt man wohl: Sie gleicht einer geheimnisvollen Schönheit – der Donna Anna etwa, die dem Don Juan E.T.A. Hoffmanns in einer Bamberger Theaterloge erscheint.
Was Bamberg so anziehend macht, ja geradezu unsere Liebe erweckt, ist sicher diese Idee, eine mit dem Äußeren verwobene, ganz besondere Atmosphäre, ein – bei aller Kritik – tiefer liegender, ergreifender Charme, den man empfindet, wenn man die Stadtlandschaft betrachtet oder sich in ihr bewegt und mit manchen hier lebenden Menschen Umgang pflegt.
Menschen, die sich vor der Silhouette der Stadt abbilden lassen, gewinnen mit einem Mal „Hintergrund“, geistige Tiefe, die man ihnen sonst vielleicht gar nicht zugetraut hätte. Diese Eigenschaft wird gern von Politikern oder der Werbung genutzt. Aber auch der Maler Wolfgang Katzheimer hat sich einer Ansicht Bambergs bedient, als er 1483 die Szene des Apostelabschieds wiedergab. Bamberg schien ihm würdig, die Stadt Jerusalem zu repräsentieren und war am Ende des 15. Jahrhunderts besonders häufig auf Bildern zu sehen.
Wir fragen uns deshalb – wie es sich schon andere vorher gefragt haben (Meyer, Benevolo, Schneidmüller u. a.) –, inwieweit nun dem Bamberg-Bild und seinem Charme diese weit in der Vergangenheit liegende und bis in die Gegenwart hinein wirkende Idee zugrunde liegt und wie sie zu fassen ist. So mancher, der in Bamberg wohnt oder die Stadt besucht, hat neben dem Eindruck des Wiedererkennens das Gefühl, immer noch etwas „Anderes“, einen besonderen, ideellen Zusammenhang „hinter“ den Häusern, Plätzen und Mauern entdecken oder wiederfinden zu können. Immer wieder gibt es – selbst für Einwohner – Führungen nach dem Motto „Unbekannte Seiten Bambergs entdecken“.
Man nähert sich speziell unserer Stadt „mit Herzklopfen“, wie es bei Johanna Baronin Herzogenberg heißt. Manche haben auch ein Déjà-vu-Erlebnis. Wie eine unsichtbare Folie liegt jene ideelle Ebene, jene Bedeutungs-Dimension mit ihren geistigen und geistlichen Inhalten über den Straßen und Plätzen – so wie es sonst nur selten der Fall ist. Noch im Antlitz einiger Bürger scheint sich das Bewusstsein von einem Geist der Stadt widerzuspiegeln – vielen anderen fehlt das freilich.
Gehen wir doch erst einmal in eine Buchhandlung, kaufen uns philosophische Bücher und gute Stadtführer, auch über andere Städte. Über das urban-charmante Paris, über Narbonne, Antibes oder Torcello. Und vielleicht begegnet uns ja eine geheimnisvolle Schönheit. Dann sehen wir weiter.