Musik in aller Munde. Ein Tanz in den Mai und die Folgen. Nebst einem Haiku und zwei Anagrammen.

Alles Walzer oder was

Wovon (sagt er) soll man reden in dieser
beispiellosen Zeit des Überschwangs alles

wirft sich explizit in Schale lässt Feinkost &
noch feineren Sekt auffahren allerliebste

Minneliedersängerinnen schweben leicht
bekleidet und beschwipst über purpurrote

Teppichbahnen heben Gläser Beine liefern
Quoten liederliche Partyprinzen (sagt sie)

drehen eine Extrarunde sprechen herzlich
wenig machen lieber anderweitig von sich

reden alle schönen Indiskretionen (sag ich)
sind am Tag danach Musik in aller Munde

Brigitte Fuchs

Von Chrysostomos

Nun ist sie also da, die „beispiellose Zeit des Überschwangs“, in welcher, wie es bei Brigitte Fuchs heißt, nicht bei Emanuel Geibel, „allerliebste / Minneliedersängerinnen schweben“, sogar, wie es sich für den Wonnemonat wohl schickt, nur licht und „leicht / bekleidet und beschwipst“ (von Maibowle vielleicht). Da kann man schon mal, als „liederlicher Partyprinz“ sowieso, taktlos werden, selbst auf die Gefahr hin, daß diese „schönen Indiskretionen“ anderntags „Musik in aller Munde“ sind. Von einem Tanz (in den Mai) erzählt Fuchs hier, von einem Walzer, von wenigstens zwei Herzen im Dreivierteltakt, vielleicht auch von dreien, von einer ménage à trois, zwischen „er“, „sie“ und dem lyrischen „ich“.

Brigitte Fuchs ist 1951 in Widnau im Kanton St. Gallen geboren, hat in Rorschach eine Ausbildung zur Primarlehrerin (wie es in der Schweiz heißt) genossen, lebt seit Jahrzehnten in Teufenthal im Aargau, wo sie Gedichte schreibt und sich auch der bildenden Kunst, der Zeichnung, dem Aquarell, der Radierung und der Lithographie widmet. Für ihre Lyrik ist sie unter anderem – das war 1991 – mit dem Ringelnatz-Preis ausgezeichnet worden und hat somit, wie es in den Cuxhavener Vergaberichtlinien heißt, einen „bedeutenden, künstlerisch eigenständigen Beitrag zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ geliefert. Die bislang letzte Joachim-Ringelnatz-Preisträgerin heißt im übrigen Nora Gomringer, die sich im vergangenen Jahr über 15 000 Euro freuen durfte.

„Alles Walzer oder was“ ist zu finden in der von Axel Kutsch herausgegebenen Anthologie Versnetze_vier. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart (Weilerswist: Verlag Ralf Liebe, 2011). Auf etwas über 300 Seiten sind nicht weniger als 216 Lyrikerinnen und Lyriker versammelt, vernetzt nach Alter, beginnend mit dem jüngsten Autor, und Region, vom Norden hinunter in den Süden. Kutsch, der selbst mit zwei Gedichten vertreten ist, statt sich zurückzuhalten, hegt die Absicht, ein „möglichst umfassendes Panorama lyrischer Schreibweisen zu entwerfen, in dem der bodennahe Vers ebenso seine Berechtigung hat wie der experimentelle Umgang mit dem Wort“. Berücksichtigt werden auch im Ausland lebende Lyriker deutscher Zunge, beispielsweise Manfred Peter Hein, der seit scheinbar ewigen Zeiten schon im finnischen Espoo zu Hause ist. Das Franken-Quartett besteht aus Tobias Fahlberg (Oberasbach, Jahrgang 1976), Ulrich Speer (Kitzingen, 1960), Fitzgerald Kusz (Nürnberg, 1944) und dem Kronacher Ingo Cesaro, geboren 1941.

Cesaro ist vor allem bekannt als Haiku-Dichter, und dieser traditionellen japanischen Gedichtform aus drei Versen von je fünf, sieben und wiederum fünf, also insgesamt siebzehn Silben, widmet sich auch Brigitte Fuchs. In dem hier folgenden Beispiel gelingt es ihr aufs schönste, Handwerk und Jahreszeit, Natur (wie es der Haiku in Japan verlangt) in das knappe Gedicht zu holen:

Ich zähle Silben.
Draussen schneidet der Nachbar
die Lorbeerbäume.

Fuchs spielt gern, und auf engstem Raum, mit der Sprache („Logisch: Wer mehr Mäuse hat, / kann sich mehr Katzen leisten.“), auch in Anagrammen („DICHTERLESUNGEN – / GERNE STUENDLICH) wie diesem:

Nach drei Bieren

Nach drei Bieren,
Bach, deine irren
Ideen, Bach, irren
ab, erinnere dich!

Nach drei Bieren,

Bach, irren deine
Beine, ach, irrend
in Randbereiche
ab, erinnere dich,

…………….Bach!

Schließen wir aber so, wie wir begonnen haben, mit dem Frühling, mit dem Tanz, mit der Liebe:

Du sagst, du kannst tanzen, nun tanz!

Das Wasser der Zukunft zieht an uns
vorbei der Stadt zu. Es ist Mittag, es ist
Abend. Die Kinder bedienen uns mit
Glück, mit Glas. – Mutter, da steht ein
Freier vor der Tür … – Wir bücken uns
nach dem Frühling und erwachen im
Sommer. Wir staunen, wir drehen uns,
mischen Seife ins Wasser und blasen.

6 Gedanken zu „Musik in aller Munde. Ein Tanz in den Mai und die Folgen. Nebst einem Haiku und zwei Anagrammen.

  1. Chapeau!
    Ein feiner Artikel, der eben genau diese Vielfältigkeit des Umgangs mit Sprache, die Brigitte Fuchs beherrscht, beschreibt! Eine berechtigte Würdigung!

    M. Meise

  2. na das ist doch mal was
    so eine lange belobigung sah ich kaum
    und eine akribische dazu
    und auf den punkt gebracht obendrein

    ich gratuliere dir
    du hast es dir erarbeitet
    wenn frau das bei dichterischer arbeit
    so nennen kann

    rosadora

  3. Ein schöner Beitrag an diesem grauen Morgen und, wie ich finde, eine verdiente Würdigung von Brigitte Fuchs. Man sollte an dieser Stelle unbedingt auf ihren Blog „Quersatzein“ verweisen, der auf wunderbare Weise ihre Bilder und Texte, Haikus und andere sprachliche Finessen vereint und mir jeden Tag viel Freude macht.
    https://www.brigittefuchs.ch/serendipity
    Viele Grüße
    Tanja Wehr

  4. ein mai-poetischer artikel, der freude macht! tänzerisch in den tag also! bamberg-online sei dank!

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