Ankunft im Hades
In des Hades Grüfte trat ein neuer Gast.
„Sei Genosse, uns willkommen!
Sprich, was du vernommen
Auf der Erde schöner Fluren hast.
Sprich uns von der vielgeliebten Sonne Glanz
und von rosenroten Wangen;
Sag, ob fröhlich schwangen
Kleine Mücken den geschwinden Tanz.
Sahst Du Liebchen Hand in Hand beim Abendmond?
Über unsern Leichensteinen
Sahst du uns beweinen
Jene Schar, die froh im Lichte wohnt?
Ihnen rinnt der Tränen holder Tau
Der befreit und löst die Schmerzen
Wie das Eis im Märzen
Frühlingswinde wonnevoll und lau.“
„Lenz war droben, da von dannen ich gemusst.
Mit in Eure Grüfte
Bring ich Veilchendüfte:
Diesen vollen Strauß an meiner Brust.“
Seht, da ruhn die Danaiden;
Von der Qual muß auch Tantalus sich wenden
Und jäh aus müß’gen Händen
Stürzt der Stein des Sysiphus zu Tal.
Ricarda Huch
Judith Aumüller-Kirchschlager
Schriftstellerin, Historikerin, Philosophin, Dichterin. Richarda Huch, geb. 1864 im Taunus, Studium, Aktivistin in der Frauenbewegung und hochpolitisch. Historische Romane entstehen, historische Werke, persönliche Wertungen scheut sie nicht. Sie erarbeitet die Geschichte des Risorgimento, der „italienischen Einigung“ unter Giuseppe Garibaldi. Scharfe Regimekritikerin Hitlers. Ihre Wohnung – ein Gesprächsort, in der neben Künstlern und Wissenschaftlern auch Personen verkehren, die direkt oder indirekt am Attentat auf Hitler am 20.7.1944 beteiligt waren. Bewußtseinsinseln. Sie ist maßgeblich verantwortlich für die Einprägung der Weißen Rose und der Geschwister Scholl für die Nachwelt. Ehrendoktorwürde an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität. Ein Ehrengrab in Frankfurt. Die Liste ist lang. Eine besondere Frau. Eine Weltfrau. Hohe Qualität und beeindruckender Stil zeichnen ihre philosophische und literarische Arbeit aus, selbstredend auch die Nische ihrer lyrischen Arbeit, geprägt von tiefem Einfühlungsvermögen, zarter Empfindsamkeit und großer Schönheit.
Dieses herausragende Niveau hat wohl auch Hans Bethge um 1906 bewegt, Richarda Huch und ihr kleines wunderbares Nischenwerk in seine bedeutende Sammlung von lauter großen und kleinen poetischen Wundern „Deutsche Lyrik seit Liliencron“ aufzunehmen. Seine Anthologie sollte ein Zeichen setzen gegen die, wie er selbst schreibt „schriftstellerische Niveaulosigkeit der 1880er Jahre“. Er beklagt „dieses Niveau, stagnierend und trivial, oft bis zum Unerträglichen, war allerdings einer trostlosen Öde des Geistes und des Geschmacks verfallen“. Bethge sah Detlev von Liliencron, daher im Titel genannt und geschätzt als würdiger Vertreter der alten Epoche, als „blitzende Grenzscheibe einer charakterlosen Übergangszeit“.
Hans Bethges Sammlung ist gefüllt mit makelloser, kraftvoller, magischer Lyrik. Große Namen reihen sich aneinander. Otto Julius Bierbaum. Hermann Hesse. Agnes Miegel. Friedrich Nitzsche. Rainer Maria Rilke. Perle reiht sich an Perle, eine vollkommener als die andere. Beinahe unauffällig und fast harmlos mag manches kleine Meisterwerk scheinen, verborgen und bescheiden. Die Kleinodien verbindet jedoch allesamt tiefstes Empfinden, umfassende, unfassbare Schönheit und auch heute noch – schmerzliche Aktualität. Liebe, Sehnsucht und Tod bleiben die Dinge des Lebens, und die kommen eben niemals aus der Mode.
Vielleicht fällt Ihnen das Bändchen einmal per Zufall in die Hände oder es blinzelt Ihnen aus den dichtgedrängten Buchreihen eines ordentlichen Antiquariats – Lorang wahrscheinlich oder jenes im Schwertfegerhäuschen – zu. Nehmen Sie es vorsichtig an sich, blättern Sie behutsam und entdecken Sie – Poesie. Den Charme Gottes.