Mont Ventoux
dass Berg & Strommasten
wankten sich neigten
als ein Schwarm Amseln nieder-
ging
dass ein festeres Blau von Felsen
von der Provence Steinstücke
abbrach bröckeln ließ
die Kruste Salz
des Mont Ventoux
dass die Mitte des Februars mit
Winden verwehte Geröll
herab voller Angst
ins Tal glitt
alle Piniennadeln aus Apt
Avignon alle Farbe
der Fensterläden
zu waschen von den Armen uns
braun & herunter die Haut
Katharina Schultens
Von Chrysostomos
Der wohl bedeutendste Nachwuchspreis für deutschsprachige Lyrik ist gestern abend in der Centralstation in Darmstadt vergeben worden. Der Leonce-und-Lena-Preis 2013 ging an die Berlinerin Katharina Schultens; die beiden Wolfgang-Weyrauch-Förderpreise wurden Uljana Wolf, ebenfalls aus Berlin, und Tobias Roth (aus München gebürtig, aber in Berlin zuhause) zugesprochen. Schultens darf sich über ein Preisgeld von 8000 Euro freuen, die Gewinner der Förderpreise über je 4000 Euro.
Aus 469 Bewerbungen hatte ein dreiköpfiges Lektorat neun junge Autoren – die Altersgrenze lag bei fünfunddreißig Jahren – aus Deutschland und der Schweiz (Levin Westermann, Biel, der aber in einem deutschen Verlag veröffentlicht: luxbooks, Wiesbaden) zu einer öffentlichen Lesung ausgewählt, darunter allein vier aus Berlin. Die Jury, der unter anderen Ulrike Draesner und Joachim Sartorius angehörten, begründete ihre Entscheidung für Katharina Schultens so:
„Ausgezeichnet mit dem Leonce-und-Lena-Preis 2013 wird eine Gedichtreihe, die auf mutige und innovative Weise ein Kernstück der zeitgenössischen Welt in Blick und Sprache nimmt: das unter das System der Wirtschaft gekippte Subjekt. Es spricht eine rhetorisch versierte globale Playerin, ein Ich zwischen Chart-Analyse und Spekulation, betrieben dank Herdendynamo, müde im Labor. Eine Frau, die – noch immer ungewöhnlich – alle präsentiert, die jedes Register zu ziehen weiß und doch ins Stottern gerät, wenn Liebe oder Gott herbeischleichen im Licht schwarzscheinender Marubozu-Kerzen oder wenn in dark pools Dantes Hölle heraufscheint vom löchrigen Grund. Da scheitert er, der Versuch, „zwischen-d-durch ja auch noch ein wenig mensch zu sein“, in Gedichten, die virtuos und präzise Bewegungen des Stürzens, des Versuchens und der Verkoppelung zwischen verspätetem Mensch und System zu zeichnen wissen.“
Schultens ist 1980 in Rheinland-Pfalz geboren und lebt in Berlin-Kreuzberg. Sie studierte in Hildesheim, in St. Louis und in Bologna Kulturwissenschaften. Seit 2006 arbeitet sie an der Humboldt-Universität, seit vergangenem Jahr als Geschäftsführerin der Graduate School of Analytical Sciences Adlershof. Schultens debütierte 2004 in der Edtion Schrittmacher des Rhein-Mosel-Verlages mit dem Band Aufbrüche, dem „Mont Ventoux“ entnommen ist. In seinem Nachwort schreibt der ehemalige Villa-Concordia-Stipendiat Arnold Stadler: „Ich war dort [an der Washington University in St. Louis] angekommen im festen Glauben, daß Schreiben nicht lehrbar und nicht lernbar sei. Dann aber hat mir Katharina ein Konvolut mit Gedichten überreicht. Ob Schreiben lehr- oder lernbar sei: diese Frage verschwindet völlig beim Lesen. Als wäre es das Selbstverständlichste; und das Selbstverständlichste wäre, daß man so etwas nicht lernen kann; das Selbstverständlichste an solchen Gedichten wäre, daß sie überhaupt nicht selbstverständlich sind, daß keiner weiß, woher sie kommen. Und sie sind doch da.“ Inzwischen zählt Schultens zu den luxbooks-Autorinnen. Zuletzt erschien dort, in Wiesbaden, 2011 gierstabil.
Auch die Gewinner des Wolfgang-Weyrauch-Förderpreises veröffentlichen in eher kleinen, in unabhängigen Verlagen. Das traf sich gut, da gestern der Indie Book Day gefeiert wurde, der Tag der unabhängigen Verlage. Uljana Wolfs Lyrik erscheint in Berlin bei kookbooks, Tobias Roth debütierte in diesem März im Verlagshaus J. Frank, Berlin, mit Aus Waben. Hierzu ein anderes Mal mehr.