Auf, an den Oberrhein! Und ins Elsaß. Ein Hinweis auf die allmende, und eine Hommage an den kürzlich verstorbenen André Weckmann. Auch Arno Geiger, Martin Walser und Annette Pehnt sind dabei.

un wann

d werter àlli verbrücht
sen
bliitis d wärme
eme liise rüsche
ufem waj durich
sniëgsaeite
snetzesawende
wiene
flejjelschlaa
em owerot

André Weckmann

Chrysostomos

Die Literatur hat, und die Lyrik zumal, viele Zungen. Deren drei bediente sich in seinem Schaffen der im späten Juli des vergangenen Jahres verstorbene André Weckmann. Elsässer war er, und schrieb als solcher eben in seinem heimatlichen Dialekt (siehe oben), daneben auch in Deutsch (siehe unten) und Französisch (siehe, abermals, unten).

Ohne ihn noch zu kennen, ist mir Weckmann oft begegnet, sozusagen. Nämlich immer dann, wenn ich aus dem Saarpfälzischen in meinem kleinen roten Peugeot nach Freiburg gefahren bin, über Bitsch und Zabern (Saverne). Dort ist, jedenfalls ganz in der Nähe, in Steinbourg, am 30. November 1924, André Weckmann geboren, den ich dann alsbald im Breisgau tatsächlich kennenlernen sollte. Elmar Schenkel und Wendelinus Wurth, Gefährten und gute Freunde aus jener Zeit, machten mich auf die allmende aufmerksam, und die Gedichte Weckmanns, auf die ich darin stieß, gefielen mir sehr. Und daß sich Weckmann im Umweltschutz engagierte, beispielsweise gegen das in Wyhl geplante Kernkraftwerk auf die Straße ging, machte ihn mir noch sympathischer. Auch teilte ich seine Liebe zu Jazz und Blues, zu guter Musik überhaupt und insgesamt.

Als Malgré-nous wurde Weckmann im Krieg von der deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert, in Rußland verwundet, woraufhin er desertierte. Bis 1989 unterrichtete er an einer Schule in Strasbourg, wo er auch gestorben ist. In der Dezember-Ausgabe der allmende findet sich ein schöner Nachruf auf Weckmann. Geschrieben hat ihn Karlheinz Kluge.

Kurz zurück zur Vielstimmigkeit (in) der Poesie. Deutsch liest sich „un wann“, das wir dem Nachruf entnommen haben, so:

und wenn

alle worte verbraucht
sind
bleibtuns die wärme
in ihrem leisen rauschen
auf dem weg durch
dasniegesagte
dasnichtzuerwähnende
wieein
flügelschlag
im abendrot

Und, bitte schön, en français:

lorsque

tous les mots seront usés
nous restera une chaleur
dans son bruissement doux
à travers le non-dit
à travers l‘indicible
comme un battement d‘ailes
dans l‘ocre rouge
du couchant

Zweimal jährlich erscheint die allmende, inzwischen im zweiunddreißigsten Jahrgang. Die Zeitschrift für Literatur wird im Auftrag der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe herausgegeben von Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Das bislang jüngste Heft, die allmende Nr. 90, eröffnet mit einem Essay von dem der Region (und der Zeitschrift, als deren ehemaliger Mitherausgeber) verbundenen Martin Walser über „Das richtige Europa“, erstveröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen vom 21. August letzten Jahres. Walser feiert darin ein Europa, das „eine Lerngemeinschaft gegründet auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung“ ist, mitnichten aber ein „Elite-Club“, noch ein „von einer Superbehörde regierter Staatenbund“. An die beiden griechischsten Schriftsteller deutscher Zunge, also an Nietzsche und an Hölderlin, erinnert Walser in seinem Essay, und auch an William Shakespeare.

Der Schwerpunkt der Dezember-allmende liegt auf Literatur aus Voralberg, zu deren prominentesten Vertretern neben Robert Schneider und Michael Köhlmeier Arno Geiger zählt. Dort, sagt Geiger, sei es nicht anders als überall. Im Kulturbereich fände eine Professionalisierung statt mit allen Vor- und Nachteilen. Der „Druck der Globalisierung“ wecke ein „Bedürfnis nach Regionalem zwecks Vergewisserung der eigenen Identität“. Geiger empfindet dies „als positiv, solange das Interesse an Provinz nicht zu Provinzialismus führt“.

Die aktuelle Literatur Voralbergs stellt Ulrike Längle vor, die das Literaturarchiv in Bregenz leitet. Von Arno Geiger über Daniela Egger und Lisa Spalt, von Norbert Mayers sprachschöpferischem „globus-lokus-iste“ hin zu Erika Kronabitters „Lichteinfall. Quer“ werden funkelnde Kostproben dessen gegeben, wie und warum Voralberg heute, hier und jetzt, schreibt.

Abgedruckt ist auch Hubert Spiegels Lobpreisung der Freiburgerin Annette Pehnt, der 2012 der Hermann-Hesse-Literaturpreis zuerkannt worden ist. 2011 hatte Pehnt die Poetik-Professur an der Otto-Friedrich-Universität inne. In diesem Zusammenhang erschienen ist soeben ein schöner Band bei Wallstein in Göttingen, Inseln des Eigensinns. Beiträge zum Werk Annette Pehnts. Als Herausgeber zeichnen Friedhelm Marx und Marie Gunreben; Andrea Bartl, Katja Lange-Müller und Iris Hermann zählen zu den Beiträgerinnen.

Die finalen Buchbesprechungen machen aufmerksam – und Lust – auf Gedichte von Matthias Kehle und des geschätzten Werner Dürrson, auf Romane von Joachim Zelter und Martin Walser, auf einen Führer durch die Literatur Lothringens (durchaus zu empfehlen, der Saarbrücker Conte-Verlag). Gut möglich, daß darin auch André Weckmann Erwähnung findet. Allzu weit jedenfalls ist es von Strasbourg nach Nancy und Metz nicht. Man kann auch über Steinbourg fahren.