Urbane Plaudereien – Passion

Peter von Liebenau

In unserem „Ritter“ steht, Urbanität habe etwas zu tun mit Sprachgewandtheit, Bildung, Witz, Takt, kultureller Aufgeschlossenheit und Weltgewandtheit. Das alles ist freilich nicht normal – also bedeutet Urbanität außergewöhnlich zu sein, gegen den Trend zu leben.

Achso, Sie haben den Ritter nicht im Regal stehen, kennen ihn nicht einmal? Dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie kein einigermaßen guten Philosoph sein können; denn der „Ritter“ ist das entscheidende Historische Wörterbuch der Philosophie in siebzehn Bänden, in dem sogar ein Bamberger Philosoph mehrfach vertreten ist.

Achso, Sie wollen kein einigermaßen guter Philosoph sein? Da muss ich Ihnen leider widersprechen: Jeder Mensch ist ein Philosoph; denn das Nachdenken über die Dinge – und das tut ja jeder Mensch, er kann gar nicht anders – ist Philosophie. Selbst wenn Sie sagen „Ich bin kein Philosoph“ vertreten Sie damit bereits eine bestimmte philosophische Richtung und definieren bestimmte philosophische Begriffe.

Wenn man also schon eine Philosophie haben muss, dann sollte es eine möglichst gute sein, hat Ortega y Gasset einmal gesagt.

Außerdem hat ja jeder heute eine Philosophie. Auch eine Gaststätte im südlichen Landkreis beispielsweise, Zentrum eines winzigen Dorfes, verfügt über eine eigene Homepage. Und wer nun neben Speisen und Getränken eine Lösung seiner Welträtsel sucht, klickt vielleicht das Stichwort „Philosophie“ an. Leider erfährt man dort nur, dass man in dieser Wirtschaft fränkisch, gut und günstig zu kochen gewohnt sei.

Aber so ist es oft. Je orientierungsloser unsere Zeit wird, desto mehr breiten sich sogenannte Philosophien aus und desto schlechter, also oberflächlicher werden diese, weil sie in einer abgegriffenen Sprache immer wieder auf Phrasen zugehen.

Der urbane Bamberger handelt gegen den Trend. Im beginnenden, strahlend schönen Frühlingswetter bereitet er sich auf die Passionszeit vor, insbesondere die Aufführung einer der Bachschen Passionen durch die Kantorei Sankt Stephan. Eigentlich gehört der Genuss derselben genauso zum Jahreslauf wie das Weihnachtsoratorium, das ebenfalls eine lange Bamberger Aufführungstradition vorweisen kann.

In Bamberg finden die genialen Kantaten, Oratorien und Passionen von Johann Sebastian Bach besonders gute Voraussetzungen, weil es eine begeisterte und engagierte Schar von Laien gibt, die im Chor mitsingen. Außerdem braucht man sich um die Instrumentalbegleitung keine Sorgen machen, denn die übernimmt meistens eine ebenso engagierte Gruppierung von Mitgliedern der Symphoniker auf höchstem Niveau.

Das Ergebnis ist ein Abend, getragen von Musizierfreude und dem Versuch des Transzendierens, des echten Philosophierens. „Was ist Wahrheit?“, fragt der Pilatus im Text, allerdings an der unpassendsten Stelle der Weltgeschichte.

Früher waren wir einmal in Weimar und hörten dort konzertant die Weimarer Kantaten Bachs, perfekt inszeniert, interpretiert und aufgeführt von Josua Rifkin aus New York, der die Chorstimmen durch bedeutende Solisten ersetzte und für sein Orchester Spitzenmusiker aus der ganzen Welt verpflichtet hatte. Das Ergebnis war eine perfektionistische, fast digitale Musik, an der alles passte; es fehlte nur die Basis einer Kirchengemeinde und ihres Chors, dessen Mitglieder tagsüber zur Arbeit gehen, sich zur Weiterbildung das eine oder andere Buch kaufen, nach der Chorprobe in der Stephansklause diskutieren und sich mit sich selbst auseinandersetzen.

Sie müssen ja nicht alle siebzehn Bände des „Ritter“ auf einmal wälzen. Allein die neu erschienene Taschenbuchausgabe von Thomas Steinfelds „Sprachverführer“ mit den Kapiteln über Luther, E.T.A. Hoffmann, G.W.F. Hegel oder Büchner genügt zur Vervollkommnung von Sprachgewandtheit, Bildung, Witz, Takt, kultureller Aufgeschlossenheit und Weltgewandtheit schon einmal sehr gut.