Urbane Plaudereien – Karpfenessen (Teil 3 von n Teilen)

Peter von Liebenau

Nach Pommersfelden, in Richtung Karpfenland, fahren wir von Bamberg aus am besten mit dem Fahrrad – mit dem Fortbewegungsmittel, mit dem der Mensch nach Hans-Erhard Lessing („Fahrradbuch“) die biologische Evolution überflügelt hat: Nicht einmal die Möwe, die sich im Wind treiben lässt, habe eine bessere Fortbewegungs-Effizienz als der Mensch auf dem Fahrrad (vor allem wohl dann, wenn er sich in Flusstälern ohne Gegenwind bewegt).

Autos hingegen sind in Bamberg im Grunde unerwünscht. Sehr erwünscht sind zwar Rettungsfahrzeuge und Krankentransporte, recht gern gesehen bzw. toleriert sind notwendige Geschäftsfahrten und Autofahrten im Rahmen von Fahrgemeinschaften aller Art. Alle anderen Autofahrten aber passen einfach nicht in unsere alte Stadt. Die Gründe sind bekannt: Das Auto ist nicht klimaverträglich, zu laut, ungesund, unsicher, platzraubend, es schädigt Baudenkmäler, ist teuer und hässlich.

Noch viel wird sich zum Thema „Auto und Bamberg“ sagen lassen, obwohl es erst seit einem halben Jahrhundert so richtig zur über 1000jährigen Stadtgeschichte dazugehört – hoffentlich wird es genauso schnell wieder daraus verschwinden.

Fahrradfahren hingegen ist wohl das Zweitschönste, was der Mensch so machen kann, vor allem bei Rückenwind. Im Ebrachtal in Richtung Pommersfelden oder auf dem Aischtalradweg, ins Karpfenland, bläst einem allerdings der Wind ins Gesicht, aber die Landschaft ist schön weit und flach, unendliche Wiesengründe mit kleinsten Dörfern und Weilern liegen am Bachlauf, und man denkt, das seien uralte, weltabgeschiedene Siedlungen, aber sie schauen dort alle genauso Fernsehen, der Autobahnanschluss ist recht nahe und ein Großteil der Einwohner arbeitet in den Weltfirmen von Bamberg oder Erlangen.

Die vergangenen Eiszeitgletscher haben diese Flusstäler breit ausgeweitet, aber nur kleine Flüsschen zurückgelassen.

Der letztgelegene Ort vor Pommersfelden trägt sogar den Namen „Wind“, was wohl vom Volk der Wenden kommt, das sich in Franken einst angesiedelt hat. Wir starten nun in der Stadtmitte – wo ist die eigentlich? – und versuchen, urban wie wir sind, möglichst naturverbunden herauszukommen; denn der urbane Mensch möchte immer alles auf einmal: Natur, Stadt, Bildung, Reisen, kulinarische Genüsse, Sport bzw. körperliche Bewegung und Gemeinsamkeit. Und dieses kann nun einmal das gemeinsame Fahrradfahren am allerbesten in einer Einheit gewährleisten.

Setzen wir den Gabelmann als Start. Sofort folgen wir den Spuren des späteren Berliners E.T.A. Hoffmann und suchen die Natur in Form des Alten Main-Donau-Kanals auf, der noch romantischer wirkte, als er noch nicht dieses Design im Zuge der Landesgartenschau verpasst bekam. Aber gut. Die Belaubung, die man zum Teil belassen hat, schirmt manches ab. Und ist es nicht genug, ja der Höhepunkt von Romantik, Poesie und Nostalgie, wenn die Gondel vorbeitreibt, die venezianische Fahne mit dem Markuslöwen daran weht und die Fahrgäste, froh und ergriffen, zu uns herüberwinken? Autofahrern winken sie übrigens nie zu.

„Rückkehr heißt im Griechischen nostos. Algos bedeutet Leiden. Nostalgie ist also das von dem unerfüllten Wunsch [in die Vergangenheit] zurückzukehren verursachte Leiden“, schreibt Milan Kundera in seinem Roman „Die Unwissenheit“ (München Wien 2001, S. 7). Auch der hoffmanneske Roman „Herzgewächse oder der Fall Adams“ von Hans Wollschläger (er lebte lange Jahre in Bamberg) handelt von einem Mann, der nach Bamberg zurückkehrt.

Wir tun es doch. Wir erfüllen uns den Wunsch und radeln einfach in die Vergangenheit zurück. Als es noch Flussbäder und alte Bootshäuser gab, in deren Gärten riesige Eichen gediehen, unter deren Schatten an Sommernachmittagen viele Menschen an ihren Tischen saßen, bei Kaffee und Kuchen, bei urbanen Plaudereien, wie sie von Fontane und Keyserling erzählerisch wiedergegeben und von Liebermann gemalt wurden. Man denke nur an sein Gemälde „Gartenlokal an der Havel – Nikolskoe“ aus dem Jahre 1916. Auch Renoirs „Frühstück der Ruderer“ von 1880/81 verlegen wir gern ins Bootshaus. Zum Hainbad und ins Bootshaus werden wir immer wieder zurückkehren.

Nach dem Bootshaus radeln wir auf dem Damm parallel zur Regnitz. Das Blätterdach überwölbt den Weg, lässt Licht und Schatten verschwimmen, Grenzlinien schimmern. Die Farbkleckse sind so gesetzt, als würden wir in die Zeichenwelt eines impressionistischen Gemäldes hineinkomponiert und dort in den Umrissen unseres Seins auferlöst werden. Von rechts unten glitzert das Wasser durch die Äste in unsere Gesichter und lässt sie noch einmal erstrahlen.

Alles scheint unbeschwert.

Aber es gibt Ärger; denn getrübt werden Sinne und Gedanken von dem Streit um die Hunde, der auch in den urbansten Städten tobt. Im Hain, den wir hier durchqueren, sind Hunde ab dem 1. März anzuleinen, so lautet die Vorschrift. Aber viele Spaziergänger mögen anscheinend keine Tiere; denn sie lassen ihre Hunde frei herumlaufen und dadurch die zahlreichen Bodenbrüter stören, genauso wie die anderen Tiere und Pflanzen, die mit diesen in einer Lebensgemeinschaft verbunden sind. Und sie mögen wohl auch keine Menschen, insbesondere keine Kinder mit Fahrrad, die nahezu jeden Tag einmal von diesen Hunden zu Fall gebracht werden. Schließlich sind die großen Hainwiesen zum Sonnen, Lesen, Kuscheln, Kinderspielen und Picknicken da, nicht für Hunde, die dort etwas hinterlassen könnten.

Bringen diese Menschen mit ihren unangeleinten Hunden überhaupt Liebe auf? Zu Bamberg? Wir tun das. Wir ziehen unsere Berganza-Lektüre heraus und setzen uns ein wenig in das ehemalige Jagdschlösschen in Bug, immer die flimmernden Impressionisten vor Augen, die hier entstanden sein könnten: Monets „Seineufer bei Vétheuil“ oder seine „Felder im Frühling“ von 1887. Wenn ein Boot vorbeikommt, dann sehen wir Renoirs „Seine bei Asnière“ und hören eins ums andere Mal die „Lohengrin“-Ouvertüre.

Am Ende radeln wir weiter.