Wie Er wolle geküsset seyn.
Nirgends hin / als auff den Mund /
da sinckts in deß Hertzens grund.
Nicht zu frey / nicht zu gezwungen /
nicht mit gar zu fauler Zungen.
Nicht zu wenig nicht zu viel.
Beydes wird sonst Kinder-spiel.
Nicht zu laut / und nicht zu leise /
Beyder Maß’ ist rechte weise.
Nicht zu nahe / nicht zu weit.
Diß macht Kummer / jenes Leid.
Nicht zu trucken / nicht zu feuchte /
wie Adonis Venus reichte.
Nicht zu harte / nicht zu weich.
Bald zugleich / bald nicht zugleich.
Nicht zu langsam / nicht zu schnelle.
Nicht ohn Unterscheid der Stelle.
Halb gebissen / halb gehaucht.
Halb die Lippen eingetaucht.
Nicht ohn Unterscheid der Zeiten.
Mehr alleine / denn bey Leuten.
Küsse nun ein Iedermann /
wie er weiß / will / soll und kan.
Ich nur und die Liebste wissen /
wie wir uns recht sollen küssen.
Paul Fleming
Von Chrysostomos
So schön kann Liebe sein, der Kuß, das Küssen, und so schön kann darüber, so wie es Fleming tut, geschrieben werden. Tag für Tag und Nacht für Nacht und immer wieder anders. Und nicht allzu häufig, wenn die Glücklichen unter den Leuten sind. Die Liebste, ob nun Lisa oder Anna oder Elsabe (Niehusen) geheißen, weiß, wie es geht.
Nach dem Studium der Medizin, in Leipzig, widmete sich der aus dem Vogtland stammende Paul Fleming (1609 bis 1640; warum nur sterben die Guten immer so jung?) der Philosophie. Zwischen 1633 und 1639 nahm er als Hofjunker und Reisedichter an der orientalischen Reise der holsteinischen Gesandtschaft nach Rußland und Persien teil. Dabei lernte Fleming 1635 in Reval die drei Töchter der Kaufmannsfamilie Niehusen kennen, Elisabeth, Elsabe und Anna, die seine Liebeslyrik, in deutscher und in lateinischer Sprache, auch anagrammatisch befruchten sollten.
Nachdem er zunächst für Elsabe schwärmte, verlobte Fleming sich im Juli 1639 mit der palindromischen Anna, die von hinten so war wie von vorn („An Anna, die Spröde“). Im Jahr darauf wurde er in Leiden mit einer Disputation über Geschlechtskrankheiten promoviert. Auf der Rückreise nach Reval verstarb Paul Fleming in Hamburg. Drei Tage vor seinem Ableben hatte er die eigen Grabschrift gedichtet.