Beinah mit Ehrfurcht. Rainer Malkowski nimmt die Schreibkunst in den Blick.

Von der Schreibkunst

Als mein Bleistift gehen lernte
auf einem großen weißen Blatt Papier,
schlug die Uhr vom Turm grad Zwei.
Ein Nachbar mähte,
und an der Kreuzung
fuhr ein Auto in den Zaun.
Ein Kind sprang kreischend
in ein blaues Plastikbecken.
Weit weg und klein
zog eine Sommerwolke.
Alles nicht so wichtig –
aber ich behielt es.
Und beinah mit Ehrfurcht
spreche ich die Worte
Stift
und Blei.

Rainer Malkowski

Von Chrysostomos

Wenn er Gedichte schreibe, hielt Rainer Malkowski 1972 fest, fühle er sich deutlicher am Leben: „Ich vergewissere mich der Wirklichkeit, indem ich sie zur Sprache bringe.“ Malkowski schaut genau hin, feiert die „Wahrnehmung als Ereignis“, als Ereignis, das „im Bewußtsein des Autors vorausgegangen sein muß, damit das Gedicht entstehen kann.“ Zugleich habe das Gedicht im Spracherlebnis dem Leser genau das zu bieten: Wahrnehmung als ein den Leser sehend machendes Ereignis. Schon früh war das Sehen, wie auch das Nicht-Sehen, Thema von Malkowskis freien Versen: „Erleichtert, / mit triumphierend geschlossenen Augen, / nehmen wir Abschied von allen Plänen“, heißt es in seinem Debüt.

Ein Thema, das den zuletzt vom Erblinden Bedrohten bis in sein Spätwerk begleiten sollte. Im Dunkeln wird man schneller betrunken (Nagel & Kimche, Zürich) betitelte er seine Hinterkopfgeschichten von 2000, funkelnde, auf präziser Wahrnehmung fußende, auch mal schlitzohrige Aphorismen. Etwa diesen: „Es ist besser, den Text lang zu halten, wenn man wenig zu sagen hat. Bei einem kurzen Text fiele es sofort auf.“ Und: „Der unbedruckte Teil der Seite, auf der ein kurzes Gedicht steht, ist für den Nachhall da.“ So kurz sie auch sein mögen, Malkowskis Gedichte hallten lange nach.

Im Dezember 1939 in Berlin-Tempelhof geboren, vor einer Dekade in Brannenburg am Inn, unmittelbar an der Grenze zu Österreich hin gelegen, verstorben, war Malkowski einer der großen Werbetexter, und Lyriker, der Bundesrepublik. Mit dem Band Was für ein Morgen betrat Malkowski 1975 – zur Hochzeit der Neuen Subjektivität – äußerst erfolgreich bei Suhrkamp die literarische Bühne, so erfolgreich, daß er sich entschied, die Werbeagentur aufzugeben und fortan als freier Schriftsteller zu leben.

1979 wurde Malkowski das Villa-Massimo-Stipendium zugesprochen, zwei Jahrzehnte hernach wurde er für sein lyrisches Gesamtwerk mit dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. Über manche Gedichte läßt sich gerade wegen ihrer Vollkommenheit wenig sagen. In seiner Dankesrede, „Dreizehn Arten das Gedicht zu betrachten“ – Wallace Stevens läßt grüßen – sagt Malkowski: „Über manche Gedichte läßt sich gerade wegen ihrer Vollkommenheit wenig sagen. Wir atmen sie einfach ein, und es bleibt uns ein Volumengewinn für immer, über den wir uns aber kaum jemals Rechenschaft ablegen. Eine kritische Erörterung wäre ebenso überflüssig wie die Diskussion über ein Ahornblatt, das im Herbstlicht leuchtet.“ Weil das so ist, und weil Rainer Malkowskis Gedichte vollkommen sind, ist es an der Zeit, endlich zu schweigen.

*

Notiz im November

Schlechte Tage,
an denen man in den Lexika blättert
– erstaunt
über die Fülle der Welt.

NB: Rainer Malkowskis Werke liegen vor im Suhrkamp Verlag und bei Hanser in München. Gesammelt sind Die Gedichte, etwa 700 an der Zahl, 2009 bei Wallstein, Göttingen erschienen. Von Nico Bleutge stammt das Nachwort.

NBB: Seit 2006, als ihn Manfred Peter Hein erhielt, vergibt die Bayerische Akademie der Schönen Künste in zweijährigem Turnus den Rainer-Malkowski-Preis. Mit 30 000 Euro dotiert, zählt er zu den üppigsten hierzulande. Im vergangenen Jahr teilten sich Christoph Meckel und Lutz Seiler den Preis. Erstmals wurden auch zwei Stipendien vergeben. Sie gingen auf Beschluß der Jury (Dieter Borchmeyer, Michael Krüger, Albert von Schirnding, Jan Wagner) an Monika Rinck und an Ron Winkler. Wir gratulieren!

NBBB: „Nichts ist selbstverständlich; wir haben uns nur an manches gewöhnt.“ Diese absolute Wahrheit ist bereits in einem (unveröffentlichten) Notizbuch des Schülers Rainer Malkowski zu lesen.