Landpartie mit E. F.
Es ist banal,
sagen die Besitzer der Gärten.
Es ist für dich, sagen die Vögel.
Ist es im Internet?
fragen die Jüngsten.
Es ist das Netz, das mich hält, sage ich.
Ist das ein Gedicht?
mäkeln Gebildete.
Ich weiß, es ist ein schöner Augenblick.
Sie lacht,
die kleine Göttin
an meiner Seite.
Uwe Kolbe
Von Chrysostomos
Zwischen Gedichten, auch das ist das Schöne an ihnen, kommt es häufig zu einem Gespräch. Sie korrespondieren miteinander. Naturgemäß, hätte Thomas Bernhard gesagt, der übrigens auch Lyrik zu Papier gebracht hat, nicht nur großartig-böse Romane, naturgemäß ist es so, daß sich dem Leser nicht immer auf den ersten Blick diese Allusionen, diese Bezugnahmen auf zuvor Geschriebenes (vom Dichter selbst, von einer anderen, von anderen) erschließen. Der Leserin schon eher, denn Frauen geben sich eher der Lektüre hin, vor allem auch Gedichten. Und es ist nun einmal so, daß das weite Feld der Lyrik immer weiter, dabei freilich dichter wird, je öfter man sich ihrer Lektüre ausgesetzt hat.
Kolbe aber macht es uns einigermaßen leicht, oder nicht? Eine Landpartie mit Erich Fromm oder mit Emma Freud, also der Nichte von Lucian, der Urenkelin von Sigmund Freud, hätte auch etwas für sich. Doch dürfte fast jeder die Initialen E. F. in diesem Falle mit Erich Fried auflösen, zumal dann, wenn man den ersten Vers gelesen hat.
Denn es ist so, wie es nun einmal ist: „Was es ist“ ist zweifelsohne eines der bekanntesten deutschsprachigen Gedichte überhaupt, nicht nur das Erich Frieds. Enthalten ist es in zahllosen Anthologien. Es grüßt, Frieds knappes, ins Epigrammatische gehende Poem, von Plakaten, von Postkarten auch. Man muß gar keine Büchermenschin sein, um ihm zu begegnen. Erstveröffentlicht worden ist „Was es ist“ erst spät, 1983 bei Klaus Wagenbach in Berlin, in jenem Band, dem es den Titel gegeben hat: Es ist was es ist, einer Sammlung von auf einem knappen Hundert Seiten versammelten Liebes-, Angst- und Zorngedichten. Fried hatte da nur fünf Jahre noch zu leben.
Wie Fried, der Shakespeare, Dylan Thomas, Sylvia Plath und andere übertragen hat, ist auch Uwe Kolbe, 1957 in Berlin-Mitte geboren, mit Nachdichtungen und Übersetzungen, die ihm zum Broterwerb verhalfen, hervorgetreten, beispielsweise mit Übertragungen der Stücke von Federico García Lorca. Erste Gedichte Kolbes erschienen aufgrund der Fürsprache von Franz Fühmann 1976 in Sinn und Form; vier Jahre hernach kam sein Debüt – Hineingeboren – im Aufbau Verlag. Spätestens 1982 legte sich Kolbe mit dem System an, konnte nur noch illegal publizieren und in privaten Gesellschaften lesen. 1988 zog er nach Hamburg, den Mauerfall erlebte er vor dem Fernseher in Austin/Texas. Ende der Neunziger wird Kolbe Leiter des Studios Literatur und Theater an der Universität in Tübingen, 2004 kehrt er mit seiner Frau und drei Söhnen – mit Christoph, alias MachOne, einem Rapper, kommt es zu gemeinsamen Auftritten – nach Berlin zurück. Kolbe, der in Charlottenburg lebt, ist oft auf Reisen zu Poesiefestivals zwischen dem kolumbianischen Medellín und Pennsylvania, nimmt außerdem zahlreiche Stipendiaten- und Stadtschreiberaufenthalte wahr.
Die „Landpartie“ von 1998 variiert gekonnt in mal leisen, mal gleichgültigen, dann neugierigen, hernach bekräftigenden, dann wieder zweifelnden Tönen Erich Fried, führt „Was es ist“ weiter, führt es fort. Der Dichter als Seiltänzer, als todesmutiger, mit Worten spielender Akrobat? Aber nein, es ist „das Netz“ (der Liebe, des Liebens und Geliebtwerdens), „das mich hält“. Zuversicht und Vertrauen stellen sich ein. Da können die Gebildeten gern mäkeln, sich kopfschüttelnd die verwunderten Augen reiben. Natürlich ist das ein Gedicht. Und zwar ein sehr schönes. Es zu lesen gewährt einem einen schönen Augenblick, eher zwei. Und die Liebe? Ist ein schöner Augen-Blick. Zum Beispiel, wenn die „kleine Göttin“ (Venus, Aphrodite; oder doch Ceres, Demeter: es ist schließlich ein Landausflug) lacht, wenn sie wissend lächelt, denn auch sie ist sich bewußt – „es ist ein schöner Augenblick“.
NB: Die fried-kolbesche Landpartie läßt sich nachlesen in Vineta (1998). 2010 verließ Kolbe, nach knapp drei Dekaden, den Suhrkamp Verlag. Seine Premiere bei S. Fischer feierte er im vergangenen Jahr mit Lietzenlieder. Gemeinsam mit Günter Grass hat Kolbe mehrfach Korea bereist. Für den Göttinger Wallstein Verlag hat er zwei Gedichtbände von Hwang Chi-Woo übersetzt.