Beitrag V des 5-Teilers USA, das Land der Radler? unseres USA-Korrespondenten Rady Martini widmet sich Portland, „America’s Bicycle Capital“. Martini hat ein erstaunliches Phänomen beobachtet: das Verkehrsmittel Fahrrad kehrt in Amerika in den Straßenraum zurück. Ausgerechnet im autoverliebten Amerika! In fünf Beiträgen informiert Martini über neueste verkehrspolitische Trends in Philadelphia (I und II), New York (III), Washington (IV) und nun Portland.
von Rady Martini
Auch wenn in Washington die Leihfahrräder „capital bikes“ (Hauptstadt-Fahrräder) heißen: „America’s Bicycle Capital“ (Fahrrad-Hauptstadt) ist eine andere. An der westlichen Pazifikküste liegt Portland, Oregon, mit knapp 600.000 Einwohnern ebenfalls eine Großstadt.
In Portland standen Politiker und Stadtplaner schon seit den 1970er Jahren dem Verkehrsmittel Fahrrad ganz offiziell positiv gegenüber. Das wäre schon in Europa eine Sensation gewesen, in den USA war es das erst recht.
Portlands eigentlicher Stadtumbau zugunsten des Radverkehrs fand erst in den letzten zwanzig Jahren statt. Mittlerweile gibt es eine regelrechte Fahrrad-Infrastruktur, die die gesamte Stadt durchzieht. Besonders erfolgreich sind die eigenen Fahrrad-Wege, die aus Sicherheitsgründen durch Barrieren von den Autos getrennt sind. Außerdem gibt es (wie in New York) farbig markierte Radwege am Rand einer normalen Straße. Die dritte Variante ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet: auf vielen Portlander Straßen nutzen Räder und Autos die Fahrbahn gleichberechtigt. Dieser Straßentyp ist mit großen Doppelpfeilen und Fahrradsymbolen auf dem Asphalt auffällig markiert. Außerdem sind die Straßen in Wohngebieten als „neighborhod bike boulevards“ ausgewiesen, dort ist die Höchstgeschwindigkeit auf 20 mph (ca. 30 km/h) beschränkt. Auch hier nutzen Autos und Räder die Straßenfläche gleichberechtigt.
Die Erfolge können sich sehen lassen: radelnde Menschen überall. Transporträder sind keine Seltenheit mehr. Angesagte Bars umgeben sich nicht mehr mit großen Parkplätzen, sondern mit Fahrradständern. Von den Kindern kommen hier 31% mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule; diese Zahl liegt deutlich über dem amerikanischen Durchschnitt von nur 13%. Mittlerweile fahren 17.000 Menschen in Portland mit dem Rad zur Arbeit, das sind 6%. Verglichen mit der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, wo es ca. 37% Rad-Pendler gibt, scheinen es nur wenige zu sein. Im amerikanischen Zusammenhang allerdings ist das geradezu eine Revolution.
Während Radler in anderen amerikanischen Städten noch über aggressive Autofahrer klagen, die sie als Störung oder gar als Gegner im Straßenverkehr wahrnehmen, ist die Situation in Portland relativ friedlich. Viele Menschen fahren sowohl Auto als auch Rad und kennen beide Perspektiven, das hilft bei der Einschätzung der anderen Verkehrsteilnehmer. Am meisten scheint jedoch die physische Trennung der Verkehrsarten zu helfen: so kommt es erst gar nicht zu Konfrontationen.
Das alles hat auch Portlands Wirtschaft sehr geholfen. Die Zahl an Fahrradherstellern, Geschäften und Reparaturwerkstätten wächst ständig. Das brachte junge Unternehmer und Arbeitsplätze in die Stadt.
Die Aufmerksamkeit, die Portland im eigenen Land erfährt, ist überwältigend. Fast wöchentlich kommen Delegationen aus anderen Städten, um über Portlands Fahrradwege zu radeln und sich von städtischen Angestellten erklären zu lassen, wie es gelingen konnte, die eingefleischten amerikanischen Autofahrer zum Umstieg auf Fahrräder zu bewegen. Allein in diesem Sommer kamen Gruppen aus Seattle, San Francisco, Philadelphia, New York City, Washington, D.C.. Auch aus dem Ausland kamen sie, aus Holland, Japan und Südkorea.
Mit seiner innovativen Verkehrspolitik schafft es Portland immer wieder als Cover Story auf die ersten Seiten amerikanischer Zeitungen, zuletzt am 11. September 2012 in USA Today. Auch in internationalen Zeitungen und Amerika-Büchern wird über diese Erfolge berichtet. Die Reaktionen der Presse und das Image der Stadt könnten kaum besser sein.
Wenn wir diese neuen Trends in den USA beobachten: sind wir Zeitzeugen einer epochalen Wende der individuellen Mobilität? Und wenn das automobile Zeitalter in Amerika begonnen hat: geht es vielleicht dort auch wieder zu Ende?
In vielen amerikanischen Stadtplanungsämtern setzt sich die Erkenntnis durch, dass man den Autoverkehr nur rettet, wenn man sein unbeschränktes Größenwachstum stoppt. Das neue Zauberwort der Verkehrsplaner heißt „Diversifizierung“. Also nicht nur immer mehr Autos, sondern mehr Angebote an allen Transportmitteln.
In den USA war schon immer alles größer, dynamischer, fortschrittlicher und praktischer. Schon bei der Einführung des Automobils war man dem alten Europa mehrere Schritte voraus. Ob das beim Umbau der großen Städte zugunsten des Fahrrades wieder so sein wird? 50.000 (!) kostenlos verteilte Fahrradhelme in New York lassen das vermuten.
Lesenswert dazu das Buch von Jeff Mapes: Pedaling Revolution: How Cylists Are Changing American Cities. Oregon State University Press, 2009
Danke erst mal für die informative Serie.
Natürlich gibt es noch viele andere Städte, aus denen es etwas Positives über den Radverkehr berichten ließe, kein Zweifel. Ich habe hier schon einmal auf die Seiten des „Nationalen Radverkehrsplans“ verwiesen und tue das gerne noch einmal:
https://www.nationaler-radverkehrsplan.de/praxisbeispiele/
Eine Ergänzung aus volkswirtschaftlicher Sicht zur Amerika-Serie hätte ich noch:
https://www.zukunft-mobilitaet.net/11532/analyse/infografiken-die-wirkungen-des-radverkehrs-auf-die-volkswirtschaft/
Meine Bitte an die onlinezeitung: schickt doch den Mr. Martini mal in andere Städte auf dieser Welt. Wie ist die Situation in Kopenhagen, da gehört doch das Rad inzwischen selbstverständlich zum Stadtbild? Oder in Amsterdam und anderen niederländischen Städten: gibts da nicht auch was, das für uns interessant sein könnte. Oder London: sind da nicht auch inzwischen Leihfahrräder aufgestellt? Wie übrigens sieht es in China oder Indien aus? Die hatten mal viele Räder, jetzt ersticken die Metropolen aber in Auto-Abgasen, wie stellt man sich dort die Mobilität der Zukunft vor?