USA, das Land der Radler? (II)

von Rady Martini

Philadelphia, südliche Vorstadt mit Stadtzentrum. Foto: Rady Martini

In der Großstadt Philadelphia an der Ostküste zieht die junge Elite zurück in die Stadtmitte. Im südlichen Zentrum, wo man vor 30 Jahren noch mit geschlossenen Autotüren unterwegs sein musste, um nicht im eigenen Fahrzeug überfallen zu werden, wohnen inzwischen gut ausgebildete junge Familien, die sich an sonnigen Nachmittagen mit ihren Kleinkindern auf der Straße treffen. Man schätzt die Dichte von Cafés, attraktiven Geschäften und Galerien und freut sich über die kurzen Wege zur Arbeit. Also schwingen sich die Menschen morgens aufs Fahrrad, um ins Büro zu kommen. Inzwischen ist das kein politisches Statement mehr, wie es das vielleicht vor Jahrzehnten noch gewesen wäre. Die neue Generation der Stadtbewohner hat kein Interesse mehr an dogmatisch geführten verkehrspolitischen Grundsatzdebatten. Man möchte nur unkompliziert von A nach B kommen.

Und es scheint, als seien in den USA die Zeiten öffentlicher Erregung bei diesem Thema ohnehin vorbei. Die Kommunen müssen nicht mehr durch Bürgerproteste gedrängt werden, sie selbst setzen jetzt Akzente. Erst vor wenigen Wochen, im Sommer 2012, hat das Stadtplanungsamt Philadelphia den umfangreichen „Pedestrian and Bicycle Plan Philadelphia“ vorgestellt. Dabei geht es um nichts weniger, als um den Stadtumbau zugunsten des sich selbst bewegenden Menschen. Erste Radwege sind in den vergangenen Jahren schon ausgewiesen worden, viele weitere sollen folgen.

Benjamin Franklin Parkway in Philadelphia, mit Radweg. Foto: Rady Martini

Benjamin Franklin Parkway in Philadelphia, mit Radweg. Foto: Rady Martini

Seit dem letzten Jahr können sich Philadelphias Zweiradfreunde auf der Fahrradmesse „Philly Bike Expo“ über die neuesten Radel-Trends in Alltag und Freizeit informieren. Die Messe wird jährlich stattfinden.

In den engen Straßen des 19. Jahrhunderts gibt es jede Menge Lebensqualität, jedoch keine Parkplätze. Dafür boomt das carsharing. Wie überfällig dieses Angebot war, zeigen die großen Erfolge der beiden Unternehmen Phillycarshare und Zipcar.

Parkplätze von Phillycarshare und Zipcar im Zentrum von Philadelphia. Foto: Rady Martini

Das lokale Unternehmen „Phillycarshare“ wurde vor zwölf Jahren gegründet und ist mit mittlerweile 300 Fahrzeugen (2009) zu einem der größten carsharing-Unternehmen in Nordamerika gewachsen. 30% der Mitglieder sind Firmenkunden. Einer der großen Vorteile im Stadtzentrum: der Parkplatz ist sicher.

Dem zweiten in der Stadt vertretenen Anbieter „Zipcar“ ist es sogar gelungen, in den zehn Jahren seit seiner Gründung (in Cambridge, Massachusetts) mit 700.000 Mitgliedern zum weltgrößten carsharing-Anbieter zu werden. Zipcar gibt es in 137 us-amerikanischen Städten sowie einigen Standorten in Kanada, Großbritannien und Spanien. Im April 2011 erfolgte der Börsengang.

Beide Gesellschaften kommen in frischem Design daher. Für Werbung in eigener Sache und Kundenbindung reicht die auffällige Markierung des Parkplatzes. Phillycarshare hat ein kleines prägnantes Logo an der Fahrertür. Zipcar verzichtet selbst darauf; nur der Name des Unternehmens steht noch in kleinen Lettern auf der Heckklappe. Die Fahrzeuge selbst sind alle unterschiedlich, die Unternehmen bieten alle Automarken, -typen und -farben an.

Autos von Zipcar. Foto: Rady Martini

Diese Unternehmen sind auch deswegen erfolgreich, weil sie ohne die Bürde einer politischen oder moralischen Verpflichtung daherkommen. Wer in Philadelphia ein carsharing-Auto fährt, outet sich nicht automatisch als Anhänger einer bestimmten politischen Partei oder eines bestimmten Lebensstiles.

Phillycarshare hat sich 2009 in einem Gutachten bestätigen lassen, welche gesamtgesellschaftlichen Vorteile das Unternehmen erbringt. Die Mitglieder haben 4.500 Privatwagen aufgegeben. Durch gezieltere Nutzung des Autos haben sie der Stadt 47.000 Stunden Stau und der Atmosphäre 7.000 Tonnen CO2 erspart.

Aber darüber spricht man gar nicht mehr. In der Werbung spielt Phillycarshare nicht auf den moralischen Vorsprung an, den man durch eine Mitgliedschaft gewinnen kann. Es wirbt mit dem Zugewinn an Freiheit, die es seinen Mitgliedern gewährt, weil für sie der geld- und zeitraubende Prozeß entfällt, ein eigenes Auto erwerben, besitzen, bezahlen, verwalten, reparieren und parken zu müssen.

Das Motto heißt amerikanisch-pragmatisch: „Our wheels. Your Freedom.“

Autos von Phillycarshare. Foto: Rady Martini