Hans-Peter Ecker
Im zweiten Jahr gezielter Suche haben wir sie endlich gefunden, die winzige Wildorchidee mit dem wuchtigen Duft von Vanille, Kakao und Schokolade. Endlich schafften wir es einmal zur – beinahe – rechten Zeit (lehrbuchgemäß erblühen die Nigritella-Arten erst ab Juli) bei gutem Wetter in die Alpen, um Magerwiesen und Matten in höheren Gefilden noch vor der ersten Mahd im frühsommerlichen Blütenschmuck zu erleben. Da uns kein Einheimischer einen konkreten Standort nennen konnte (oder wollte), waren wir mit einigen vagen Angaben aus der Fachliteratur und dem Internet auf uns selber gestellt. Kalkiger Untergrund war klar, die ungefähre Höhenlage (oberhalb 1500 m) auch. Na ja, damit waren eigentlich nur noch die entsprechenden Regionen der Dolomiten abzuwandern …
Eine erste Expedition auf die Seiser Alm blieb erfolglos; vielleicht waren wir ja noch zu früh im Jahr unterwegs, vielleicht hat hier aber auch die in den letzten Jahren intensivierte Weidewirtschaft (mit dezenter Wiesen-Düngung) den Pflanzen die Grundlage zum Gedeihen entzogen. Dann aber führten Bergtouren in die Seitentäler des Grödnertals zum Erfolg: gleich zwei Varianten des Kohlröschens konnten wir entdecken.
Ohne uns schon richtig in die Materie vertieft zu haben, würden wir mal hypothetisch davon ausgehen, Nigritella nigra subsp. nigra (Schwarzes K.) und Nigritella rubra, evtl. subsp. dolomitensis (Rotes K.) erwischt zu haben. Beide Arten unterscheiden sich bei genauerer Betrachtung in Form und Farbe. Insgesamt ist die Gattung noch kaum erforscht; man kennt gegenwärtig um die 20 Arten, wovon die meisten aber noch recht junge Entdeckungen sind. Zudem bildet Nigritella munter Hybriden mit verschiedenen Händelwurzen aus, was die Varianz zusätzlich beschleunigt. Obwohl unsere aufblühenden Kohlröschen-Exemplare vereinzelt zwischen Hunderten voll erblühter Pflanzen der Gymnadenia odoratissima standen, fanden wir auf unseren Standorten (in der zweiten Juni-Hälfte) keine Anzeichen für Hybridisierung.
Die Südtiroler bezeichnen das Kohlröschen verbreitet als „Brunelle“. Bei botanischen Laien in Fremdenverkehrsämtern und bei Bauern wird die Bezeichnung „Brunelle“ nach unseren Beobachtungen ganz unscharf für alle möglichen im Sommer dunkelrot blühenden Pflanzen verwendet, also z.B. auch auf Dactylorhiza majalis oder Prunella vulgaris. Botanisch bewanderte Personen engen den Begriff hingegen auf Nigritella ein, da sie immer auf ihren unverwechselbaren Kakao-Duft hinweisen.
Fast überflüssig zu erwähnen: Kohlröschen sind streng geschützt; woran sich in diesem Falle sogar das Weidevieh hält!
Nun muss ich doch noch einen weiteren Nachtrag schreiben. Beim Recherchieren nach Kohlröschen-Fachliteratur ist uns klar geworden, wer eigentlich kürzlich unsere Bilder kommentiert hat. Prof. Wolfram Foelsche ist Botaniker und ausgesprochener Spezialist (nicht nur!) für alpine Kohlröschen. Vielen Dank, wir fühlen uns geehrt!
Zum Weiterlesen, wenn man den Ehrgeiz fühlt über die gängigen Pflanzen- und Orchideen-Bestimmungsbücher für interessierte Laien hinaus zu kommen:
https://www.museum-joanneum.at/de/botanik/mitarbeiter-innen/ehrenamtliche-mitarbeiter-innen-1/prof-wolfram-foelsche-1
https://www.museum-joanneum.at/de/botanik/news/die-kohlroeschen-der-ostalpen
https://www.naturamediterraneo.com/segnalazioni/Segnalazione%20Nigritella.pdf
Vielen Dank für die Kommentare und Korrekturen. Könnten Sie uns weiterführende botanische Literatur empfehlen? Unsere Bestimmungsbücher, handelsgängigen Orchideenführer und Internet-Kommentare lassen uns regelmäßig im Stich, wenn es um Subspezies, Varianten und Verbreitungsgebiete geht. Vermutlich sind ja auch viele Bilder, die im Internet kursieren, falsch deklariert.
Das erste Bild zeigt Nigritella nigra subsp. austriaca. (Die Subspezies nigra kommt nur in Schweden und Norwegen vor.)
Das schöne rote Kohlröschen ist Nigritella bicolor.
W.F.
Ich bin mittlerweile ein Fan dieser wunderbaren Naturberichte, interessant und informativ und herrliche Bilder. Fehlt noch der Duft.
Nachtrag: Ein Bestimmungsschlüssel für Kohlröschen findet man hier: https://www.museum-joanneum.at/upload/file/Bestimmungsschluessel_Nigritella_2012.pdf