Christiane Hartleitner
Marketing mit der Fokusierung auf ein „Produkt“ und dessen Bewerbung greift zum Erhalt einer Stadt und deren Lebendigkeit zu kurz. Die Marketingstrategie pickt sich einen ihrer Zwecke dienlichen Teilaspekt heraus, bewirbt diesen – und da sollten wir uns nichts vormachen – „to make money“. Kein Stratege, der das Produkt „Stadt“ vertreibt, sollte die Bewohner außer Acht lassen. Die Sicht des Marketing ist – bedingt durch die Zielvorgaben – einseitig und für das Gemeinwohl nur bedingt relevant. Grundsätzlich ist wirtschaftliches Denken nicht verwerflich, sondern bildet eine menschliche Lebensgrundlage – aber eben nicht mehr.
Leben ist mehr. Eine Stadt als Lebensumfeld ist mehr als jener oben genannte Teilaspekt, wie auch immer er aussehen mag. Unsere Stadt ist ein über viele Generationen gewachsener Organismus, ein lebendiger Organismus, der seine Lebensenergie aus der Kraft der Bewohner zog und immer ziehen wird. Sie ist ein lebendiger Organismus in steter Weiterentwicklung. Einige zentrale Straßen sind nach den dort stattfindenden Märkten und einer Handelstätigkeit benannt, die einen Aspekt des urbanen Lebens widerspiegeln: Obstmarkt, Grüner Markt, Fischmarkt, Holzmarkt und weitere. Die Bindung der Handeltreibenden an das Wohl der städtischen Gemeinschaft dürfte hierbei nicht unterschätzt werden. Wussten sie doch um ihre Abhängigkeit von der Bürgergemeinschaft und dem gemeinsamen Lebensumfeld. Das Miteinander in respektvoller Zugewandheit und eine solidarische Grundhaltung bilden den Grundstock einer urbanen Gemeinschaft. Die Zusammensetzung der Akteure war nie statisch, sondern wandelte sich. Und das tut sie heute noch. Oftmals zwangen sich verändernde Umweltbedingungen zu einem Umdenken: glatt und ohne Reibungsverluste dürften solche Wandlungen nie vonstatten gegangen sein.
Lassen Sie mich ein kleines Beispiel umreißen, bei dem – wie kann es anders sein – unsere Lebensader Regnitz eine bedeutende Rolle spielt: Das für die Weiterverarbeitung tierischer Produkte in Bamberg nach wie vor vorzüglich nachweisbare, aber nicht mehr betriebene Gewerbe der Gerber suchte aufgrund der handwerklichen Tätigkeit die Nähe zum Fluss. Für die Zurichtung des tierischen Produktes war Wasser Grundvoraussetzung. Zudem errichteten die Gerber zum Trocknen der Tierhäute mehrstöckige Häuser mit großzügigen Balkonen, wie Am Kanal noch sehr gut nachvollziehbar. Allerdings ging mit diesem Gewerbe eine erhebliche Verschmutzung der Lebensgrundlage Wasser einher. Es war absehbar, dass zum Wohle der Gemeinschaft ein ganzes Gewerbe verdrängt wurde – reinem Wasser ist nun mal dem Gelderwerb der Vorzug zu geben.
Dieser zelluläre, permanente Erneuerungsprozess macht eine Stadt einem lebendigen Organismus vergleichbar. Allerdings verfügt solch ein komplexes System über eine gewisse Trägheit und würde nie alle Zellen gleichzeitig wechseln. Der genetische Code bleibt beständig. Städte sind zwar nicht unmittelbar mit einem lebenden Organismus zu vergleichen, doch allein die Vorstellung erleichtert das Verständnis.
Zum genetischen Code Bambergs gehören – und das hat die UNESCO vortrefflich festgestellt – die Gärtner. Diese haben einerseits über die Jahrhunderte eine Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit bewiesen, andererseits eine Hartnäckigkeit an den Tag gelegt, dank derer sich Bamberg mit dem Welterbetitel schmücken darf. Nicht zuletzt ihre eindrückliche, während der Landesgartenschau thematisierte Demonstration gegen die Durchquerung und damit Vernichtung des fruchtbaren Gärtnerlandes in den 60er Jahren bleibt in Erinnerung (näheres in Ein Glück, dass es die Gärtner und Häcker gibt). Ist die Liebe zur Stadt dem Bamberger gar im Blut? Ist sie genetisch bedingt? Veränderungen entwickeln sich aus individuellen und gesellschaftlichen Interessen heraus, der Struktur wird ein gewisser Einfluss zugestanden. War es die Struktur, war es der Code, der die Rettung des Flussbads Hainbad ermöglichte (77 Jahre alt und heißbegehrt / Das Hainbad in Bamberg)?
Nie fand eine solche dynamische Bewegung statt, ohne im Bürgertum verwurzelt zu sein. Die Bürger und Bewohner sind das tragende Gerüst einer Stadt. Sie sind die Kümmerer ihrer Stadt. Sie tragen Sorge für die Lebendigkeit und für das Wohlergehen. Zugleich sind sie Motor des Handels. Sie sind die Identitätsträger. Kein Marketingstratege, der das Produkt „Stadt“ vertreibt, sollte dies außer Acht lassen. Deren Sicht ist – bedingt durch ihre Zielvorgaben – einseitig und für das Gemeinwohl nur bedingt relevant. Konsequenzen aus deren Treiben wird die städtische Gemeinschaft tragen (müssen), Verantwortung für sein Handeln übernimmt ein Marketingstratege nicht.
Siena – eine Welterbestadt mit starkem Bürgerengagement
Zuversichtlich stimmt die innerstädtische Entwicklung einer der schönsten Orte der Toskana: Siena, seit 1995 Weltkulturerbestadt und von vergleichbarer morphologischer Entwicklung wie Bamberg. Die bürgerliche Identifikation mit ihrer Stadt ruht in den 17 Stadtvierteln, contrade genannt. Sie sind die Ausrichter des palio, des Pferderennens, bei dem nicht nur der campo, ja, die ganze Stadt Kopf steht. Doch sind die contrade mehr, sie sind das soziale Gewissen der Stadt, geben Arbeitslosen vorübergehend Aufgaben, kümmern sich um die Pflege der Alten. Darüber hinaus sorgen sie für die Renovierung des Stadtviertels. Aufgrund des sozialen Engagements soll die Kriminalitätsrate Sienas die geringste von Städten dieser Größenordnung sein. Der Kreis schließt sich, ist doch nicht zufällig das Werk Ambrogio Lorenzettis Effetti del Buon Governo in città (= Die Folgen der guten Regierung auf das städtische Leben) von 1337–1340 Teil des Erbes, lebendig bis in unsere Tage.
Eine Stadt ist ständig unterschiedlichsten Kräften ausgesetzt, viele positive sind Bamberg immanent, manche Zumutungen sind natürlich auch dabei. Die physische Struktur unserer Stadt wurde als besonders von der Weltgemeinschaft ausgezeichnet. Eine lange Stadtkultur bildet in der Regel einen stabilen Rahmen für das Leben der Menschen innerhalb. Die bauliche Vergangenheit ist integrierter Bestandteil der Gegenwart. Sie ist auch Maßstab für das Neue. Nur mit ihren Bewohnern im Mittelpunkt des Geschehens kann eine Ausrichtung in die Zukunft gelingen, ansonsten verbleibt Kulisse. Das sollten Marketingstrategien nicht außer Acht lassen.
Persönliche Interessen und Geld.
Einzig und Allein darum geht es heute. Leider!
Für Erhaltung von Werten und Traditionen gibt es Auszeichnungen und Lobeshymnen.
Die Verantwortlichen und Laudatoren tun aber selbst das Gegenteil. Statt mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Vorsicht ist geboten:
Bamberg ist keine Nutte. Prostituition ist in Wohngebieten verboten!
Die Seele Bambergs muss unverkäuflich bleiben!
„Das Miteinander in respektvoller Zugewandheit und eine solidarische Grundhaltung bilden den Grundstock einer urbanen Gemeinschaft.“ Gefällt mir, Danke, Christiane! Mein genetischer Code sagt mir ebenfalls, dass ich unsere „urbane Gemeinschaft“ in dieser doch so schönen Stadt weder verlassen, noch mich von ihr zermürben lassen werde. Besagten Rahmen gedenke ich, mit abzustecken.
Und Siena ist wahrhaft verzaubernd, Danke für das schöne Bild und – ja, der Vergleich mit Bamberg kommt hin. Hoffen wir also auch für unsere Stadt das Beste!
Nicht nur Schärfung des Hintergrundwissens, wie Herr Weinsheimer sehr treffend kommentiert, sondern vielleicht auch des Gewissens?
Danke der Bamberger Onlinezeitung für die immer wieder informativen Artikel !
Empfehlenswert, um das Hintergrundwissen für die aktuelle Diskussion über die Entwicklung in der Bamberger Innen- und Einkaufsstadt zu schärfen.