Christina Werner-König
Herbstkonzerte des Collegium Musicum Bamberg, am 21. November 2021 (Totensonntag), in der Auferstehungskirche Bamberg
Allen Widrigkeiten der zur Zeit das Kulturleben lähmenden Pandemie zum Trotz und zur Freude seines treuen Publikums, hat sich das Collegium Musicum Bamberg (CMB) nach einer zweijährigen Zwangspause wieder zu einem einmaligen Hörerlebnis zusammengefunden. Diesmal in zwei aufeinanderfolgenden Konzerten gleichen Programms!
Einstudiert in schwierigen Zeiten, aufgeführt unter organisatorisch komplizierten Umständen, begeisterten einmal mehr Energie und Spielfreude des Collegium Musicum Bamberg unter seinem renommierten Künstlerischen Leiter Prof. Gunther Pohl, mit einem anspruchsvollen, sehr unterschiedlichen Programm. Spannend – vom ersten bis zum letzten Ton!
Ein genialer Exzentriker mit bahnbrechender Kunstfertigkeit
Francesco Geminiani (1687–1762) Concerto grosso e-Moll, op 3, Nr. 3
Einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit, der Italiener Francesco Xaverio Geminiani, war auch Geigenvirtuose, reisender Künstler und Kunsthändler, Musikschriftsteller und Musikwissenschaftler. In Großbritannien war er ebenso berühmt wie Händel und Corelli. Er überarbeitete viele seiner Kompositionen und machte sie spieltechnisch zu besonderen Herausforderungen. Seine Concerti grossi-Bearbeitungen anderer Meister, die er immer wieder umarbeitete, wurden später ironisch als „Musikalische Kochkunst“ bezeichnet!
Der Abend begann mit der fulminanten Darbietung von Geminianis Concerto grosso e-Moll, op 3, Nr. 3, für zwei konzertierende Violinen, mit Sanghee Ji und Marina Schneider / Hajo Bläser, Viola / Keiko von Stackelberg, Violoncello / Ulli Giebelhausen, Kontrabass und last but not least, dem famosen Johannes Lang, Theorbe. Im Concerto grosso (Großes Konzert) wetteifert das Concertino (die kleine Besetzung) mit dem Ripieno (die große Besetzung). Eine Konzertform, die aus der venezianischen Mehrchörigkeit entstand. Schon die mitreißende, temperamentvolle Interpretation dieses ersten Stückes versprach einen genussvollen Abend.
Das alles überstrahlende kompositorische und virtuose Highlight
J. S. Bach (1685–1750), Violinkonzert E-Dur, BWV 1042
Sanghee Ji, seit 2019 erste Geigerin der Bamberger Symphoniker, gab mit diesem Konzert im Collegium Musicum Bamberg ihren glanzvollen Einstand. 1990 in Seoul geboren, ausgezeichnet mit vielen internationalen Preisen, brillierte sie als Solistin im Violinkonzert E-Dur von J. S. Bach. Kunstvoll mit dem Orchester verknüpft, sind in der schwierig zu intonierenden E-Dur-Tonart besonders die Soli im Mittelteil eine technische Herausforderung. Auch das Orchester ist extrem gefordert. Das Thema der ersten Geigen übernehmen die zweiten und ergeben, zusammen mit dem Continuo und der Solo-Geige, eine Art Doppelkonzert. Besonders innig aber ist der zweite, der langsame Satz, das Adagio in cis-Moll! Da sang und schwebte die Violine von Sanghee Ji in anderen Sphären, abgehoben, zwischen Himmel und Erde. Nur Bach konnte das komponieren und von einer hochkarätigen Künstlerin wie Sanghee Ji mit solcher Kraft und Anmut, gepaart mit hoher Präzision, gespielt werden! Der dritte Satz ist ein Allegro assai. Dessen fünffachen Refrain gestaltete Sanghee Ji gleichzeitig überaus virtuos und feinsinnig.
Wer nach Bach Mendelssohn spielt, setzt nicht nur ein musikalisches Statement
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847), Sinfonie C-Dur, Nr. IX,
MWV Nr. 9, aus dem Jahr 1823, die sogenannte „Schweizer Sinfonie“
Jakob Ludwig Felix Mendelssohn entstammte einer angesehenen jüdischen Familie in Hamburg. Er war Komponist, Pianist und Organist, wurde als Wunderkind gefeiert und gilt bis heute als einer der bedeutendsten Musiker der Romantik. 1811 siedelte die Familie Mendelssohn nach Berlin um, konvertierte zum Protestantismus und legte sich den Beinamen Bartholdy zu. Dennoch wurde Felix weiterhin als Judenjunge beschimpft und litt zeitlebens, obwohl bald anerkannt als einer der größten Komponisten seiner Zeit, unter antisemitischen Ressentiments. 1820 trat er der Berliner Singakademie bei und holte als Zwanzigjähriger, in einer legendären Aufführung, Bachs Matthäuspassion aus der 87 Jahre andauernden Vergessenheit! In der Nazizeit als entartet verboten und aus der Musikgeschichte ausradiert, wurde Felix Mendelssohn-Bartholdy erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rehabilitiert. Robert Schumann, mit dem er in seiner Leipziger Zeit eng befreundet war, bewunderte ihn zutiefst!
„Sein Lob galt mir immer als das Höchste – die höchste und letzte Instanz war er!“
Zwischen 1821 und 1823, im Alter von 12 bis 14 Jahren, komponierte Mendelssohn 12 Streichersinfonien, u.a. die Schweizer Sinfonie Nr. IX. Diese Sinfonien wurden vielfach als „Aufwärmer“ aus dem musikalischen Kinderzimmer bezeichnet. Jedoch sind sie weit mehr als nur Studienwerke eines kompositorisch „frühreifen“ Knaben. Er verarbeitet darin verschiedene musikalische Einflüsse, wie z.B. von Bach, Händel und Palestrina, Haydn und Mozart und von seinen Reisen nach Frankreich und in die Schweiz. Dabei findet er bereits zu erstaunlicher Eigenständigkeit. Frisch und lebhaft, dennoch aus einem Guss, so interpretierten die Streicher des CMB diese 4-sätzige Sinfonie. Besonders eindrucksvoll: der zweite Satz, das Andante für 8 Solostreicher. Man hätte noch länger zuhören mögen, auch in der Sorge, dass ein nächstes Konzert in weiter Ferne liegen könnte, sollte sich die alles überschattende Pandemie nicht bald eindämmen lassen!
Allen drei Werken gemeinsam war eine ungemeine Lebendigkeit der Interpretation, die der behände Dirigent Gunther Pohl seinen Musikern vermittelte und von ihnen vorzüglich umgesetzt wurde.
Der Dank der Zuhörer entlud sich in begeistertem Applaus. Und als dem Publikum noch eine leichtfüßige musikalische Wegzehrung mittels eines bereits bekannten Ohrwurms, des Trios „La Suisse“ aus dem Scherzo von Mendelssohn-Bartholdy, mitgegeben wurde, schloss sich der Kreis und rundete den Abend wunderbar ab – à la Collegium Musicum Bamberg!