Eine Poesie des Fließens, Quirlens und Wirbelns

Stefan Fröhling

Amadé Esperer: Im Auge lacht der Augenblick

Die „ruhigsten Phasen des Jahres“ hatte sich der Autor Amadé Esperer ausgesucht, um seine „Kürzestgeschichten“ zu schreiben – von November bis Februar. Doch geruhsam-besinnlich sind sie nicht, weder den Inhalten noch dem Schreibstil nach. Der Autor wartet mit Geschichten auf, die sich der gerundeten, in sich geschlossenen Erzählweise durchweg entziehen und immerzu nach-denkenswert, ja beunruhigend offenbleiben. Das Spiel mit unerwarteten Begriffen und ironischen Wort-Kombinationen lässt keinen leicht-sinnigen Erzählfluss zu und steigert sich bisweilen zum Stakkato.

Die mehr als 60 „Kürzestgeschichten“ auf über 100 Seiten wirken – bezogen auf ihre viermonatige Entstehungszeit – beinahe tagebuchartig, trotzdem sie keineswegs artig, sondern eher unartig gestaltet sind. Es scheint so, als hätte Amadé Esperer an den einzelnen Tagen besondere Moment-Erlebnisse, Stimmungen, Sinneseindrücke, aber auch Erinnerungen ergründet. Er sinniert über den Unsinn, der sich allenthalben auftut, und entsinnt sich doch wieder des verborgenen Sinns dahinter. Esperer nennt dies den erzählerischen „Zwischenbereich“, in dem „alles für irgendwie möglich“ gehalten wird.

Dabei wird dem Sinnlichen, dem Konkreten, dem Fantastischen und dem Absurden Raum gegeben, obwohl die Sinnhaftigkeit des Erzählens nie ad absurdum geführt wird. Da ist in bunter Vielfalt von der verpuffenden heißen Luft einer Ratssitzung die Rede, von der sprengenden Stille eines Kirchenschiffs oder von einem gescheiterten sinnlichen Erlebnis angesichts der Laufmasche in einem Nylonstrumpf. Zugleich werden die metaphysischen Risse im Weltgefüge benannt, die Unergründlichkeit der Nanowelten, das Sich-Verirren in der Quantentheorie und die banale Abgründigkeit des Internets. Immerfort nimmt Esperer in eindringlichen Wortspielen und Dialogen die Besserwisser aufs Korn, belächelt die „Nachhaltigkeit“ als beliebige Worthülse oder die umstrittene Aussprache der Namen kanonisierter Untoter wie Nietzsche und Hofmannsthal, wehrt sich gegen die Weltverbitterten in ihrem dunklen Gedanken-Raum.

Konträr dazu steht die feinsinnige Beobachtung einer Lippenlandschaft bei einer stillen Lektüre, erscheint eine Lichtung im Dickicht als Mittelpunkt des Lebens oder berühren die erinnerte Geschichte einer Familie sowie die niemals verklungenen Stimmen in einem altehrwürdigen und in einem leeren Haus. Wie ein Fluss, der Vergangenheiten in sich trägt; denn nur „wer sich einlässt, auf den ausschweifenden Stil des Fließens, Quirlens und Wirbelns wird der Poesie teilhaftig“. Geradezu beispielhaft und resümierend mag sodann die letzte Geschichte gemeint sein, in welcher das abgegriffene Notizbuch eines Autors in einer Kleinstadtbücherei einer Leserin das Leben bedeutet.


Im Auge lacht
 der Augenblick
Follíen & Prosafatrasien
von Amadé Esperer

ISBN 978-3-940821-80-5
Preis: 12,00 € inkl. MwSt.
Erich Weiß Verlag