Eine Kriminalgeschichte in fünf Teilen
1. Teil
Es war ein einem trüben Novembermorgen. Der Himmel hing grau und schwer über der Welt. Auf dem alten Birnbaum, im Garten hinter dem Haus, saß eine Krähe. War sie ein Zeichen für Kommendes? Wer weiß das zu sagen. Und hätte es etwas geändert, hätte ich dieses Zeichen zu deuten gewusst? Unwahrscheinlich.
So ging ich gänzlich unbedarft in meinen Tag und als erstes in meinen vom Reif bedeckten Garten. Ein eisiger Wind blies. Ich zog die Jacke enger um meine Schultern. Die Krähe im alten Birnbaum ließ ich gänzlich unbeachtet. Lächelte einer letzten November-Rose zu, die zurück zu lächeln schien. Da schreckte mich das plötzliche „Kräh Kräh!“, des schwarzen Vogels im Birnbaum auf und ich stolperte rückwärts gegen die Regentonne. Mich festhalten wollend platschte ich mit der rechten Hand ins Regenwasser. Unflätige Worte von mir gebend, sie seien mir wegen der frühen Stunde und des eiskalten Wassers verziehen und ich werde sie hier auch nicht wiederholen, brachte ich mich wieder ins Gleichgewicht. Ich bückte mich nach der Abdeckung der Regentonne, die leichtsinnigerweise neben der Tonne lag. Einer enorm dickbauchigen Tonne. Ich richtete mich auf, das gesammelte Regenwasser abdecken wollend und erstarrte, den Deckel in der Schwebe haltend. Denn, aus dem gesammelten Regenwasser in der Tonne ragte mir eine Hand entgegen. Bleich, seltsam schlaff, abgewinkelt. Ich blickte auf diese Hand. Es dauerte einen Moment bis ich begriff was ich da sah. Ich erkannte diese Hand und machte – nichts. Starrte nur weiter auf die Hand, den beringten Ringfinger, dann auf das Handgelenk, folgte dem dazugehörigen Arm unter die Wasseroberfläche, erkannte Haare, einige wenige, einen Rumpf und weitere Körperteile, seltsam verbogen. „Hilfe!“ hörte ich mich hauchen. Und noch einmal „Hilfe!“ Aber das war noch nicht einmal mehr gehaucht. Dann legte ich den Deckel auf die Tonne. Nahezu geräuschlos. Ging ins Haus. Füllte den Teekessel mit Wasser. Brachte selbiges zum Kochen. Griff nach der Teedose, einer blechernen, abgegriffenen. Löffelte die gewelkten, gerollten, fermentierten, sortierten Assamblätter in ein Teesieb. Brühte mit kochendem Wasser auf und atmete das aufsteigende Aroma ein. Stark und schwarz goss ich den Tee in meine Tasse. Dann gab ich Zucker hinein. Ich trank ihn sehr süß, den Tee. Eigentlich trank ich ihn immer sehr süß, aber heute rechtfertigte ich den vielen Zucker mit dem Schock, unter dem ich stand. Aber stand ich unter einem Schock? Ein Kribbeln, ja ein Kribbeln durchlief meinen Körper. Aber war es nicht eher freudig? Ich merkte wie sich ein Lächeln über mein Gesicht breitete. Selig möchte ich es fast nennen. Ich gönnte mir eine zweite Tasse Tee, mit wieder reichlich Zucker, diesmal ohne Rechtfertigungen vor mir selbst, sondern einfach, weil ich ihn süß mag und Erwin nun nicht mehr über die Kalorien und meine Figur meckern konnte. Nie mehr. Wieder spürte ich dieses Lächeln in meinem Gesicht, spürte dieses Lächeln in meinem ganzen Körper und ging lächelnd belebt zum Kühlschrank. Ich öffnete die Tür fast jauchzend und griff nach dem Sahnekännchen. Einige wenige Tropfen ließ ich lachend in meine Tasse fallen und dann noch ein paar mehr. Ich stellte die Sahne zurück in den Kühlschrank, schlug dessen Tür schwungvoll zu und setzte mich an den Tisch. Ich blickte in die Teetasse. Sah Wölkchen emporsteigen. Gehaltvolle. Sahnige. Mir war, als wollten die Sahnewölkchen mir meine Zukunft offenbaren. Eine rosige Zukunft ohne Erwin! Ich atmete befreit und führte die Teetasse an meine Lippen.
© Cornelia Stößel 2020
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Die Fortsetzung folgt am nächsten Freitag im FreitagsText