Die Topfpflanze

Das Entsetzen ließ ihre Stimme noch immer beben. „Verstehen Sie? Zuerst hatte er alle Blüten abgerissen. Jede einzelne! Und dann hat er mit einer Schere die Blätter zerstückelt.“ Ein plötzliches Schluchzen machte ihr das Sprechen unmöglich. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie nahm dankend das gereichte Taschentuch und noch um Fassung ringend begann sie stockend weiter zu sprechen. „Auch die Wurzeln schnitt er ab. Ich hatte ihn angefleht! Meine Pflanze – aber er lachte nur. Er lachte! Verstehen Sie?“ Ein erneutes Schluchzen hinderte sie wieder am Sprechen.

Nach einer Weile und einem weiteren Taschentuch, das sie fest auf Nase und Mund presste, als wollte sie einen verspäteten Aufschrei unterdrücken, begann sie vor Abscheu wimmernd wieder zu reden. Gedämpft durch das Taschentuch. Man bat sie es vom Mund zu nehmen. Sie gehorchte. „Dann – dann hat er alles samt der Blumenerde über den Fußboden verstreut und hat – oh es war so widerlich! Er hat – er hat darauf gepinkelt. Das solle mir eine Lehre sein, mich um eine lächerliche Pflanze zu kümmern aber nicht um ihn, hat er gesagt. Ich hätte mich um ihn und nur um ihn zu kümmern. Und hämisch hat er dabei gelacht.“ Sie weinte. Man ließ ihr Zeit. Räusperte sich: „Und dann?“ Die Frage drang wie von weit entfernt zu ihr. Nur langsam erschloss sich ihr der Sinn der Frage, die Aufforderung darin; doch weiter zu sprechen. Sie blinzelte Tränen weg. „Er schrie mich an! Mach das sauber. Dazu seid ihr Weiber schließlich da.“ „Und sie haben, wie befohlen, sauber gemacht?“ „Ja.“ Ein müdes „Ja!“, entrang sich ihrer Kehle. Sie verfiel wieder in Schweigen. Auf ein erneutes „Und dann?“, sagte sie: „Wir gingen zu Bett.“ Ein Erstaunen in der Stimme, das wortlos sagte: Was hätte ich sonst tun können? „Sind Sie gleich eingeschlafen?“, wollte der Beamte wissen. Sie begegnete seinem fragenden Blick.

„Ich stand wieder auf. Ich konnte nicht schlafen. Ich ertrug seine Nähe nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Ich ging in die Küche und wollte mir eine Tasse Tee machen.“ Sie schwieg wieder. Der Beamte wiederholte: „Sie sind in die Küche gegangen. Was haben Sie dort gemacht.“ Sie überlegte kurz. „Ich habe Wasser gekocht und eine Tasse aus dem Schrank geholt. Die Teebeutel sind in der Schublade gleich unter den Tassen.“ Nach einer Weile unterbrach der Beamte ihr erneutes Schweigen. „Sie habe einen Teebeutel genommen?“ Sie nickte. „Ich habe ihn in die Tasse gehängt und mit dem kochenden Wasser aufgegossen.“ Sie nickte wieder sich wohl damit selbst ermutigend. Sagte: „Ich sah zu … Goldgelb.“ Der Beamte blickte sie irritiert an. „Der Tee!“, erklärte sie. „Der Tee wurde goldgelb. Ich nahm die Tasse und ging wieder ins Schlafzimmer. Ich hätte mich nicht getraut auf dem Sofa zu schlafen. Er wäre …“ sie sprach den Satz nicht zu Ende. Ihre Hände wrangen das Taschentuch. Sie atmete schwer. Die Worte kamen stockend. „Ich stellte die Tasse an mein Bett.“ Ihr Blick bat um Verständnis. „Der Tee, er war noch sehr heiß. Davon muss er aufgewacht sein. Vielleicht musste er auch zur Toilette. Wahrscheinlich.“ Sie runzelte überlegend die Stirn. „Ich sah den feuchten Fleck auf seiner Hose. Danach. Als er dort …“ wieder blieb der Satz unvollendet. „Was geschah, als ihr Mann aufstand?“ „Ich hatte mich auf die Bettkante gesetzt“, antwortete sie. „Er war wütend und gab mir die Schuld, dass er nicht schlafen konnte. Dabei hatte er geschlafen. Er hatte wirklich geschlafen!“ Sie sah den Beamten an. Hoffte er würde ihr glauben. Es war ihr wichtig, dass man ihr glaubte. Mit einem Anflug von Trotz fügte sie hinzu: „Sogar tief und fest geschlafen hat er und laut geschnarcht. Aber, als ich das sagte, als ich sagte; du hast doch eben noch geschlafen! Da ging er auf mich los. Er wurde immer wütender. Ich hätte ihn also aus dem Schlaf aufgeschreckt, behauptete er. Er packte mich an den Haaren und zerrte mich durch den Raum. Er beschimpfte mich. Da habe ich zugestoßen. Wissen Sie …“ in ihrer Stimme schwang echte Verwunderung. „Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich das Messer aus der Schublade mitgenommen hatte.“

Die anwesende Beamtin wurde aufgefordert sich um die Frau zu kümmern.

Hauptkommissar N. Schuster übernahm es selbst den Psychologen zu verständigen.

© Cornelia Stößel 2020 / August

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