Christoph Meckel: Ein unbekannter Mensch

Rosemarie Raith-Billich

Nachruf zum Tod des Poeten, Zeichners und Malers Christoph Meckel

„Ein unbekannter Mensch“ ist der Titel des sogenannten „Berichts“ von der Freundschaft Meckels mit seinem Nachbarn Mathieu, einem Bauern in der Region der Drôme, im Süden Frankreichs, wo Meckel während vieler Monate im Jahr lebte und arbeitete. Er nennt es „Bericht“, es ist somit keine Erzählung, kein Roman, sondern in Stil und Rhythmus ein poetischer Bericht.

Für mich ist Meckel ein bekannter Unbekannter, denn ich hatte das Vergnügen, Meckel 1986 im Rahmen einer studentischen Arbeitsgruppe unter der Leitung von Professor Segebrecht in Bamberg kennenzulernen. Wir hatten den Versuch unternommen, Meckels großes Oeuvre aus Sprache, Malerei und Zeichnung, auf Blättern, in Mappen und Büchern in der Ausstellung „Christoph Meckel: Bilder – Bücher – Bilderbücher“ in Bamberg, 1986, zu präsentieren.

Inzwischen ist Meckels Buch „Ein unbekannter Mensch“(1997) mein Lieblingsbuch geworden. Christoph Meckel hatte die Gabe, alltägliche Begegnungen mit dem Nachbarn Mathieu, einem Bauern im Hinterland der Drôme, in Poesie zu verwandeln: „Mathieu kam auf dem Traktor und brachte Kartoffeln. Wir tranken Rotwein im Hof am beschneiten Tisch, die Gläser standen im Schnee, eine seltsame Freude. Er sagte: J’ai jamais bu un vin comme avec un ami“. Der gegenseitige Respekt, die Freude des Einen in der Begegnung mit dem Anderen ist in poetischen Bildern für den Leser erfahrbar. Dabei könnten die beiden in Talent, Lebensweise, Erfahrung und Wissen nicht unterschiedlicher sein. Meckel berichtet vom Leben in Villededon in der Drôme, von den Menschen, ihrem Leben und ihren Ansichten. Er beschönigt nichts, er lebt im Hinterland, man lebt bescheiden, und es gibt auch dort ein Fremdeln mit dem Fremden. Es ist die Art und Weise, wie Meckel diese Erfahrungen und Erkenntnisse benennt. Kein Urteil, ein Benennen. Das genügt, und man versteht.

Bei Meckel wird alles zur Poesie. Ein Wort kann der Anfang eines Gedichts werden. Eine Wahrnehmung zu einem poetischen Empfinden oder Ausdruck. Es ist der gelebte Augenblick, der bei Meckel zur poetischen Entsprechung wird.

Das bekannteste Büchlein von Christoph Meckel ist die Erzählung „Licht“ (1978). Mit dem Auffinden eines Liebesbriefes seiner Freundin Dole an einen anderen Mann weiß Gil, dass das glücklich-übereinstimmende Leben mit Gil zerbrochen ist. Der trauernde Ich-Erzähler Gil versucht nun, sich in Rückblenden die Stimmungen von Situationen und Gesprächen aus der glücklichen Zeit in Erinnerung zu rufen und somit den paradiesischen Zustand des „geflügelten Lebens zu zweit“ wiederzugewinnen. Aber das Einig-Sein ohne Wörter ist nicht mehr möglich. Die Erinnerung an diese Liebe ist jedoch so romantisch-poetisch erzählt, dass das bittere Ende völlig in den Hintergrund gerät. Es bleibt die wunderbare dichterische Darstellung.

Als Maler, Grafiker und Zeichner war Christoph Meckel vor allem ein zeichnender Maler, bei dem die Linie eine dominierende Rolle spielt. Mit kräftigem Strich und in leuchtenden Farben bewegen sich märchenhafte und skurrile Figuren fröhlich vorwärts oder schweben mit eigenartigen Objekten, Kerzen, Blumen und Luftballons durch den Bildraum. Eine phantastisch-surreale Welt wird aufgebaut. Tagträume von unbekümmerter Heiterkeit, Musikalität und Poesie.

Wir haben am 29. Januar 2020 einen großartigen Poeten, Erzähler und Erfinder verloren.

Farewell, lieber Christoph Meckel!
Rosemarie Raith-Billich
Dipl. Germanistin

Ein Gedanke zu „Christoph Meckel: Ein unbekannter Mensch

  1. Zwecklos ohne Frage, in Wüsteneien Apfelbäumchen und so weiter.
    Und dennoch ist Frau Raith-Billich uneingeschränkt zuzustimmen – herausgegriffen nur den Anfang aus M.s „Andere Erde“:

    „Wenn erst die Bäume gezählt sind und das Laub
    Blatt für Blatt auf die Ämter gebracht wird
    werden wir wissen, was die Erde wert war.
    (…)“

    Angeknüpft sei aus einem Nachwort von Hermann Stock, S. 152, Henrik Ibsen, Peer Gynt, Reclam, Ausgabe 1977, einmal mehr kraft Dichterfeder:

    „Man muß zum Dichten erst einmal etwas haben, einen Lebensinhalt. Mangelt einem der, so dichtet man nicht, man schreibt bloß Bücher.“

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