Nichts wie raus aus BUMMERland

W. Schwarzanger

Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst

Das ist höchst bemerkenswert: Im Auge des weltweiten Vernetzungstaifuns outet der Cyberguru und Chefstratege von Microsoft Research: Jaron Lanier den größten Teil von Social Media als gesellschaftszerstörendes Verhängnis. Das Geschäftsmodell dieses Verhängnisses bringt er, der die Netzterminologie um Begriffe wie Virtual Reality oder Avatar bereichert hat, mit dem akronym aus „Behaviors of Users Modified and Made into an Empire for Rent“ – also etwa: zu mietendes modifiziertes Nutzerverhalten -– gebildeten Kernbegriff BUMMER auf den Punkt.

Als die Werbung zur allesbeherrschenden Branche der digitalen Weltneuerfindung wurde, die im Hintergrund der größten Profitmaximatoren aller Zeiten das lückenlos überwachte Verhalten durch automatisiertes Feedback modifiziert, kam BUMMER unauffällig zur Welt. Seitdem servieren datenaufsaugende Algorithmen allen Online-Versuchskaninchen in ihren unsichtbaren Skinner- Boxen unter BUMMERS „Gottesblick“ immer weiter zu optimierende Kaufanreize. So macht BUMMER für die Plattformenbetreiber und ihre Anzeigenkunden unser Verhalten zum Produkt. Indem es uns als seine Produkte immer tiefer in die Bigdatasucht zieht, macht BUMMER zunächst scheinbar glücklich.

Die Kehrseite dieser staatlich geförderten Sucht ist die Abwärtsspirale von schwindender Empathie und wachsender Anhedonie. Sich den bezaubernden Momenten des Tages rein analog zu überlassen wird dem BUMMERjunkie immer unmöglicher. Lieber lässt er sich als Produkt überwachen und manipulieren, als dass er freiwillig auf seinen Anreizfeed verzichtet. Unauffällig hebt die algorithmische Modifikation seines Verhaltens seinen freien Willen auf.

BUMMER will den Menschen zum socialmediafolgsamen Smomby verhunzen. Hunde sind zum Gehorsam dressierte Nachfahren der Wölfe, denen das Wolfsein für immer vergangen ist. Katzen dagegen sind undressierbar. Wer sich wider die Socialmediaverhunzung wieder selbstbestimmen will, der muss, so Lanier, auf das Katzenmodell umschalten. Denn BUMMERS „kybernetischer Totalismus“ läuft so zwangsläufig wie die Klimaveränderung auf eine Weltkatastrophe auf die radikale Entmenschlichung hinaus . Für BUMMER ist der Mensch nichts Besonderes: ein berechen- und verwertbarer Biobot. Damit die KI diese biobotischen Produkte als Zellen in ihren kommenden Superorganismus aufheben kann, ersetzt BUMMER den Glauben an die unsterbliche Seele vom Silicon Valley aus durch den neuen Glauben an die auf Erden technisch herstellbare Unsterblichkeit. Die Bewusstseine der gescannten Menschheit 2.0 sollen für immer in die Cloud hochgeladen BUMMER gehören. Für diesen Rückschritt hinter die antike Sklaverei zurück züchtet BUMMER die „allgemeine Arschlochhaftigkeit“. Je bizarrer das Arschloch, umso mehr Follower zieht BUMMER ihm an. Am liebsten pusht BUMMER BUMMERsüchtige Volksverführer an die Spitze.

Gewissenlose Brutalos sollen die Entmenschlichung so weit in die Gänge bringen helfen, dass die KI nach ihrem Urknall die Weltherrschaft übernehmen kann. Ist die Erde erst zum BUMMERland umgestellt, werden die produzierten menschmaschinisch verhunzten BUMMERjunkies in dieser Algorithmenschattenwelt ihr Menschsein so unwiderruflich verloren haben wie die Hunde ihr Wolfsein. Höchste Zeit also für die Renaissance der analogen Eigentlichkeit Come back in jour catway, du wundervolles Menschenkind! Du kannst selbstbewusst in dich gehen und auf diesem geheimnisvollen Weg erfahren, was keine KI jemals ausrechnen kann. Darum lies dieses wichtige Buch.


Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst
Übersetzung: Karsten Petersen, Martin Bayer

Hoffmann und Campe
Geb., 208 Seiten, ISBN: 978-3-455-00491-5

14,00 €