Mara Magnesia Seiler
„Glück gehabt“ hat Gerhard Kopp, der Gerd, Jahrgang 1951, in seiner Autobiographie als immer wieder auftauchendes Leitmotiv in seinem Leben herausgestellt – eines Lebens, in dem es vor allem nicht um Sicherheit geht, sondern als erstes um die Freiheit, selbstbestimmt und unabhängig sein zu können.
Klettern und Bergsteigen, in der Natur sein alleine oder mit Freunden, ist für Gerhard Kopp dasjenige, was er als sein eigentliches Leben betrachtet, als deutlichste Verwirklichung seiner Lebenseinstellung. Er hat diesen Sport 1970 begonnen, zu einer Zeit, als es weder Hallen mit Plastikgriffen gab noch Reibungskletterschuhe noch einzementierte Bohrhaken in Kletterrouten am Fels, und Kletterer als etwas verrückte Außenseiter galten. Geklettert wurde in dieser Zeit auch noch nicht frei, also durch Festhalten nur an der natürlichen Felsoberfläche bei Verwendung technischer Hilfsmittel ausschließlich zum Sichern. Kurt Albert brachte diesen Kletterstil zuerst in der Fränkischen Schweiz auf, und Gerhard Kopp der ihn kannte schloss sich bald dem „Rotpunkt-Klettern“ an, und hat einige bis heute viel begangene Kletterrouten der „Fränkischen erstbegangen;“ welche, sind jeweils minutiös vermerkt in den zwischengeschalteten Abschnitten „Aus meinem Tourenbuch“. Obwohl zuhause in der „Fränkischen“, war Gerhard Kopp seit den 70ern auch im alpinen Gelände unterwegs, im Wilden Kaiser etwa, in den Dolomiten, an der Watzmann-Ostwand und mehrere Touren aus Pauses Buch „Im extremen Fels“. Gerhard Kopp ist kein Hasardeur, bemerkt er doch kritisch die fehlende „Einschätzung“ für Gefahren eines Kollegen. Er berichtet von seinen Touren nüchtern und unprätentiös, ihm geht es beim Klettern weniger um Leistung, Wettbewerb und Sich-beweisen, sondern darum, „mit wenig zurecht zu kommen, draußen sein, möglichst in unberührter Natur, ungebunden sein, widerstandsfähig sein in allen Lebenslagen, Sicherheit nur soviel wie unbedingt nötig, für den Partner absolut verlässlich sein und damit die Leistungsgesellschaft, die Stresswelt hinter sich zu lassen.“ Klettern und Bergsteigen ist für ihn nicht nur ein Hobby, sondern die „Hauptsache“, das was sein Leben getragen hat: „Schau dir die Welt von oben an und du kannst sie mit Abstand sehen und manches von dir selbst erkennen.“
Gerhard Kopps Autobiographie handelt aber nicht nur vom Klettern. Gebürtiger Schweinfurter, aus einer einfachen Familie stammend, hat er sich sukzessive gelöst aus überkommenen tradierten Vorstellungen eines gelungenen Lebens. Er hat nach der Industriekaufmannslehre bei einem als gängelnd und autoritär empfundenen Betriebsklima in der Firma dort keine Stelle angenommen sondern ist über Fachabitur und Fachhochschule dahin gelangt, zunächst an der Universität Würzburg und dann in Bamberg Pädagogik mit Schwerpunkt Sozialpädagogik zu studieren. Er hat in Bamberg, nahe an der Fränkischen Schweiz, die meiste Zeit seines Lebens verbracht, abgesehen von kurzen Aufenthalten in Berlin und Neustadt an der Aisch sowie Reisen nach London und zum Clanberries-Pass in Wales zum Bouldern, nach Paris (eine angehimmelte Ferienbekanntschaft besuchen), nach Nepal zum Trekking am Himalayahauptkamm, nach Indonesien zu einer Vulkanbesteigung, in die Türkei und Italien. Er war auch wie aus seinem Tourenverzeichnis zu ersehen ist gerne in den Alpen zum Klettern, zu Klettersteigbegehungen, zum Bergsteigen und Mountainbiketouren unterwegs.
Er hat im Studium begonnen die eigene Erziehung zu hinterfragen, sich für Musik von Joan Baez und Bob Dylan zu begeistern, und sich politisch zu interessieren. Bei einer unangemeldeten Flugblattaktion bekam er dabei auch das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in den 70ern zu spüren. In seiner Lebensbeschreibung finden sich daher auch kritische Gedanken über die Entwicklung der Gesellschaft und den Kapitalismus, die Rolle der jüngeren Generation und Atomkraft, sowie ein Abriss seiner Diplomarbeit über „Totale Abstinenz oder Kontrolliertes Trinken“. Ihm eigen ist außerdem eine hohe Reflexionsfähigkeit und Sensibilität für zwischenmenschliche Geschehnisse. Letztere spricht auch aus den Gedichten, meist kurzen Naturbildern, von denen er in die Lebensbeschreibung einige aus seinem 2000 veröffentlichten Band „Stimmungsbilder Seelenbilder“ einfließen lässt.
Sein Ideal der Unabhängigkeit findet er auch im Motorradfahren ausgedrückt, und jede seiner zahlreichen Maschinen findet einzeln Erwähnung, samt der genauen Art ihres technischen Verschleißes, der ihn einmal, auf dem Rückweg von London, beinahe das Leben gekostet hätte. Auch hier wieder ist sein Kommentar: Glück gehabt.
Als Fehler in seinem Leben bezeichnet Gerd Kopp die Kündigung seiner ersten festen Stelle bei der Lebenshilfe in Kronach, wo er verantwortlich war für die Förderung in ihrer Entwicklung verzögerter Kinder. An die Kündigung schloss sich ein Wechsel verschiedenster Jobs an, mit dazwischenliegenden Weiterbildungen u.a. in Gestalttherapie und Gerontotherapie, Nichtverlängerungen befristeter Verträge und Frustrationen mit als verkrustet empfundenen autoritären Strukturen, missgünstigen Mitarbeitern und Chefs. Auch hier ist es ihm weniger um Sicherheit, als vielmehr um Freiheit und Selbstbestimmung gegangen, was ihn in manche Krisen und Tiefpunkte gebracht hat, aus denen er sich aber mit Energie wieder herausarbeitete. Bei seiner Arbeit in der Altenpflege versuchte er, inspiriert von Simone de Beauvoirs Buch „Das Alter“, entgegen einer vom ihm sehr kritisch gesehenen Tendenz der Entmündigung alter Menschen in Pflegeeinrichtungen durch massive Gabe von Medikamenten und fehlende Angebote zu eigenverantwortlichen Aktivitäten, diesen so gut es geht Selbstbestimmung zu ermöglichen. Er beschreibt außerdem Begegnungen in der Zeit seines Studiums, mit Freunden beim Klettern, einem Mitbewohner und Freund der ihm die Welt des Theaters nahebrachte und damit, wie er sagt, sein Leben spät noch einmal bereicherte, und aus seiner Zeit als Straßenmusiker vor dem Alten Rathaus in Bamberg.
„Die Liebe hatte ich nie im Griff“, schreibt Gerhard Kopp im Vorwort, und dass er sich als zeitlebens eher von Emotionen als Vernunft geleitet einschätzt. Eine Familie, sagt er, wollte er nie haben, lieber ungebunden sein, weshalb sich in seiner Lebensgeschichte die Beschreibung einer (kurzen) gescheiterten Ehe finden und darüber hinaus zahlreiche Liebesbekanntschaften. Nach aller Einsicht der Vernunft, schreibt er bei einigen, sei eine gemeinsame Zukunft aussichtslos gewesen. Auch hierin hat der Autor sich nicht viel um traditionelle Vorstellungen von Ehe und Familie gekümmert.
Man muss sich nicht Gerhard Kopps Streben nach Unabhängigkeit als wichtigster Lebensinhalt gedanklich oder performativ angeschlossen haben, um seine Autobiographie mit Gewinn lesen zu können. Seine Lebensgeschichte ist ohne literarisch-philosophische Verschnörkelungen geschrieben, und hat trotz der schriftlichen Form beinahe die Unmittelbarkeit und Direktheit einer mündlichen Erzählung. Vieles darin Beschriebene wird vor allem lesenswert sein für Kletterer, insbesondere die an den Anfängen des Kletterns in der Fränkischen Schweiz Interessierten, am besten selbst mit den beschriebenen Routen Vertrauten unter ihnen. Für sie kann Gerhard Kopps Sicht des Kletterns Anlass werden, die eigene Motivation zum Klettern zu hinterfragen, sich vielleicht wieder daran zu erinnern dass bei ihrem Sport Freude an der Bewegung in schöner Natur im Mittelpunkt stehen könnte anstelle des aus dem Alltag bekannten Leistungsprinzips.
Doch nicht nur für Kletternde, für jeden kann Gerhard Kopps Beschreibung seines Lebens Anlass werden, sich, sei es überwiegend zustimmend oder auch in kritischer Distanz zu seinen Ansichten, einmal die Frage zu stellen was eigentlich dem eigenen Leben die Hauptrichtung vorgibt? Ob es unhinterfragt übernommene Ansichten sind, ein bloßes „Fliehen“ vor den als einengender Zwang empfundenen Ansprüchen, oder eine eigene, selbst gefundene und selbst verwirklichte Antwort darauf, was im Leben wichtig ist. – Und Gerd hat viel zu erzählen.
Gerd Kopp
„Finde den richtigen Griff“
Klettern, Bergsteigen, Abenteuer Geschichte des fränkischen Kletterers und Bergsteigers „der Gerd“, 1951–2017 …
Autobiographie
136 S., 20 Abb., 17 x 24 cm,
ISBN: 978-3-940821-56-0
Erich Weiß Verlag
19 Euro
In Gerhard Kopps Buch ist eine sogenannte Tschernobyl-Route [!] erwähnt.
Könnte man nicht Kinder aus dem realexistierenden TSCHERNOBYL einladen?
Beispielsweise waren bereits im Sommer 2017 Kinder von dort zu Gast im Kletterpark Verden.
Fränkischen Kletterfreunden wird es sicherlich nicht schwerfallen sich von ihrer großzügigsten Seite zu zeigen, um ein ähnliches Projekt im allerschönsten Frankenjura zu realisiern
Rimniculsky