Naturforschende Gesellschaft Bamberg
Europarc-Vorstand Karl Friedrich Sinner sprach bei der Naturforschenden Gesellschaft Bamberg über 46 Jahre Nationalparkerfahrung in Deutschland.
Er halte es für durchaus zielführend, betonte Sinner gleich zu Beginn seines Vortrages, wenn in Bayern nicht nur ein, sondern zwei neue Nationalparke ausgewiesen werden würden. Damit bezog er sich auf die aktuelle Diskussion um einen dritten Nationalpark im Freistaat. Denn es herrsche ein eklatantes Defizit an Wildnisflächen in Deutschland. Das Ziel, bis 2020 2% der Landesfläche sich selbst zu überlassen, wie in der Nationalen Biodiversitätsstrategie festgelegt, liege noch in weiter Ferne. Über 99% der bundesrepublikanischen Landfläche seien mehr oder weniger stark vom Menschen geprägt. In Nationalparks soll der Mensch sich hingegen ganz zurück nehmen. „Was auch immer dort passiert, ist richtig“, fasste Sinner prägnant zusammen.
Dann warf der Referent einen Blick in die Geschichte. Begonnen habe die Nationalparkbewegung in den USA, als 1870 der Yellowstonepark unter Schutz gestellt wurde. Das Gebiet sollte dem „Erleben wilder Natur“ dienen. In Europa zogen zuerst Schweden und die Schweiz nach, relativ spät Deutschland. Der erste deutsche Nationalpark sei 1970 im Bayerischen Wald gegründet worden. Treibende Kraft war damals unter anderen der berühmte Fernsehprofessor Bernhard Grzimek. 1978 folgte der Nationalpark Berchtesgaden. Seitdem ist in Bayern kein weiterer Nationalpark entstanden. Erst im vergangenen Jahr wurde Umweltministerin Ulrike Scharf beauftragt, nach Gebieten in Bayern zu suchen, die als dritter Nationalpark in Frage kämen. Ausgelöst worden war dieser Prozess nicht zuletzt durch die Debatte um die Ausweisung eines Nationalparks im Steigerwald. Der sei aber ausdrücklich per Minsterratsbeschluss von der Suche ausgeschlossen. In Franken kämen jetzt der Spessart und die Rhön in Frage.
In Europa gebe es, so Sinner, überhaupt nur ein einziges Gebiet, dass immer Urwald geblieben sei: der Dürrenstein in Österreich. Dort habe der Baron Rothschild auf 500 ha primäre Wildnis erhalten, später sei diese an das Land Österreich gegangen. Es sei das einzige Wildnisgebiet Zentraleuropas in der Kategorie 1a der Weltnaturschutzorganisation IUCN.
In Deutschland sei es überall schwierig, Nationalparke auszuweisen. Oft gingen dem Jahrzehnte hitziger Debatten voraus. „Holz für die Bürger, nicht für die Würmer“ sei nur einer der Slogans, womit sich betroffene Waldnutzer wehren. Dennoch gebe es mittlerweile immerhin 16 Nationalparke in Deutschland, zuletzt wurden die Nationalparke Schwarzwald (2014) und Hunsrück-Hochwald (2015) ausgewiesen. Trotzdem mache das nur 0,6% der Landfläche Deutschlands aus, gab Sinner zu bedenken. Darunter ein einziger Flussnationalpark, das Untere Odertal, und der größte geschlossene Buchenwald Deutschlands – der Hainich in Thüringen, der als „Kleinkanada“ beworben werde. Der Bayerische Wald sei der struktur- und totholzreichste Wald Deutschlands.
Nationalparks auszuweisen, betonte der Referent, sei eine kulturelle Entscheidung. Er wisse von keiner Region, die ihren Nationalpark, nachdem er eingerichtet war, wieder loshaben wollte. Wichtig war Sinner, zu betonen, dass es in Nationalparks nicht um Rückführung in die Ursprünglichkeit gehe, sondern um eine „neue Wildnis“. Mit der Einstellung jeglicher Nutzung kann die Natur ihren eigenen Gesetzen folgen. Niemand weiß genau, wohin die Entwicklung geht, weil Vergleichsflächen fehlen. Aber das sei ja gerade das Erstaunliche, das Lehrreiche. Niemand hätte vorhersagen können, dass das Waldsterben im Bayerischen Wald, ausgelöst durch Borkenkäfer, zum deutlichen Anstieg der Fischotterbestände führt: die Auflichtung hätte die Bäche wärmer und nährstoffreicher gemacht, das Lebendgewicht der Forellen habe sich dadurch verdoppelt und damit sei das Nahrungsangebot für den Fischotter erheblich besser geworden. Inzwischen sei aus der „toten Waldwüste“ auf den Höhen des Bayerischen Waldes durch Naturverjüngung ein vitaler neuer Mischwald entstanden.