Warum studieren immer mehr Chinesen in Deutschland?

Von You Xie

You Xie_MG_6045 AusschnittAls ich während meines Germanistik-Studiums von 1979 bis 1983 an der Sun-Yat-sen Universität in Guangzhou war, gab es damals ca. 4000 Studenten. Meine ehemalige Universität zählt mit ihren z.Z. 85232 Studenten zu einer der zehn größten der Volksrepublik China.

Die chinesische Kulturrevolution herrschte in zwischen 1966 und 1976, die Kampagnen konzentrierten sich auf Politik, Kultur, öffentliche Meinung und Bildung. Die Universitäten stellten zu Beginn der Kulturrevolution ihre Arbeit ein, und ein normaler Universitätsbetrieb, mit Eingangs- und Abschlussprüfungen sowie qualifizierten Zeugnissen, wurde erst 1978 wieder eingeführt. Damals war der Auswahlprozess sehr gnadenlos hart. Im Jahre 1979 gab es zwar fünf Studienplätze, jedoch über hundert Bewerber.

Das Gao Kao ist das nationale Examen zur Hochschul-Matrikulation, die Abschlussprüfung im chinesischen Schulsystem, die einen Eintritt in das Studium ermöglicht. Diese Prüfung ist die Abschlussprüfung der 12-jährigen Schulerziehung und somit vergleichbar mit dem Abitur in Deutschland. Drei Tage lang befindet sich das Land während der Prüfung im Ausnahmezustand: Bauarbeiten werden gestoppt, alle Lärm produzierenden Tätigkeiten werden reduziert, um die Konzentration der Prüflinge nicht zu stören.

Eine hochwertige Ausbildung hat in China einen extrem hohen Stellenwert. 2015 gab es zwar sieben Millionen Studienplätze, jedoch 9,42 Millionen Bewerber. Dies bedeutet, dass 2,42 Millionen Bewerber leer haben ausgehen müssen. Die jungen Menschen möchten studieren, sie bekommen Unterstützung, vor allen von ihren Eltern, die häufig die Hälfte ihres Einkommens in die Ausbildung ihrer Kinder investieren.

Als ich Germanistik von 1988 bis 1993 an der Universität Bamberg studierte, waren bloß drei Studenten aus China und jetzt sind es 98. Seit 2004 habe ich an der Kooperationen zwischen der Universität Bamberg und Jiaotong-Universität Xi’an, Sun-Yat-sen Universität, Universität für Wissenschaft und Technik Qingdao mitgewirkt. Sehr erfolgreich, das Interesse an einem Studium in Bamberg wächst.

Deutschland hat einen guten Ruf bei den Chinesen, das macht das Land auch als Studienort für Chinesen interessant. Deutschland ist in China nicht nur für Musik, Philosophie und Fußball, sondern auch für Autos und andere hochwertige Produkte bekannt. Viele chinesische Studenten streben deshalb in ingenieurwissenschaftliche oder mathematische Studiengänge. Ein Auslandsstudium gilt für viele chinesische Familien aus der Mittel- und Oberschicht heute als selbstverständlich.

Warum?

Konfuzius sagte: „wàn bān jiē xià pǐn wéi yǒu dú shū gāo.“ (Ein Gelehrter zu sein ist die Spitze der Gesellschaft. Alle anderen Berufe sind Basis.)

Unwissenheit ist die Nacht des Geistes, eine Nacht ohne Mond und Sterne.

Kaum ein anderer Intellektueller hat China so stark geprägt wie Konfuzius. Sein Satz „wéi yǒu dú shū gāo“ beeinflusst die chinesische Gesellschaf seit über zwei tausend Jahren. Konfuzianismus gilt in China als gesellschaftliche Gebrauchsanweisung. Seine Schüler fassten die Weisheiten nach seinem Tod im sogenannten „Lun Yu“ zusammen. Sie schätzten ihren Meister als einzigartigen Pädagogen und Vordenker der Bildungstheorie und folgten ihm wie Jünger. Der entscheidende Charakter in der Philosophie des Konfuzius – und zugleich der Grundzug des chinesischen Philosophierens – war die Hinwendung auf den Menschen und auf das praktische Leben. Konfuzius machte die Form und Stabilität der politischen Ordnung vom vorherrschenden Menschentypus abhängig. Außerdem stellte er heraus, dass die entscheidenden Charaktereigenschaften des Menschen nicht von Geburt aus vorhanden sind, sondern durch Lernen und Bildung, durch ein Wissen um Haltung und Regeln des Handelns erst erworben werden mussten. Von entscheidendem Wert für die Erhaltung und Stärkung von Staat und Gesellschaft war die Erziehung. Konfuzius verlangte eine Vermehrung und Verbesserung des allen in gleicher Weise zugänglichen öffentlichen Unterrichts.

Das Vier-Stände-System (Beamtentum, Landwirtschaft, Handwerk, Handel) spielt nicht nur in China, sondern auch in ganz Ostasien eine wichtige Rolle. In China sind die Beamten immer noch sehr wichtige Leute und werden von der Bevölkerung verehrt.

Ohne einen Hochschulabschluss kann man überhaupt nicht Beamter werden, auf jeden Beamtenplatz kommen über dreitausend Bewerber. Die Beamten gehören der bedeutendsten gesellschaftlichen Klasse an. Aber man muss vorher eine sehr schwere Prüfung ablegen.

Deshalb wollen viele Chinesen unbedingt studieren. Der Umfrage des Forschungszentrums des Nationalfamilienministeriums zufolge investieren die Eltern jährlich 30% des Familieneinkommens in die Ausbildung ihrer Kinder. Das Ergebnis wurde am 18. März 2013 bekanntgegeben.

China Radio International hat am 3. Februar 2015 eine Statistik bekanntgemacht. Das Ergebnis lautet: Jede Familie gibt im Durchschnitt 6000 Yuan im Jahr für die Ausbildung ihrer Kinder aus.

An einer Universität zu studieren, ist ein Grundrecht für die chinesischen Familien. Dementsprechend hart arbeiten die Schüler, um sich für einen Studienplatz zu qualifizieren. Deshalb boomen auch die Nachhilfe-Geschäfte, nämlich die Unternehmen, die privat zu finanzierende Vorbereitungskurse für das GaoKao anbieten. Diese Unternehmen wachsen ganz schnell, und überall gibt es Niederlassungen.

Aber nicht nur die Beamten sind wichtig, auch die Bauern, denn sie bearbeiten ja das Land und sorgen für Nahrung. Auf der dritten Stufe der chinesischen Gesellschaftsordnung stehen dann die Handwerker. Diese stellen wichtige Geräte her, z.B. Werkzeug zum Arbeiten oder auch wichtige Waffen, um Krieg zu führen. Aber die Handwerker sind in China sehr unbeliebt, manchmal auch verachtet. Sehr verachtet sind die Kaufleute. Auf der untersten Stufe stehen die Kaufleute. Diese sind nicht so hoch angesehen. Nach Ansicht vieler Chinesen stellen sie ja nichts her, verdienen aber trotzdem mit der Arbeit anderer Menschen und sind auch oft sehr reiche Leute.

You Xie: Diplom-Germanist, CSU-Stadtrat in Bamberg, Vizepräsident der Association of Chinese Language Writers in Europe