Liebesleid mit Komödienstadel

Die Studiobühne Bayreuth führt zur Festspielzeit bei Steingraeber Uwe Hoppes neue Wagner-Adaption „Tristan oder Isolde?“ auf.

Monika Beer
Szenenbild mit dem kompletten Ensemble. Foto: Regina Fettköther

Szenenbild mit dem kompletten Ensemble. Foto: Regina Fettköther

Eine Alternative zu Wagner bei den Festspielen? Gibt es in Bayreuth immerhin schon seit 33 Jahren. Unten in der Stadt, in der etwas anderen Scheune, die zur Klavierfabrik Steingraeber gehört. Dort betreibt die Studiobühne Bayreuth mit Laiendarstellern unter ihrem wagnerischen Spiritus Rector namens Uwe Hoppe ihre theatralische Feldforschung durch Leben, Werk und Wirken des sogenannten Meisters. Das jüngste Projekt heißt „Tristan oder Isolde? Wagner untold“ und hatte am 18. Juli die bejubelte Uraufführung. Natürlich auch mit viel originalen Wagnertexten, und zwar nicht nur aus „Tristan und Isolde“.

Annette Lauckner als Isolde und Sascha Retzlaff als Tristan. Foto: Regina Fettköther

Annette Lauckner als Isolde und Sascha Retzlaff als Tristan. Foto: Regina Fettköther

Schon der Titel der jüngsten Studiobühnen-Produktion ist symptomatisch. Das berühmte „süße Wörtlein und“, von dem Isolde im 2. Akt der Oper „Tristan und Isolde“ singt, hat Uwe Hoppe, der diese Wagner-Adaptionen, -Parodien, -Komödien und -Tragödien stets selbst schreibt und inszeniert, absichtsvoll gestrichen und durch oder ersetzt. Erstens, weil in diesem Stück viel von Gottfried von Straßburgs nicht vollendetem Romanfragment und anderen Vorlagen steckt was bei Wagner ungesagt bleibt. Und zweitens, weil diese Liebesgeschichte in welcher Version auch immer Fragen an uns richtet. „Nicht und“, schreibt Hoppe im Programmheft, „ist das verbindende Wort, sondern oder. Jeder bleibt ewig einsam, manchmal nicht allein. Oder?“

Also beginnt der Abend mit der Sterbeszene von Wagners Tristan und mit einem heutigen jungen Paar, das schon durch die Namen Chantalle und Kevin ziemlich prekär ist für das hohe Lied auf die Liebe. Auch das übrige Personal ist nicht unbedingt so ausgestattet, wie man es erwartet. Denn Tristan, Isolde, Marke, Brangäne, Melot, Kurvenal, Isolde Weißhand, Morold, Blanchefleur und Rivalin scheinen Mitglieder einer Rummelplatztruppe zu sein, die neben einem liegen gebliebenen Karusselldach immer wieder ihre Wirtshaustische und Bänke ab- und aufbauen (Bühne: Michael Bachmann, Kostüme Thorsten Maisel).

Isolde ist die Ballerina, Tristan ein Superspiderman, Marke (Frank Joseph Maisel) eine Mischung aus Prinzregent und Zirkusdirektor. Der wunderbare Kurvenal von Hartmut Thurner scheint nicht nur Zirkusmensch, sondern auch ein Brandstifter bei Biedermann zu sein. Anders als bei Wagner spielt Melot hier eine vielsagende Hauptrolle: Horst Möller hat ein entsprechend markantes Profil und trägt unterm Frack einen gestreiften Anzug, der einen sowohl an Willi Eisenring als auch an KZ-Häftlinge denken lässt. Aufgewertet ist auch Brangäne mit ihrem Kapotthütchen. Johanna Rönsch, Uwe Hoppes erste Isolde 1991 in „Tristan, der fliehende Irrländer und Isolde“, gibt eine prägnante mütterliche Freundin, die auch ihre Sehnsüchte hat.

Es geht mal schrill, mal schräg, mal sanft durch verschiedene Zeiten und Erzählebenen – und besonders komödienstadelig, wenn Tristan und Isolde ein altes Ehepaar mimen. Als junges Paar scheinen die beiden zwanghaft körperlich der Musik folgen zu müssen, wiegen sich in nachdrücklichen Bewegungen und Gegenbewegungen zum Tristan-Akkord und anderen zentralen Musikstellen, die wie immer Hans Martin Gräbner sehr trendig nach Wagner eingerichtet hat.

Der Star des Abends ist Sascha Retzlaff, ein jugendlich lässiger, aufmüpfiger und sehr beweglicher Tristan, wie man ihn auf der Opernbühne leider nie erleben darf. Und Annette Lauckner als Isolde gelingt sogar das Schwierigste: Sie meistert die Schlussansprache, die nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich in Kürze alles aufbietet, was von der Minne des Mittelalters über das romantische Liebesempfinden des 19. Jahrhundert und die Tiefenpsychologie des 20. Jahrhunderts bis in die mediale Gegenwart reicht.

Ein spannender Abend für alle, die unterhaltsam mehr über den Stoff erfahren wollen, aus dem Wagner jenes Werk geschaffen hat, über das er vor üb er 150 Jahren an seine Muse Mathilde Wesendonck schrieb: „Dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt!!! – – – – – Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodiert wird –: nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!“ Oder?

Besuchte Premiere am 18. Juli, nächste Vorstellungen am 24., 26., 29. und 31. Juli sowie zwölf weitere im August; Karten gibt es unter Telefon 0921/69001, Infos unter www.studiobuehne-bayreuth.de