Wahnfried-Direktor Sven Friedrich referierte beim Wagnerverband Bamberg über das neue Wagnermuseum in Bayreuth.
Monika Beer
Ach, das Kniebänkchen! Zwar soll, kann und darf in einem zeitgemäßen Museum so manches virtuell sein. Aber dass in der sogenannten Schatzkammer des neuen Bayreuther Wagnermuseums vor der Vitrine der originalen „Tristan“-Partitur kein Andachtsmöbel stehen wird, ist arg. Oder nicht? Sven Friedrich, der zuständige Archiv- und Museumsdirektor, ist im Umgang mit derlei Fragen gestählt: „Ironie ist der einzig mögliche Zugang zu Wagner.“
Das zu glauben, fiel den begeisterten Zuhörern bei seinem Vortrag beim Richard-Wagner-Verband im Hotel Bamberger Hof am 1. Juni auffallend leicht. Denn der Chef des Museums, das am 26. Juli offiziell wiedereröffnet wird, erläuterte die mit Imponderabilien aller Art gespickten Restaurierungsarbeiten, Neu- und Einbauten in und um Richard Wagners Villa Wahnfried mit so viel drastischen Worten, Esprit, traurigen Wahrheiten und Witz, dass zwei Stunden wie im Flug vergingen.
Nicht umsonst begann und endete Friedrich mit kulturpolitischen Aussagen. Sätze wie „Kein Politiker wird gewählt, weil er kulturaffin ist“ und „Demokratie heißt, man muss aushalten, dass stets Leute entscheiden, die nichts von der Sache verstehen“ verdeutlichten, dass selbst, nein gerade das Wagner-Museum in Bayreuth ständig kämpfen muss. Unter anderem, weil Wagner mit seinem ideologischen Kunstanspruch und seinem Antisemitismus nicht gerade attraktiv ist für weltweit operierende potenzielle Sponsoren. Immerhin muss Friedrich jetzt seine Kollegen vom Heinrich-Schütz-Haus in Bad Köstritz bzw. Weißenfels nicht mehr beneiden. Denn es wurde eine Lösung gefunden, wie und wo man den „unappetitlichen Wagner“ unterbringt: im unmittelbar angrenzenden und in den Museumskomplex einbezogenen Siegfried-Wagner-Haus.
Das neue, inzwischen mit Kosten von rund 20 Millionen Euro fast fertig gestellte Richard-Wagner-Museum Bayreuth in Wahnfried und einigen Nebengebäuden, soll – wie anno 1874 beim Einzug Wagners in die Villa in exklusiver Stadtrandlage – ein Solitär sein unter den Komponisten-Museen. Und kein „Ärgersheim“, wie Richard und Cosima Wagner ihr künftiges Zuhause bezeichneten, als es mit viel Differenzen, Missverständnissen und Pannen errichtet wurde. So notierte Cosima am 23. Dezember 1873 in ihr Tagebuch: „Wir gehen nachmittags aus, nach Ärgersheim, wie wir das Haus nennen, da beständig irgend etwas Verfehltes oder Vergessenes sich uns darin entdeckt.“
Baugeschichtlich zog das natürlich allerhand nach sich. Wagners eigene Gruft und einige Nebengebäude gab es da schon, das ursprünglich kleine Siegfried-Wagner-Haus erfuhr ab den 1890er Jahren mehrere Vergrößerungen, Um- und Anbauten, während das sogenannte Gärtnerhaus immerhin bis 1935 fast unverändert blieb. Was sonst noch baulich passierte, wird Thema der ersten Sonderausstellung in dem von Volker Staab entworfenem Neubau sein, der vom Gärtnerhaus nach hinten tief in den Garten führt.
Auch wegen dieses modernen Neubaus gab es bekanntlich allerhand Ärger, sollte doch dort zunächst das Museumscafé untergebracht werden, was in Hinblick auf die nahe liegende Grabstelle im Garten Iris Wagner auf den Plan brachte. Die inzwischen verstorbene Wagner-Urenkelin engagierte sich im Stiftungsrat unter anderem auch dafür, dass die Wohnräume Winifred Wagners im Siegfried-Wagner-Haus ein geschichtlich passender Teil des Museums werden sollten.
Laut Sven Friedrich war bei der gesamten Planung die Authentizität eine der zentralen Fragen. Denn die Villa Wahnfried wurde im April 1945 durch Bomben so stark zerstört, dass auf ihrer Gartenseite nur ein kleiner Teil der originalen Fassade noch erhalten ist. „Die Zeitläufte gehören bei solchen Überlegungen dazu. Der Zustand von 1945 ist schließlich auch authentisch!“ Dass die nach der Gründung der Richard-Wagner-Stiftung 1973 restaurierte und 1976 als Museum wiedereröffnete Villa unter Denkmalschutz gestellt wurde, sei aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar.
Im neuen Wahnfried, wo Leben und Werk Wagners im Zentrum stehen, bleibt also nicht alles beim Alten. Rekonstruiert wurden im Erdgeschoss die Raumschalen, das heißt, Decken, Wände, Böden und das Treppenhaus sind so wiederhergestellt, wie es etwa 1881/82 war. Hier soll Wagners Lebenswelt sichtbar werden. „Wir haben abgelehnt, Mobiliar nachzubauen, denn das entwertet alles Originale.“ Stattdessen gibt es mit Hussen überdeckte Stellvertreter, so als ob die Familie gerade wieder nach Italien gereist wäre.“ Kein historistisches Wagner-Disneyland also: „Was alt aussieht ist original und befindet sich an der richtigen Stelle, die Cosima-Porträts hängen nicht an der Wand, sondern stehen auf Staffeleien. Aber die Kronleuchter sind modern.“
Im Obergeschoss und den niedrigen Zwischengeschossen kann man sich ausführlicher mit Leben und Werk auseinandersetzen, in Vitrinen gibt es Exponate zu Wagners Biografie von Leipzig 1813 bis Venedig 1883, nicht zu vergessen ein Stammbaum dieser „obskuren Familie, bei der man sich stets fragt, wer mit wem verheiratet ist und warum.“ Im Untergeschoss ist die sakral inszenierte Schatzkammer mit der Dresdner Bibliothek und der „Tristan“-Partitur, wo man nachvollziehen kann, wie systematisch Wagner arbeitete – von der ersten Inspiration zum Stoff über erste musikalische Skizzen bis hin zur fertigen Partitur.
Wagner als Klangteppich gibt es in Wahnfried nicht. Nur bei Konzerten im Saal wird auch seine Musik erklingen. Wer mehr hören will, muss in den Neubau, zur interaktiven Partitur und den vielen Hörnischen, wo man unter anderem „Birgit Nilsson hören kann, bis der Arzt kommt“. Im Erdgeschoss mit seiner Glasfassade ist ein großer Ausstellungs- und Mehrzwecksaal sowie der Museumseingang, im Untergeschoss ein kleines Kino, denn Wagner ist der „Godfather der Filmmusik“, und als Dauerausstellung mit fünf großen Kostümvitrinen, Bühnenbildmodellen und Technik-Exponaten die Festspiel- und Inszenierungsgeschichte.
Das in den 1890er Jahren erbaute Siegfried-Wagner-Haus ist der Ort, wo der ideologische Wagner abgehandelt wird: „Es geht nicht, Hitler, der hier mit Familienanschluss ein- und ausging, beiseite zu lassen. Wahnfried konnte was für seine Zerstörung“, so Friedrich. „Hier ist symbolträchtig der Sprengstoff auf seinen Ursprungsort zurückgefallen.“ Die von Hitlerfreundin Winifred Wagner im Geist der Zeit ausgestatteten Räume aus den 1930er Jahren sprächen für sich, Informationen dazu lieferten Texte, Bilder und Filme auf Blockmonitoren – eine „nationalsozialistische Geisterbahn“. Bleibt nur noch anzumerken, dass Sven Friedrich in einer früheren Phase an dieser Stelle die Museumsgastronomie eingeplant und für Irritationen gesorgt hatte, als er in einem Interview davon sprach, das man mit Bratwürsten das Siegfried-Wagner-Haus humanisieren könne“.
Das Museumscafé wird im früheren Gärtnerhaus zu finden sein, öffentlich nicht zugänglich sind die neuen Depoträume, in denen dank der eingebauten Sauerstoffreduzieranlage keine Brandgefahr mehr besteht und der Kälte wegen auch Ungeziefer ausbleibt. Über das dem Museum angeschlossene Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung sprach der Direktor nur am Rande. Aus gutem, ärgersheimlichem Grund: „Natürlich hätten wir gerne die Nachlässe von Winifred, Wieland und Wolfgang Wagner. Aber wir müssen in der Lage sein, das Material auch zu erschließen und zugänglich zu machen. Dafür fehlt uns das Personal – und das Geld. Diese Situation ist Produkt einer politischen Entscheidung.“
Weitere Informationen unter https://www.wagnermuseum.de/ und http://www.infranken.de/ueberregional/kultur/Unterirdische-Schatzkammern-in-Richard-Wagners-Villa;art182,707470
Es ist ein Genuss, den Beiträgen von Monika Beer zur ober- bis mittelfränkischen Musiktheaterwelt zu folgen. Eine entsprechende Würdigung ist einfach mal wieder überfällig. Wie ja schon zu SZ- und FT-Zeiten. Diese fundiert-kritische Weltläufigkeit kam/kommt der Bamberger Kulturprovinz nunmehr zum Glück auch im BOZ-Gewand exemplarisch zugute. Ganz im Gegensatz zum hierzulande überwiegend gängigen, unkritisch- marktorientiert- provinziellen Kunst- und Kulturtrallala, vor allem leider besonders anpasserisch von und durch die sog. „kunst-/kulturpolitische“ Seite.
Es ist eben ein nicht mehr so häufig zu konstatierender Glückszustand, wenn regional/lokal unerreicht angereichertes Fachwissen, eine durch viel Sacherfahrung und Einfühlung fundierte, dh wohlgeschärfte Urteilsfähigkeit, eine feine Ironie mit einer auffällig unaufdringlichen, ungekünstelt bis spielerischen Sprache zusammentreffen. Ihre zum Glück nie ausbleibenden, stets sehr erfrischend unmoralisierenden Bewertungen sind es, die uns von einer sehr hohen Professionalität überzeugen, die unser kulturkritisches Qualitätsbewusstsein dankenswerterweise fördern und weiter schärfen. Alles Qualitäten, die zumindest lokal überhaupt nicht mehr selbstverständlich sind. Alles Gute, Frau Beer!