Mitteilung der Erdiözese Bamberg und Domberg-Museen Bamberg
Wahrlich eine „Sternstunde für den Domberg“
Ein Werk des chinesischen Konzeptkünstlers und Regimekritikers Ai Weiwei, die Bodeninstallation „Five Raincoats holding up a Star“, wird dem Bamberger Diözesanmuseum als Dauerleihgabe überlassen. Sie war bereits im vergangenen Sommer im Diözesanmuseum ausgestellt und bildete den Höhepunkt des Kunstprojekts „CIRCLES | KREISE“, das der Kurator, der Berliner Galerist und gebürtige Bamberger und Freund Ai Weiweis, Alexander Ochs-Barwinek, aus Anlass des 20. Weltkulturerbe-Jubiläums der Stadt Bamberg initiiert hatte.
Die Arbeit entstand 1986 in New York als eines der frühesten Werke Ais und besteht aus fünf grünen chinesischen Arbeiter-Regenmänteln, die zusammen einen Kreis bilden und deren Ärmel mittels Kupferstangen zugleich einen Stern formieren. Sie wird im Museum unmittelbar vor dem berühmten „Sternenmantel“ Kaiser Heinrichs II. (um 1020) präsentiert. „So entwickelt sich ein kraftvoller Dialog der Mäntel über 1000 Jahre hinweg“, erläutert Holger Kempkens, Leiter des Diözesanmuseums. Beide Werke seien dabei auch Ausdruck ihrer politischen Systeme: Der „Sternenmantel“ verbildlicht das christozentrische Weltbild des Hochmittelalters, als deren unverrückbarer Bestandteil auch die Herrschaft des Kaisers angesehen wurde. Ai Weiweis Installation konfrontiert den Betrachter ebenfalls mit Macht: Mit Unterdrückung und Freiheitsbeschränkungen im heutigen China, versinnbildlicht durch die Mäntel als uniformes Kollektiv der Arbeiterklasse der Volksrepublik China und dem Stern als Zeichen der Zensur und staatlichen Instrumentalisierung der Kunst. Ai Weiweis Sternsymbolik geht zurück auf seine Pekinger Künstlergruppe „Sterne“, die sich 1979 gegen die Unterwerfung der Kunst auflehnte (Anm. der Redaktion: Am 27.9.1979 machten ein paar junge Künstler, allesamt Autodidakten, auf ihre westlich beeinflusste Kunst aufmerksam, indem sie ihre Werke einfach an den Zaun der staatlichen China Art Gallery hängten. „Käthe Kollwitz ist unser Banner, Picasso unser Vorreiter“ war die Parole dieser ersten „Sterne“- Ausstellung. Schon am nächsten Tag wurde die Ausstellung von den Behörden geräumt. Daraufhin organisierten die Mitglieder der „Sterne“ am chinesischen Nationalfeiertag einen Protestmarsch von der Mauer der Demokratie, an der damals im „Pekinger Frühling“ eine zeitlang freie Meinungsäußerung möglich war, bis vor die Pekinger Stadtregierung. Mutig forderten sie Demokratie und künstlerische Freiheit. Man kann die Aktionen der Gruppe „Sterne“ als die erste große politische Performance nach der Kulturrevolution sehen)
Für Museumsleiter Kempkens ist die Überlassung dieses bedeutenden Frühwerks Ai Weiweis als Dauerleihgabe eine Sternstunde: Sein besonderer Dank gilt dem nach wie vor freiheitsberaubten Künstler sowie dem Galeristen und Kurator Alexander Ochs-Barwinek, der diese wichtige Leihgabe an das Museum vermittelt hat.
Auch der Leiter der Hauptabteilung Kunst und Kultur im Erzbischöflichen Ordinariat, Domkapitular Norbert Jung, weiß diese Bereicherung wertzuschätzen, zumal sie eines der Hauptwerke des Museums, den Sternenmantel in einen neuen Kontext setzt: „Im Sternsymbol steckt für mich der Begriff Vision (einer anderen, besseren Welt), im Begriff Mantel der Aspekt Schutz, Geborgenheit. Sowohl das Christentum (eine Christusfigur bildet das Zentrum des Sternenmantels, des Universums) als auch der Kommunismus verfolg(t)en eine solche Vision und vertreten den Anspruch, sich für Schwache und Arme einzusetzen – und die Realität?“ Darüber hinaus stellen für den Theologen die gezeigten Mäntel auch einen Rollentausch dar: „Die einstmals in Europa mächtige katholische Kirche gehört heute in China zu den verfolgten Minderheiten, für die sich Ai Weiwei stark macht. Sowohl das ‚Reich der Mitte‘ als auch die Weltmacht Volksrepublik China spielten im katholischen Universum bisher kaum eine Rolle …“
Mit der Inhaftierung Ais 2011 und der Einschränkung seiner Reisefreiheit und Rechte nach der Entlassung ist dieses Werk von einer ungebrochenen Aktualität und Bedeutung. Im Hinblick auf die Biographie Ai Weiweis, betont daher Godehard Ruppert, Präsident der Universität Bamberg: „Die Freiheit der Kunst ist ebenso wenig als Privileg eines einzelnen oder einer Berufsgruppe zu verstehen wie die Freiheit der Wissenschaft. Diese Freiheit ist grundlegende Voraussetzung für eine Gesellschaft, die sich am Humanum orientiert. Eine Gesellschaft, die diese Freiheit zugesteht, ist damit zugleich eine schenkende und eine beschenkte.“
Diesbezüglich erläutert Ai Weiwei-Kenner Ochs-Barwinek, dass bereits der berühmte Vater des Künstlers, der große Volksdichter Ai Qing, für Freiheit kämpfte: „Ai Weiwei gilt als der chinesischte aller zeitgenössischen chinesischen Künstler. Sein Vater, der den ‚Langen Marsch‘ Maos in seiner Poesie besang, war während der Kulturrevolution in die Wüste verbannt und gezwungen, den Lebensunterhalt für seine Familie als Latrinen-Putzer zu verdienen. Sie lebten in Kellern, und so nimmt Ai in seiner Arbeit den erlebten Schmerz auf und transformiert ihn in Kunst. Der Künstler initiiert ‚Compassion‘, Mit-Leid, und fordert dieses vom Betrachter seiner Arbeit. So entsteht eine tiefe Beziehung zwischen ihm und seinem Publikum, das ihn auch im dritten Jahr seiner Verschleppung und seines bis heute andauernden Arrestes trägt. Die Mantel-Arbeit im Bamberger Diözesanmuseum steht, wie Ais aktuelles Werk, für das Mitleiden und künstlerische Emanzipation. Und sie fördert – hier im Diözesanmuseum des Erzbistums Bamberg – die Beziehung zwischen spirituellen Welten wie unterschiedlichen Kulturen. Ab 2. April 2014 wird Ai Weiwei in einer großen Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt. Der Direktor der von der Bundesrepublik Deutschland getragenen Institution, Gereon Sievernich, spricht von Ai als einem Mann von ‚ungemeiner Zuversicht‘.“
Und der Erlangener Sinologe Michael Lackner, der sich seit 2011 mit Unterstützerkampagnen für den verfolgten Künstler stark macht, kommentiert die momentane Situation: „Anders als zahlreiche chinesische Dissidenten, die erst durch ihre Verurteilung die Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit auf sich ziehen, stellt Ai Weiwei für die Autoritäten der VR China ein wirkliches Problem dar: Er ist der wohl bekannteste Künstler Chinas, wenn nicht derzeit der Welt. So kommen die Repressalien gegen ihn eher auf der Verwaltungsebene einher (das ist eine mögliche autoritäre Definition des ‚Rechtsstaates‘); doch hat ihn das weltweite Echo auf seine Verhaftung (unter anderem auch die von Alexander Ochs-Barwinek, Michael Lackner und anderen angestoßene Initiative) vor Schlimmerem bewahren können. Ob er freikommt? Schwer zu sagen, angesichts der seit dem Beginn der Öffnungspolitik massivsten Repressionen, die China erlebt hat.“ Als Zeichen der Solidarität mit Ai Weiwei sendeten die anlässlich der Dauerleihgabe versammelten Fachleute Blumen nach China. Damit unterstützen sie eine seit dem 30. November 2013 laufende Aktion Ai Weiweis, die darin besteht, dass Ai täglich in den Korb des Fahrrads vor seinem Haus Blumensträuße aus aller Welt steckt, bis er seine Reisefreiheit wiedererlangt: „From 30th November 2013, I will place a bouquet of fresh flowers in the basket of a bicycle outside No. 258 Caochangdi studio every morning until I regain the right to travel freely. – Ai Weiwei“ (hier).
Im Bamberger Diözesanmuseum wird die Installation „Five Raincoats holding up a star“ anlässlich des 25. Jahrestages des Massakers von Tiananmen ab dem 4. Juni wieder für das Publikum zu sehen sein. „Mit Ai Weiweis Kunstwerk im Diözesanmuseum steht der Domberg als Museumsberg im aktuellen Kunstgeschehen 2014 ganz oben“, unterstreicht Dombergkoordinatorin Birgit Kastner die internationale Bedeutung der Dauerleihgabe für Bamberg.