Peter von Liebenau
Indem wir durch die Terrassengärten des ehemaligen Klosters Michelsberg wandelten, sinnierten wir über die Bildung in Bamberg und sprachen davon, dass der klassische Dorfschullehrer einer der bedeutendsten Kulturträger der deutschen Geistesgeschichte gewesen sei.
In diesem Sinne hätte sehr gut Adalbert Stifter nach Bamberg gepasst. Er wurde trotz seiner Abstammung aus den „einfachen Verhältnissen“ der Leinweber, wie man früher sagte, gegen manche Widerstände auf die Lateinschule geschickt, studierte und wirkte eines Tages als Lehrer und Denkmalpfleger. Seine Hauptberufung sah er als Dichter. Unter anderem schrieb er die Erzählung „Die Landschule“ (1849), worin der Stand der Landschullehrer positiv gewürdigt wird. In seinem Roman „Witiko“ erwähnt er – neben Prag – auch Bamberg.
Ebenso der aus den „einfachen Verhältnissen“ der Seiler stammende Johann Lucas Schönlein aus Bamberg wurde gegen den ursprünglichen Willen des Vaters aufs Gymnasium geschickt, wo er das Abitur machte, um schließlich Medizin zu studieren. Er wurde einer der bedeutendsten Ärzte nicht nur seiner Zeit, nämlich der Mitbegründer der Inneren Medizin. Entscheidend war für seine Karriere unter anderem sein Volksschullehrer Rudolf Metzner in der Theuerstadt.
Schönlein ist der Ausgangspunkt für das, was man wirklich Bildung nennen könnte: Anregung für die Ergründung von Zusammenhängen, Schwerpunkten und Vertiefungen, für discorsi, gepflegte Diskurse und innere, geistige Auseinandersetzungen mit übergeordneten Gedankengebäuden – statt abfragbare Wissenshäppchen und schematische sogenannte Kompetenzen innerhalb eines vorgegebenen Systems von Lehr- und Lerntechniken, die nur in oberflächlichen Tests und Rankings enden.
Soviel als erste Andeutung dessen, was wir uns unter wahrer Bildung vorstellen.
Der – soweit im Moment erkennbar – eher naturwissenschaftlich-nüchterne, republikanisch gesinnte Schönlein stand zu Beginn des 19. Jahrhunderts inmitten der Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion, Fürstenherrschaft und republikanischem Staatswesen; denn gerade in Bamberg gab es eine Reihe fortschrittlich-liberaler bürgerlicher Kräfte, die einen Höhepunkt im Revolutionsjahr 1848 erlebten. Sogar August Bebel soll erwogen haben, sich in Bamberg niederzulassen. Auf der anderen Seite war die Stadt Hochburg einer sozusagen „romantisch“ orientierten Medizin, die Größen wie Friedrich Schelling und Dorothea Schlegel anzog – siehe dazu unsere Ausführungen zum entstehenden Bamberger Theater. Freilich wurde Bamberg nicht so urban wie Heidelberg, Jena oder die anderen Hauptstädte der Romantik.
Schönlein kam außerdem in enge Kontakte zu Georg Büchner und Alexander von Humboldt! Ein Bamberger verkehrte urban in urban werdenden Städten. Büchner wurde von Schönlein verarztet, als dieser 1837 in Zürich im Sterben lag. Vorher schrieb der Dichter aus Hessen bekanntlich Weltliteratur: Sein Drama Woyzeck handelte von dem 1824 hingerichteten gleichnamigen Leipziger, über dessen Zurechnungsfähigkeit und damit Schuldfähigkeit erstmals ein großer, prinzipieller Streit entbrannt war. Und es war wiederum kein anderer als der Bamberger Arzt Carl Moritz Marc, der ein Gegengutachten verfasste, des Inhalts, Woyzeck sei nicht zurechnungsfähig und daher nicht schuldfähig!
Bildung als Vernetzung und geistige Auseinandersetzung.
Ein ähnlicher Streit tobte um Kaspar Hauser, das „Findelkind“, das ja im nahen Nürnberg aufgefunden wurde. Auch hier waren es Lehrer, die sich mit ihm auseinandersetzten – diesmal nicht immer zu seinem Vorteil. Gerühmt werden darf in diesem Fall die Rolle des Paul Johann Anselm von Feuerbach, des berühmten Rechtsgelehrten und Schöpfers der Theorie des „psychologischen Zwangs“ – Mollath, ick hör’ dir trapsen. Er veröffentlichte 1832, im Todesjahr Goethes, sein Buch „Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“. Anselm von Feuerbach war Vater des berühmten Philosophen Ludwig Feuerbach und Großvater des Malers Anselm Feuerbach. Ja, und er hat mit Bamberg zu tun: 1814 wirkte er für drei Jahre als zweiter Präsident des Appellationsgerichts in unserer urbanen Stadt.
Ein weiterer Lehrer, der – wie Adalbert Stifter – zum Kulturträger wurde, war Dr. Peter Schneider aus Bamberg, der sogar im Bereich des Klosters Michelsberg geboren wurde, nämlich im Ziegelhof. An seinem Geburtshaus an der Sankt-Getreu-Straße kann man eine Gedenktafel für ihn finden. Nach altphilologischen, historischen und geographischen Studien in München und Würzburg unterrichtete er an Gymnasien in Aschaffenburg, Bamberg, Würzburg und Speyer. 1920 gründete er den Frankenbund – während der Nazi-Zeit verboten – und hinterließ mehrere Schriften über seine Heimat. Sein Buch „Der Steigerwald in der Gesamtschau“ ist bis heute ein Standardwerk. Einer seiner Schüler wurde Gründer und Präsident einer anderen Schule, der berühmten Hochschule für Film und Fernsehen in München, aus der sogar ein Oscar-Preisträger hervorging – immer wieder urbane Beziehungen, oder?