Der Blumengarten
Am See, tief zwischen Tann und Silberpappel
Beschirmt von Mauer und Gesträuch ein Garten
So weise angelegt mit monatlichen Blumen
Daß er vom März bis zum Oktober blüht.
Hier in der Früh, nicht allzu häufig, sitz ich
Und wünsche mir, auch ich mög allezeit
In den verschiedenen Wettern, guten, schlechten
Dies oder jenes Angenehme zeigen.
Bertold Brecht
Von Chrysostomos
Sollte man über Brecht vielleicht nicht doch besser schweigen und einfach nur seine Gedichte genießen? Was wäre denn über ihn überhaupt (noch) zu sagen? Daß sich an seiner Lyrik unmittelbar bewahrheitet, was der geschätzte Herr Leyser, unser Deutschlehrer, als ein entscheidendes Kriterium für ein gelungenes Gedicht anführte? Nämlich: daß es sich einem einprägt, daß es sich auswendig lernen läßt. Einmal gehört, einmal gelesen, wird man so etwas wie „Der Radwechsel“, wie „Morgens und abends zu lesen“, wie „Der Rauch“ schwerlich vergessen (können).
Früh schon hatte der vor fast genau hundertfünfzehn Jahren in Augsburg geborene Brecht, der sich nach dem Notabitur an der Ludwig-Maximilians-Universität für Medizin einschrieb, mit seinen Stücken Erfolg. Für Trommeln in der Nacht – 1922 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt – sprach man dem jungen Dramatiker den Kleist-Preis zu. Gleichfalls früh versuchte sich Brecht in den neuen Medien. Er arbeitete mit am Drehbuch für Slátan Dudows von der Zensur verbotenen Film Kuhle Wampe (1932; Musik: Hanns Eisler), er schrieb, gemeinsam mit seiner Geliebten Elisabeth Hauptmann, den Text für das Radiolehrstück Der Flug der Lindberghs, das im Juli 1929 erstmals gesendet und anderntags sogleich wiederholt wurde.
Es war Brechts Absicht, die Hörer an diesem Lehrstück zu beteiligen. Das hatten auch Kurt Weill und Paul Hindemith, die für die Komposition verantwortlich zeichneten, mit ihrer „Gebrauchsmusik“ so vorgesehen. Diese Musik, schrieb Hindemith, sei nicht für den Konzertsaal gemacht. Vielmehr sollte sie „Leuten, die zu ihrem eigenen Vergnügen singen und musizieren oder in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter vormusizieren wollen, interessanter und neuzeitlicher Übungsstoff sein“. Hindemith bat darum, daß der Eingangs- und der Schlußchor von allen Anwesenden mitgesungen werde.
Brechts Schaffen eignet fast immer auch ein politisches Momentum. Der späte Zyklus der dreiundzwanzig Buckower Elegien, in Brechts und Helene Weigels Sommerwohnsitz am Schermützelsee in der Märkischen Schweiz entstanden, ist, unter anderem, ein Reflex auf den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953. Die Elegien (so genau darf man den Gattungsnamen hier nicht nehmen) eröffnen mit „Der Blumengarten“. Viel Angenehmes hat uns der Herr BB gezeigt, und tut das immer wieder. Wir müssen dazu nur seine Gedichte lesen. Oder auswendig lernen.
*
Morgens und abends zu lesen
Der, den ich liebe
Hat mir gesagt.
Daß er mich braucht.
Darum
gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Daß er mich erschlagen könnte.
NB: „Der Blumengarten“ ist im übrigen Wulf Segebrechts liebstes Gedicht. Klar, daß es sich in Segebrechts Anthologie Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Frankfurt am Main: S. Fischer, 2005) findet.