Datum
Der kam am 28. Februar, stellte
Sich mir vors Fenster in einem Bärenfell sagte
O wie mir schwindelt. An diese Höhe
Könnte ich dich gewöhnen, Schöner
Lerne mich tragen und ich
Mache mich leicht. Auch soll dir dafür
Manches Wunder passieren: mein Haar
Wird dir durch die Finger wachsen dein Mund
Der Abdruck des meinen du hörst mich fortan
Wenn ich nicht da bin. Sprichst meinen Namen
Hin in die Winde: alles gelingt.
Herzschöner wollen wir Julia und Romeo sein?
Der Umstand
Ist günstig, wir wohnen
Wohl in der gleichen Stadt, aber die Staaten
Unsere eingetragenen Staaten gebärden sich, meiner
Hält mich und hält mich er hängt so an mir wir
Könnten sehr unglücklich sein auch du sprachest
Eben noch mit mir
Früher sollen sie
Wälder gebildet haben und Vögel
Auch Libellen genannt kleine huhnähnliche Wesen die zu
Singen vermochten schauten herab.
Sarah Kirsch
Von Chrysostomos
Über ein halbes Tausend Seiten stark sind die Sämtlichen Gedichte von Sarah Kirsch. Dabei ist der von der Deutschen Verlags-Anstalt schön aufgemachte Band bereits 2005 erschienen, dabei sind längst weitere Gedichte hinzugekommen, dabei umfaßt die acht Jahre alte Ausgabe nicht alle bis 2005 veröffentlichten Lyrikbände Kirschs. Seit drei Jahrzehnten lebt, liest, zeichnet und malt, übersetzt und schreibt Sarah Kirsch in dem winzigen Dorf Tielenhemme im schleswig-holsteinischen Dithmarschen.
Als Ingrid Hella Irmeldinde Bernstein ist die Kirsch (sie war mit dem Lyriker Rainer Kirsch verheiratet) 1935 in Limlingerode im Harz geboren worden und in Halberstadt aufgewachsen. In Halle studierte sie Biologie, ging dann an das Literaturinstitut Johannes R. Becher nach Leipzig, wirkt seit 1965 als freie Schriftstellerin. Die Natur- und Liebeslyrik Kirschs, geschult an ihren Geistesverwandten Bettine von Arnim und Annette von Droste-Hülshoff, auch an Hölderlin, hat ihren ganz eigenen Ton. Man spricht sogar vom Sarah-Sound. Diese zarten Gedichte pendeln zwischen Idylle, Märchen und Zaubersprüchen.
Aus dem Jahre 1976 stammt der Band Rückenwind, dem „Datum“ entnommen ist. Die darin angesprochenen Staaten, das ist nicht schwer zu erraten, sind die DDR und die BRD, die geteilte Stadt hört auf den Namen Berlin, der „Herzschöne“ ist der Lyriker und Graphiker Christoph Meckel, Kirschs zeitweiliger Geliebter. Julia und Romeo? Warum nicht! Schließlich gilt ja: „dein Mund / Der Abdruck des meinen“, und alles ist richtig, und „alles gelingt“.
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Der Droste würde ich gern Wasser reichen
Der Droste würde ich gern Wasser reichen
In alte Spiegel mit ihr sehen, Vögel
Nennen, wir richten unsre Brillen
Auf Felder und Holunderbüsche, gehen
Glucksend übers Moor, der Kiebitz balzt
Ach, würd ich sagen, Ihr Lewin –
Schnaubt nicht schon ein Pferd?
Die Locke etwas leichter – und wir laufen
Den Kiesweg, ich die Spätgeborene
Hätte mit Skandalen aufgewartet – am Spinett
Das kostbar in der Halle steht
Spielen wir vierhändig Reiterlieder oder
Das Verbotne von Villon
Der Mond geht auf – wir sind allein
Der Gärtner zeigt uns Angelwerfen
Bis Lewin in seiner Kutsche ankommt
Schenkt uns Zeitungsfahnen, Schnäpse
Gießen wir in unsre Kehlen, lesen
Beide lieben wir den Kühnen, seine Augen
Sind wie grüne Schattenteiche, wir verstehen
Uns jetzt gründlich auf das Handwerk Fischen