Wie werde ich (ein verdammt guter) Schriftsteller? Ein Besuch im Lyrik- und Prosaspiegelkabinett des Hans-Ulrich Treichel.

Als es gut war

Wir haben einiges
zu zweit getrieben:
Wir haben Bein und Bauch
den Kopf verdreht.

Wir haben uns
die Knie heiß gerieben,
die Brust uns naß,
die Haut uns wund geliebt.

Und weil es gut war
bin ich wund geblieben.
Und als es gut war
ging sie – es war spät.

Hans-Ulrich Treichel

Von Chrysostomos

Was in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien lange schon Tradition hat, erfreut sich seit ein, zwei Jahrzehnten auch hierzulande großer Beliebtheit: universitäre Kurse für kreatives Schreiben. Wer Komponist werden will, der studiert Komposition an einer Musikhochschule, warum sollte dann jemandem, der den Wunsch zu schreiben hegt, nicht an einer Universität geholfen werden können? Nur, was gilt es da denn eigentlich zu vermitteln? Gibt es ähnlich dem Kontrapunkt, den Akkordverbindungen und Kadenzen in der Musik auch für die Literatur ein mehr oder weniger bindendes Handwerkszeug, mit dem sich Texte gestalten lassen?

Seit 1995 lehrt Hans-Ulrich Treichel am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wechselt sich inzwischen turnusmäßig mit Josef Haslinger und Michael Lentz in der Geschäftsführung ab. Groß und bedeutend ist die Zahl der Absolventen. Darunter finden sich beispielsweise Nora Bossong, Ulrike Almut Sandig, Juli Zeh, Kerstin Hensel, Nadja Küchenmeister, Roman Graf und Jan Kuhlbrodt. Neben der unverzichtbaren Kenntnis exemplarischer Werke besuchen die Studenten verschiedene Module zur Erzähltheorie, zum szenischen Schreiben, zur Lyrik, gewinnen Einblicke in den Literaturbetrieb, widmen sich genreübergreifenden Projekten oder der Methodik, Poetik und Ästhetik des literarischen Schreibens.

Auf der Liste der Gastdozenten sind gestandene Namen anzutreffen wie Ulf Stolterfoth, Katja Lange-Müller, Thomas Hürlimann, Harald Hartung und Stan Nadolny; Haslinger, Lentz und Treichel haben eine Professur inne. Als Sohn von Flüchtlingen aus den Ostgebieten ist Hans-Ulrich Treichel 1952 im ostwestfälischen Versmold, der Stadt der Schinken und Würste, geboren. Zum Studium der Germanistik, der Philosophie und Politologie zog es ihn an die Freie Universität, wo er mit einer Arbeit über Wolfgang Koeppen, dessen gesammelte Werke er herausgegeben hat, promovierte. In Salerno und an der Scuola Normale Superiore in Pisa war Treichel, in dessen Prosa und Lyrik das Sehnsuchtsland Italien tiefe Spuren hinterlassen hat, Lektor für deutsche Sprache, 1988 Stipendiat der Villa Massimo.

Der irdische Amor (2002), Tristanakkord (2000), Der Verlorene (1998), Grunewaldsee (2010) heißen Treichels bei Suhrkamp erscheinenden Romane, die Gedichtbände tragen Titel wie Liebe Not (1986), Der einzige Gast (1994), Gespräch unter Bäumen (2002) und Seit Tagen kein Wunder (1990), welchem „Als es gut war“ entnommen ist.

Gut Ding will Weile haben, braucht mithin Zeit. Daher „war“ es spät, als sie ging. Wenn wir die imperativische Wendung „Jetzt ist es aber gut!“ mitdenken, dann kann das aber zudem heißen: die beiden hatten genug voneinander, es reichte ihnen. Zumindest für diesen Tag, für diese Nacht. Ein baldiges Wiedervoneinanderhören der beiden, wie man vermuten darf, Glücklichen, ein Wiedersehen oder ein – schlichtes – Wiederlesen ist ja wohl nicht ausgeschlossen. Ein neuerliches Zusammenkommen (vielleicht auch in der getrennt geschriebenen Bedeutungsvariante) ist drin. Die Chancen stehen gut. Daß bei allem Treiben und bei aller Liebe da einer „wund geblieben“ ist, läßt das Ausmaß, läßt die Intensität dieser Beziehung erahnen.

Hier noch eine Zugabe:

Römischer Lobgesang

Auf die Pinie
vor meinem Fenster
und ihre steinerne
Geduld, auf die
hungrigen Katzen
und meine teure Salami,
auch die Nachbarin
will ich loben,
die mich mit sanften
Blicken füttert, auch
die Autos, vor allem
die blauen, kein
Himmel, kein Meer
ist so blau.

NB: Treichel hat, das sei noch gesagt, auch Libretti geschrieben, für Hans Werner Henze. Und für den Henze-Schüler Detlev Glanert.