Nach den Herzögen von Burgund
In dieser Stadt brauchen sich die
Fassaden der alten Bürger
als ob sie auf ewig vom Aquaplaning
des Himmels gewaschen würden
und die Schönheit der Zufußgeher
ist schlichtweg nicht vorhanden
gestern Abend machte sie eine Ausnahme mit
sanften Blitzen in der Stimme und
Anfällen von analytischer Wut dieser
der denkenden Poesie zugedachten Rolle dazu da
dem Abendland den Tag zu vermiesen
das Labyrinth seiner Neurosen freizulegen
einer skrupellosen Sinnlichkeit folgend
ihr zur Seite ich ein stolzer Assistent
und später am Abend hie und da
ums Mäucherchen toben die Forsythien.
Tom Nisse
Von Chrysostomos
So gehört sich das: schon am Tag bevor man Geburtstag feiert, einen arg runden, welcher uns endgültig die noch gefühlte und ausgefüllte Jugend austreiben wird, erreichen uns aus der Richard-Wagner-Straße (er hatte gestern Todestag) in Köln, denn dort ist die parasitenpresse zuhause, zwei himmlisch schön aufgemachte Poesieheftchen, das eine sich (dazu ein anderes Mal mehr) mit Ezra „selling England by the“ Pound und Pier Paolo Pasolini und tatsächlich auch Wagner befassend, und mit dem „zweiten Mann“ der Oma des Lyrikers und Übersetzers Jan Kuhlbrodt, der so gern (also der zweite Mann, nicht Kuhlbrodt) „noch einmal nach Italien marschiert wäre, als Reisender, der starb, weil er nichts mehr getrunken wegen der Schmerzen beim Pissen“, das andere (Heftchen) Übersetzungen aus dem Französischen enthaltend. Und weil darunter ein Monika Rinck gewidmetes Gedicht sich findet, schreiben wir heute nicht über Monika Rinck, wie wir es eigentlich vorhatten (kein Witz, denn deren Verzückte Distanzen trafen, aus Springe, bereits gestern ein), sonder über Tom Nisse.
Jean Krier, Guy Wagner, Roger Manderscheid und Guy Helminger kennen wir, auch Anise Koltz. Aber Tom Nisse? Auch Nisse ist einer der durchaus zu achtenden und zu beachtenden Autoren aus Luxemburg. Seine Paraphrase auf die, sein Überschreiben der Herzöge von Burgund ist datiert auf den achtzehnten März 2011, entstanden, wo denn sonst, in Dijon, und gewidmet eben Monika Rinck, der Pfälzerin (und großartigen Dichterin). Nisse ist eine Dekade nach dem Suizid von Sylvia Plath in Luxemburg geboren, hat sein Zuhause aber in Brüssel gefunden, vielleicht, weil er Schokolade mag, wo er diverse Kunstprojekte ins Leben ruft, wo er übersetzt und, vor allem, dichtet und verdichtet. Anders als viele Luxemburger tut Nisse das en français. Mit Dass ich dich so beschnuppere liegt hierzulande nun zum allerersten Male ein Gedichtband von Nisse vor (der bislang deren neun, in der Sprache seiner Mutter, veröffentlicht hat; dazu zwei Prosabände).
Band ist vielleicht zu sehr im Fortissimo gesprochen, mit zuviel Gewicht, es ist ja ein Heft, ein Heftchen. Aber was für eines, ein gewichtiges eben! Auf diesen insgesamt dreizehn Seiten (sie sind zu haben für einen gewiß gut investierten Fünfer) breitet sich eine Poesie aus, die zu lesen ganz einfach Spaß macht. Und das ist ja nun nicht das Schlechteste. „Es gibt“, hebt beispielsweise „Freund ich stelle fest“ an, es gibt „Abende wo / ich es vorziehe / über Revolutionen statt / über Hunde zu sprechen“. An anderer Stelle geht es im Nachtbus von Berlin, wo Nisse den Dichterfreund Björn Kuhligk getroffen hat, nach Brüssel. Darauf folgt dann doch Diskrepanz, darauf folgen Durst, Sucht und Niedergang: „Drei Zigaretten für ein neues Gedicht / drei Tassen Kaffee als Gruß an den Himmel / zehn Monate für eine erste Umarmung / zwei Schluck gegen das Zittern / ein Horchen für die Schreie aus der Kinderkrippe“.
Novalis wird bedichtet, das Blau, das Klavier, also Else Lasker-Schüler, und auch der Herr mit dem Hut, geheißen Beuys. Denselben ziehen wir – chapeau! – wir ziehen ihn vor Nisses Verskunst, wir lüften ihn und grüßen damit aber zudem Jérôme Netgen, den aus Esch/Alzette gebürtigen, von der Kultur beseelten Menschen, der Nisse ganz wunderbar ins Deutsche gebracht hat.
NB: Das Jahr ist noch jung, aber neben Jung und Jung, neben zu Klampen, die uns freilich beide länger schon begleiten, ist die parasitenpresse für uns die Entdeckung zweidreizehn. Schlicht gemacht, diese Heftchen, aber schlicht großartig. Und ganz ohne (schmutzige) Bildchen: Richard-Wagner-Straße 18 – diese Adresse muß man sich merken, please.
NBB: Please, Please Me hieß die erste LP der Beatles, vor einem halben Jahrhundert aufgenommen und eingespielt. Auch darüber werde ich noch, aber erst nach dem Geburtstag, schreiben.