Hier ruht ein lieber Narr
Hier ruht ein lieber Narr,
Ein Vogel Star.
Noch in den besten Jahren
Musst er erfahren
Des Todes bittern Schmerz.
Mir blut’ das Herz,
Wenn ich daran gedenke.
O Leser schenke
Auch du ein Tränchen ihm.
Er war nicht schlimm;
Nur war er etwas munter
Ein lieber loser Schalk,
Und drum kein Dalk.
Ich wett er ist schon oben,
Um mich zu loben
Für diesen Freundschaftsdienst
Ohne Gewinst.
Denn wie er unvermutet
Sich hat verblutet,
Dacht er nicht an den Mann,
Der so schön reimen kann.
Wolfgang Amadeus Mozart
Von Chrysostomos
Köchelverzeichnis 515 ist so populär, wie es in Heinz Pionteks „M., Compositeur“ heißt, daß die Spatzen „es von den Dächern pfeifen“. Es ist sogar derart bekannt, daß es sich erübrigt, den Kompositionstitel anzuführen. Die Spatzen, die auf Konzerthallendächern sitzen oder in Serenadengartenbäumen herumtanzen, intonieren auch den Eröffnungssatz der g-moll-Symphonie, das Adagio aus KV 622 – man kennt es aus „Jenseits von Afrika“ mit der bezaubernden Meryl Streep (und Jack Brymer, Klarinette) – die gar nicht so einfach zu bewältigende Sonata facile KV 545 oder das nahezu immer zu flott interpretierte Rondo Alla Turca aus der A-Dur-Klaviersonate KV 331.
Es wird aber ein seltener Sperling sein, der da weiß, daß Mozart auch Gedichte hinterlassen hat. Heinrich Detering, dem großen Göttinger Germanisten, ist „M., Écrivain“ immerhin so viel wert, daß er deren zwei in die von ihm herausgegebene Anthologie Reclams großes Buch der deutschen Gedichte (2007) aufgenommen hat. Die Verse vom „Lieben Narr“ sind am 4. Juni 1787 entstanden, nur wenige Tage nach dem Tod von Mozarts Vater Leopold. Vater und Sohn hatten sich entfremdet, und so ist es nicht etwa Leopold, dem Wolfgang einen poetischen Nachruf hinterherschickt, sondern ein Star, der ihm über drei Jahre hinweg Gesellschaft leistete. Den gefiederten Hausgenossen hatte Mozart Ende Mai 1784 für einen Preis von 34 Kreuzern erstanden. Der brave Vogel, obwohl kein Spatz, soll das Finalthema aus dem G-Dur-Klavierkonzert KV 453, an welchem sein Herr damals arbeitete, bald nachgezwitschert haben.
Die Gedichte, die Mozart, der, so will es Glenn Gould, zu lange gelebt habe (1756 bis 1791) nachgeschickt worden sind, sind Legion. Piontek haben wir bereits erwähnt, Johannes Bobrowski fällt einem sofort ein, auch Wallace Stevens („Mozart, 1935“), Franz Grillparzer, Albrecht Goes („Musik aus dem Äther“; es gilt eben dem eingangs bereits erwähnten C-Dur-Quintett KV 515), Hermann Broch („Mozart-Vierhändigspielen“; strenggenommen eine Nachdichtung), Peter Hacks („Mozart auf der Reise nach Paris“), Alfred Brendel und der jung, zu jung verstorbene Rolf Dieter Brinkmann:
Musik aus Salzburg
Wer
mag schon Mozart
wirklich, ohne dabei
an Mozartkugeln
zu denken, wie
sie in den
Läden ausliegen? Bloch
weiß Treffliches
dazu zu sagen.
Maggi gibt
den Suppen
Würze, der
Don Giovanni
wird nimmer alt, auch
wenn er in den Opernhäusern
bunt den Tod
in Flammen
stirbt. Und
hinterher
die Mozartkugeln
auf der Zunge zergehen
lassen wie Takte, Akkorde
einige Läufe auf
dem Klavier. Eben
Mozart, Wolfgang
Amadeus.
Rolf Dieter Brinkmann
Nicht lange genug gelebt hat der 1940 in Vechta geborene Rolf Dieter Brinkmann. Er ist gerade einmal fünfunddreißig Jahre alt geworden, ganz wie Mozart. Als er am 23. April – Shakespeares Todestag – 1975 in London die Straße überquerte, um im Shakespeare Pub einen auf diesen zu haben, wurde der Pop-Literat von einem Wagen überfahren.
NB: Am Sonntag, den 27. Januar spielt das Trio Aureum im Spiegelsaal der Harmonie in Bamberg zu Mozarts Geburtstag auf. Birgit Hablitzel (Violine), Karlheinz Busch (Violoncello) und Natalya Solotych am Flügel geben unter anderem das C-Dur-Klaviertrio KV 548. Die Matinee beginnt um 11 Uhr.