Aus den USA erreichte uns ein Bericht unseres Korrespondenten Rady Martini, der einige große Städte an der Atlantikküste bereist hat. Dort war ein erstaunliches Phänomen zu beobachten: das Verkehrsmittel Fahrrad kehrt in den Straßenraum zurück. Ausgerechnet im autoverliebten Amerika! In vier Beiträgen informiert Martini über neueste verkehrspolitische Trends in Philadelphia, New York, Washington und Portland.
Rady Martini
Kein Land auf dieser Erde hat sich dem Auto so verschrieben wie die USA. Nirgendwo begann die Massenmotorisierung so früh und wirkte so nachhaltig, wie dort. Das Auto „Modell T“, das Henry Ford seit 1915 am Fließband kostengünstig produzieren ließ, und von dem er bis 1927 15 Millionen Stück verkaufte, veränderte das ganze Land.
Dieser Wagen machte es der weißen Mittelklasse schon in den 1920er Jahren möglich, in die Vorstädte zu ziehen. Dort waren die Häuser und Gärten größer und die Luft viel besser. In den Innenstädten, die sie verlassen hatten, folgte ihnen die arme, meist afroamerikanische Bevölkerung nach.
In den gleichen Jahren wurde das überregionale Autobahnnetz ausgebaut und das ganze große Land durch Straßen erschlossen. Die Route 66 erlangte Kultstatus. Das ganze Leben wurde aufs Auto zugeschnitten und der eigene Wagen zum Erlebnisort: den ersten Kuß erlebte man im Autokino, die Flitterwochen im Motel.
The American Dream: undenkbar ohne das Automobil.
Heute erstickt der Massenverkehr in den USA – genau wie in Europa – an seinem eigenen Erfolg. Täglich erleben amerikanische Pendler Staus in den Städten und Staus auf den Autobahnen. Politiker und Stadtplaner in den USA erkennen inzwischen, dass man die Straßennetze noch so gut auszubauen kann: man wird niemals dahin kommen, dass jede Person jedes Anliegen mit dem eigenen Auto bewältigen kann. Entgegen dem Mythos besitzt gar nicht jeder Amerikaner ein Auto: in Philadelphia, der fünftgrößten Stadt der USA, haben immerhin ein Drittel aller Haushalte kein Auto (2010). Manche brauchen es nicht, andere können es sich nicht leisten.
Außerdem wird die schlechte Luft in den Städten als Problem empfunden. Und inzwischen haben die USA einen Präsidenten, der offen ausspricht, was sein Vorgänger noch leugnete: der Klimawandel „is not a hoax“, keine üble Falschmeldung, sagte Barack Obama in seiner Rede auf der Convention der Demokratischen Partei im September 2012.
Und schließlich beginnt sich die Gesellschaft auch offen mit ihren Gesundheitsproblemen zu befassen. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als übergewichtig. Als eine der großen Ursachen gilt neben der Fehlernährung die mangelnde Bewegung.
Unter diesen Vorzeichen gewinnt – wie überall auf der Welt – auch in den USA das Fahrrad an Ansehen zurück. Gerade in den Stadtzentren ist dieses schnelle, kaum Platz benötigende und schadstofffreie Verkehrsmittel nicht zu übertreffen.
Danke für diesen interessanten und auch gut geschriebenen (das ist leider hier nicht immer der Fall…) Bericht. Ich bin gespannt auf die Fortsetzungen und v.a. an konkreten Beispielen.
Ein solches Beispiel kann ich selbst beisteuern: ein Zug mit vorbildlichen Radabteilen. Siehe hier:
https://bikeportland.org/2008/09/30/boston-makes-room-for-bikes-on-trains-what-about-portland-8960