Vernissage von BIG BAM BOOM: so ungewöhnlich wie die Kunstwerke

 Christiane Hartleitner

Akt

Rede zur Eröffnung einer Ausstellung

Stefan Senger

von Georg Paulmichl, Maler und Dichter mit sogenannter geistiger Behinderung aus Südtirol, vorgetragen von Stefan Senger:

Liebe Bevölkerungsschicht,

ich begrüße Euch zur feierlichen Eröffnung.
Staunend sollen Euch die Augen auf- und nimmer zugehen.
Ich möchte Sie beglückwünschen, dass Sie meine Einladung schön sauber befolgt haben
und es freut mich, dass von der Bevölkerungsschicht keiner abwesend ist.
Ich begrüße den Bürgermeister, die Doktoren, den Sanitätsdienst, den Straßenverkehrsdienst, den Pfarrdienst, den Ministrantendienst, den Servierdienst und den Landesdienst für Wildbachverbauung.
Besonders begrüßen möchte ich den Veranstalter, seine Frau und seine Großmutter.

Ich bin ein einmaliges Ereignis für die deutsche Bildungslandschaft. Schon seit Jahren übe ich mich in der Pinselführung und in den Wortsprüchen.
Die Vielfalt und die Buntheit der Farben hat einen Sinn.
Die Welt ist grau, durch die Farben wird sie schmackhafter.
Ich male, weil die Freude mich zum Malen zwingt.
Ein Künstler sein, ist feiner als ein Depp.
Als Künstler hat man Ruhe und der eigene Name wird hergezeigt.
Ohne Kunst würde die Welt und die Menschen zum Unterhaltungsgesindel. Wichtiger als die Kunst ist bei mir der Appetit und der Applaus.
Zum Schluss wünsche ich Euch einen gemütlichen Nachmittag und für mein Bauchgewölbe nachher eine zünftige Marende (Brotzeit, Anm. d. Red.).
Ich wünsche Euch allen eine gute Genesung.
Es dankt der Dichter Georg Paulmichl.

Im Rahmen des OBA Kulturfestivals 2012 hatte die Offene Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bamberg unter der Leitung voin Michael Hemm vergangenen Sonntag zu einem weiteren besonderen und einzigartigen Kunstgenuss eingeladen: zur Vernissage der Ausstellung „BIG BAM BOOM“ im Historischen Museum der Stadt Bamberg. Im großen Saal in der Alten Hofhaltung reichten bei dem großen Interesse die Stühle nicht, sind doch mittlerweile nach den Ausstellungen im Ziegelbau in 2010 und im Verlagshaus des Fränkischen Tags in 2011 die Ausstellungseröffnungen der Bamberger Lebenshilfe ein ganz besonderes Ereignis: ein gelebtes Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung.

So übernahm Stefan Senger die Eröffnung mit der Rezitation der Rede zur Eröffnung einer Ausstellung von Georg Paulmichel (oben), bevor Bürgermeister Hipelius und die Hausherrin Dr. Regina Hanemann die erwartungsvollen Gäste begrüßte. Volker Elsen, der Vorstand von akku e.V. (»akku« steht für „Autismus, Kunst und Kultur“), ließ zunächst Raum für die Begrüßung von Artur Lebtag, einen der acht Muschelkünstler aus Nürnberg, deren Werke ebenfalls vertreten sind.

Volker Elsen

Artur Lebtag bediente dabei den Beamer:

LIEBES PUBLIKUM

HEUTE KÖNNEN SIE HIER KUNST SEHEN VON MENSCHEN DIE GEMEINHIN NICHT GROSSEN EINFLUSS NEHMEN KÖNNEN.

ICH HOFFE DASS WIR MUSCHELKÜNSTLER HEUTE AUF IHRE GEFÜHLE ZUMINDEST ODER AUCH IHREN PORTEMONNAE EINFLUSS NEHMEN.

WILDES TREIBEN WÜNSCHE ICH UNS ALLEN.

Als einer der Kuratoren führte Volker Elsen in das weite Feld der Outsider Art ein, einer alternativen Weltbetrachtung, die sich unkonventionell und kaum kulturell konditioniert aus einer veränderten Wahrnehmung speist. Differenziert, weil klug, nachdenklich und mit reichlich Erfahrung in der Auseinandersetzung dieser gleichermaßen kraftvollen wie zerbrechlichen Kunstsparte wählte Elsen seine Worte ebenso:

Universum

Der Titel zur Ausstellung „BIG BAM BOOM“ sei bewusst so gewählt worden: Er drücke keine Bedürftigkeit aus, sondern mache deutlich, dass hier ist ein Einschlag zu verzeichnen ist. „Nehmen wir also den Urknall als Ausgangspunkt eines sich ausdifferenzierenden Universums, dann mäandern die Werke dieser Ausstellung zwischen der gesamten Entwicklungsvielfalt hin und her … Wenn man sich die Menschwerdung und Menschheitsentwicklung als einen ähnlich gearteten Prozess wie den Urknall vorstellt, kann man das Geschichtliche als menschliches Entfaltungspotenzial auffassen. Dabei gründen historische Prozesse auf vermeintlichen Fakten. Ihre Beobachtung indes ist grundsätzlich interpretierbar, immer wieder auch instrumentalisierbar und im künstlerischen Beobachtungsprozess ein gestaltungsoffener Raum. Aus der distanzierten Perspektive nehmen die hier ausgestellten Werke Historisches auf und beugen die Quellen, auf die sie Bezug nehmen in vielfältiger Weise … Andere Werke wiederum begeben sich außerhalb des Messbaren einer Chronik, bilden die andere Seite des Big Bang. Sie spiegeln das Außerzeitliche, den Zeitsprung, das Driften und Drängen ohne sich an einer Einzelnen Geschichte festzumachen.“

Die Vernissage wurde musikalisch von der Band der Bertold-Scharfenberg-Schule / Bamberg umrahmt, begeisterte und erntete herzlichsten Applaus.

Während die Lebenshilfe Bamberg einen Querschnitt der Arbeiten mit unterschiedlichen Ausrichtungen der vergangenen Jahre präsentiert, zeigt akku e.V. eine Werkauswahl autistischer Künstlerinnen und Künstler deutschlandweit, die in Material und Motiv Bezug zum historischen Ort nehmen. Die MUSCHELKÜNSTLER (ebenfalls aus dem autistischen Spektrum) bewegen sich in ihrer Kunst kreativ und ungezwungen. Ihre expressiven Gemälde zeichnen sich durch kühne Spontanität aus. Sie treten auf eindrucksvolle Weise dem Klischee entgegen, wonach Autisten sich nur innerhalb eines starren Regelwerkes bewegen und kaum über Phantasie verfügen.

Viel Interessantes, noch nie Gesehenes und jede Menge Neu-Entdeckungen zur Modernen Kunst – ganz gleich ob Out- oder Insider – kann der Ausstellungsbesucher erfahren, diskutieren und vielleicht Grundsätzliches überdenken. Im Bewusstsein, dass die Künstler Grenzgänger sind – auch hier scheint es gleich ob Out- oder Insider.

Lesetipp (an der Museumkasse erhältlich): akku: Ich sehe was, was du nicht siehst. Eine Werkschau von Künstlerinnen und Künstlern mit Autismus. Bielefeld 2010

Schââlotto Land

In loser Folge möchte sich die Bamberger Onlinezeitung einigen ausstellenden Künstlern widmen: Patrick Ott (* 1981) aus Althütte ist vertreten mit der Fantasiewelt „Schââlotto-Kontinent“ mit der Übersichts-Kontinentkarte (oben), auf der Gebirge, Wälder, Flüsse und Meere der einzelnen Länder erfasst sind. Ein Fokus liegt in der grafischen Darstellung der

Patrick Ott

Hauptstadt Schââlotto, detailliert gezeichnet in Vogelschau sind zahlreiche Straßenabwicklungen von Hausfassaden mit der architektonischen Genauigkeit eines Brunelleschi. Zum Gesamtkunstwerk des visuell dargestellten Kontinents gehören die Bewohner und deren Umfeld ebenso wie deren Sprache. „Speak-Schââlottine“ ist in Form eines Wörterbuchs in der Ausstellung zu sehen, das mit über 60.000 Einträgen mit eigener Phonetik und Grammatik als Sprache praktikabel ist und praktiziert wird (Abb. von Werk und Künstlerportrait dem Lesetipp entnommen).

Beteiligte Künstler: Wilfried Motzelt, Frank Licht, Barbara Held, Manuela Melber

Bitte beachten Sie auch das Rahmenprogramm

Donnerstag, 19.7.2012 – 18:30 Uhr
Lesung/Rezitation der Lyrikerin Nora Gomringer
Genie und Wagnis

22.7./16.9./14.10./28.10. / 14.11.2012
jeweils Sonntag 14:00 Uhr
Führungen mit Christiane Hartleitner und beteiligten Künstlerinnen und Künstlern

Sonntag, 5.8.2012 – 14:00 Uhr
Ateliergespräch mit Eva Mack (Muschelkünstler e.V.)

Samstag, 8.9.2012 – 14:00 Uhr
„Gestalterisches Experiment – Spüren und Fühlen“
Workshop mit der Künstlerin Ulla Reiter

Samstag, 15.9.2012 – 14:00 Uhr
und Samstag, 3.11.2012 – 14:00 Uhr
Spielerische Führung „Chinesischer Korb“ mit Eva Jacob