Der „Berg“ ruft, eigentlich jedes Jahr …

… dieser Berg aber ruft leider nur alle 2 Jahre. Mittlerweile zum 15. Mal öffnet der Internationale Comic-Salon seine Tore in Erlangen.

Eingang Comic Salon

Wolfgang Neustadt

Der Event nimmt die ganze Stadt ein mit Messe, Ausstellungen, Beiprogramm und Workshops mit wirklich hochkarätigen Gesprächsrunden in Rathaus und Heinrich-Lades Halle, Filme, Lesungen und Theater verteilen sich über ganz Erlangen. Auf mehreren tausend Quadratmetern zwängen sich rund 180 internationale Aussteller und 430 Comic-KünstlerInnen, in ca. 150 Veranstaltungen, nicht zu schweigen von den zu erwartenden 25.000 Besuchern. Erlangen ist damit wichtigster deutschsprachiger Comic-Treff mit der bewährten Comic-Prämierung, dem Max und Moritz-Preis.

15. Int. Comic-Salon Erlangen 2012. Copyright: caravain

„Illustration der Geschichte“ lautet das diesjährige Motto, eigentlich ein sehr weites Feld, das aber schnell vielfältiger und konkreter wird: Der Transformationsprozess im arabischen Raum, gesellschaftliche Entwicklungen in Russland, die Situation in den Palästinensischen Gebieten, der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan, die sogenannten Charles-Taylor-Kriege in Westafrika, Graphic Novels über die deutsche Vergangenheit, über Flucht und Vertreibung.

Der Comic spricht alle Sinne an, nicht nur Emotionen durch Zeichenstil, Bewegung, Farbe, Disharmonie oder Schönheit, aber auch Gefühle wie Liebe, Hass, Angst oder Gewalt,  mit leisen und vielen schrillen Tönen. Selbst die Fußballbegeisterung kommt am sagenhaften Panini-Stand (www.paninicomics.de), pünktlich zur EM, nicht zu kurz! Und auch ein Grund zur Freude: „Spiderman“ wird 50.

Die Veranstaltung entwickelt sich zu einem Erfolgsmodell. Die Besucherzahlen am ersten Öffnungstag überstiegen die offiziellen Erwartungen. Das ist bemerkenswert, wo doch die öffentlich geförderte Kultur angeblich nahe am Infarkt laboriert („Der Kulturinfarkt“, von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz). Das veranstaltende Kulturprojektbüro der Stadt Erlangen ist eben wohlgemerkt ein solcher öffentlicher Träger, der aber auf die privatwirtschaftlichen Mittel in Form von Messeverkauf, Prämierungen, Workshops, Gadgets oder Mitbringseln angewiesen ist. Zusammen ein gutes Paket, das zweifellos weiter Zukunft hat.

Sicher versteckt sich der Comic im deutschsprachigen Kulturraum immer noch in einem Nischenmarkt, ganz im Gegensatz natürlich zu den Großen im Geschäft wie USA und Japan, England, Frankreich und Italien. Hatte doch die deutsche Comic-Kultur nach 1945 bis weit nach dem Wiederaufbau gehörig den Anschluss verloren. Vorurteile allenthalben, Comics waren verpönt, anzüglich und deshalb einfach kulturlos. Das Gegenteil ist heute endlich der Fall.

Die Comicwelt ist über ihre emotionale Kraft hinaus unvergleichlich vielfältig. Stilistisch-künstlerisch erreicht der Comic höchstes Niveau, er ist ästhetisch-innovativ, auch in Verbindung mit den neuen digitalen Medien. Er erklärt wissenschaftliche oder politische Zusammenhänge, ganz seriös (z.B. „Philosophie Ein Sachcomic“, TibiaPress). Schon frühe italienische Micky Maus-Comics brachten ihren Lesern u.a. Dantes „Inferno“ nahe, für Kinder, und für Erwachsene.

„Gaza“ von Joe Sacco. Copyright: Joe Sacco – Edition Moderne Zürich

Das alles war und ist mittlerweile anerkannte Kunst auf höchstem Niveau. Das musste auch der hier unterschreibende, bis zum 15. Internationalen Comic-Salon bekennend ignorante Comicmuffel, jetzt voller Begeisterung und Überzeugung lernen. So hat der Kulturinfarkt keine Chance.

Comics aus der arabischen Welt “The Anonymous”. Copyright: Magdy El-Shafee

Also, nichts wie hin zu einem schrill-bunten und lauten, inhaltvoll geschwätzigen und kulturvollen Treiben, es ist für alle was dabei! Und das direkt vor der Haustür, noch bis zum Familiensonntag.

Hänsel und Gretel. Copyright: Lorenzo Mattotti – Carlsen Verlag Hamburg

P.S. Den diesjährigen Max und Moritz-Preis erhält der Italiener Lorenzo Mattotti für sein Lebenswerk, einer der einflussreichsten und vielseitigsten Comic-Künstler der Gegenwart. Der Preis wird gestiftet von Bulls Press.