von Christiane Hartleitner
Gut 170 Kilometer nördlich von Bamberg gibt die Landeshauptstadt von Thüringen ein Vorbild im Umgang mit den Relikten des jüdischen Glaubens und der Kultur. Die älteste erhaltene Synagoge Europas geht bis ins 11. Jahrhundert zurück, Bauuntersuchungen haben 1992 deren besonderen kulturhistorischen Wert ergeben. Die Treuhand hatte nach der Wende das Gebäude zunächst an einen Investor verscherbelt, der es gastronomisch nutzen wollte. Die Stadt schob diesem Ansinnen einen Riegel vor, indem sie es 1998 erwarb. Seither wird in Erfurt geforscht, gegraben und: ENTDECKT!
1998 wurde der jüdische Schatz von Erfurt in unmittelbarer Nachbarschaft der Synagoge gefunden. Er zählt zu den umfangreichsten und besterhaltenen Schätzen aus Gold, Silber und Edelsteinen des europäischen Mittelalters und ist seit Oktober 2009 in der Synagoge ausgestellt. 2007 entdeckte man die neben der Synagoge befindliche, etwa 750 Jahre alte Mikwe, das rituelle Tauchbad. Dieser und dem Umgang von Seiten der Stadt wollen wir uns widmen. Denn in Bamberg bleibt die grundsätzliche Frage nach einem angemessenen Umgang mit der Mikwe und den vermuteten Resten der Synagoge innerhalb des „Quartiers an der Stadtmauer“ bislang unbeantwortet.
In enger Abstimmung mit dem Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie wurden in Erfurt die Reste der Mikwe freigelegt und sorgsam dokumentiert. Die Zeichnung des Architekturbüros gildehaus.reich zeigt die Einbindung des verformungsgerechten Aufmaßes der Bauforscher kombiniert mit der modernen Präsentation für die Öffentlichkeit. Von einer die historischen Befunde schonenden Plattform aus kann der Besucher das ins Erdreich gegrabene Tauchbad erschließen.
Die ergrabene Mikwe wurde gesichert, der Treppenabgang kann besichtigt, aber nicht begangen werden. Das Alter und die Geschichte ihrer Nutzung werden deutlich, bewusst wurde keinerlei Rekonstruktionsversuch unternommen. Das ruinöse Erscheinungsbild macht klar, dass zwischenzeitlich das Bad verfüllt gewesen war. Auch hier hat es die jüdische Bevölkerung nicht durchgehend nutzen können.
Buchstäblich in letzter Minute wurden damals die Bagger gestoppt, die das Gelände neu gestalten sollten, so die Thüringische Allgemeine. Die Entdeckung habe sich als Glücksfall für Stadt und Forschung erwiesen, so die Archäologin Sczech: Mit dem rituellen Bad verfügt Erfurt über ein einmaliges Ensemble von Zeugnissen jüdischer Kultur. Erst im November 2011 erhielt dieses Ensemble aus Synagoge, Mikwe und jüdischem Schatz vom Verband British Guild of Travel Writers die Auszeichnung für das beste europäische Tourismusprojekt.
Von Beginn an wollte man das Ensemble einerseits in einem musealen Kontext zeigen, andererseits aber der ursprünglichen Funktion der Mikwe als ritueller Raum Rechnung tragen. Die Idee ist, die Atmosphäre des Ortes in gewisser Weise wiederherzustellen, sagt Architekt Felix Flechtner (hier Interview nachzuhören). Enge, Dunkelheit und vor allem Intimität waren wichtig. Im September 2011 konnte der vom Weimarer Architekturbüro gildehaus.reich geplante und errichtete Schutzbau über der Mikwe eröffnet werden, der die Intimität des Kultraumes berücksichtigt. Modernes Bauen in alter Stadt? – Offensichtlich hat ein Architekturbüro hier einen würdigen und innovativen Umgang schaffen können. Nicht das Spektakuläre stand hierbei im Vordergrund, sondern die behutsame Auseinandersetzung mit dem Kontext. In Erfurt hat man mittels moderner Formen und Materialien den historischen Hinterlassenschaften einen innovativen und zugleich würdigen Rahmen ermöglicht.
In Bamberg sind die archivalischen Nachweise des zweiten jüdischen Stadtviertels im Bereich Hellerstraße seit Jahrzehnten publiziert. Archäologische Untersuchungen haben 2003 das rituelle Tauchbad aus dem Mittelalter entdeckt. In seinem 2010 veröffentlichen Buch „Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern“ fasst Hans-Peter Süss die Befunde zusammen: Als Zeitraum der Erbauung der Mikwe ergibt sich frühestens das Ende des 14. Jahrhunderts, da nicht nur eine ältere, dem 12./13. Jahrhundert zuzuordnende Besiedlungsschicht, sondern auch die Sedimentschichten der datierbaren Hochwasserkatastrophen der Mitte des 14. Jahrhunderts gestört sind. Dies entspricht völlig den schriftlichen Überlieferungen. Die historisch bekundete Mikwe kann damit zweifelsfrei nachgewiesen und als ein wichtiges Zeugnis der einst bedeutenden jüdischen Gemeinde im spätmittelalterlichen Bamberg angesehen werden.
Generell können wissenschaftliche Ergebnisse erst nach vollständiger Erforschung schlüssige und zusammenhängende Nachweise ergeben. Derzeit scheint das Bestreben, in Bamberg ein Shoppingcenter im Quartier an der Stadtmauer zu errichten, die Forschung zu behindern. Bereits zum Bau der Theatergassen wurde in unmittelbarer Nähe des nun projektierten Geländes bedauerlicherweise und unwiederbringlich die Synagoge abgerissen, kaum dokumentiert. Von einem nachvollziehbaren Gesamtkonzept der Einbeziehung der jüdischen Kultur ins Weltkulturerbe ist man derzeit meilenweit entfernt. Kann tatsächlich ein würdiger Kultraum inmitten eines Shoppingcenters entstehen? Allein die Vorstellung, innerhalb eines Kommerztempels Relikte des jüdischen Glaubens als Marketing-Gag vorzuführen, ist absurd. DAS kann doch nicht ernsthaft erwogen werden.
Dabei hat das Forschungsprojekt zur Jüdisch-fränkischen Heimatkunde der Universität Bamberg respektable Ergebnisse erbracht, allein die Friedhöfe in Zeckendorf und Walsdorf zeugen von einer gewissenhaften Aufarbeitung jüdischen Lebens in Franken. Im Hain sind allenthalben die Villen und Industriebauten der jüdischen Hopfenhändler zu bestaunen, auch die „Villa Dessauer“ gehört dazu. Gut erarbeitete Literatur zu Bamberger Juden und deren Leben und wirtschaftliche Errungenschaften und deren Niedergang sind greifbar. Die im Bamberger Pflaster eingelassenen „Stolpersteine“ geben Zeugnis von intensiver Forschung und einer zeitgenössischen Würdigung.
Die Relikte im Quartier zwischen Lange Straße/Hellerstraße/Franz-Ludwig-Straße wären prädestiniert, um diese Zusammenhänge zu verknüpfen und in einem hochwertig gestalteten Umfeld einzubinden. Doch solange die Sparkasse Bamberg und der Verwaltungsrat am Investor MD festhält, um ein Shopping-Center zu errichten, werden solche Diskussionen nicht geführt. Dabei würde die geschichtsinteressierte Bamberger Öffentlichkeit solche Überlegungen nur allzu gerne anstellen. Allein das überaus große Interesse an der Vortragsreihe „Modernes Bauen in der alten Stadt?“ hat dies belegt.
Hedva Almog, die Bürgermeisterin von Haifa/Israel, hielt 2009 anlässlich der Eröffnung der Alten Synagoge in Erfurt die Eröffnungsrede. Man denke immer an den Holocaust und die Leiden der Diaspora, wenn man jüdische Stätten in Deutschland besuche. Ihre Rede gipfelte in dem für Menschen jedes Glaubens und jeder Herkunft gültigen hebräischen Leitspruch Leolam Lo Od (Nie wieder). Mit der neuen Sehenswürdigkeit gebe man den einstigen jüdischen Bürgern der Stadt ihre Ehre zurück.
Mit „hier“ meinen Sie Bamberg und nicht exakt diesen Ort in der Langen Straße, Herr Reuß? Dieses Detail wäre mir neu.
Sehr geehrter kkundmüller,
zum obengenannten „Quartier“ gehört auch die Hellerstraße. Im Haus Hellerstraße 13 befand sich bis 1813 die Gärtner’sche Hofdruckerei, in der 1807 Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Phänomenologie des Geistes“ gedruckt wurde. Nachzulesen in: Breuer, Tilmann/ Gutbier, Reinhard: Die Kunstdenkmäler von Bayern. Bamberg – Innere Inselstadt. München 1990, S. 758.
Schließlich ist uns daran gelegen, unsere Leser mit neuen und schönen Details zu erfreuen.
Demnach hat Herr Reuß Recht!
Herzlichen Dank! Ich fange erst an mich in das Thema einzuarbeiten, deswegen sind echte Quellen sehr hilfreich.
Großartige Sache mir dieser „Zeitung“ hier. Weiter so! :)
Die weitere Einbeziehung und Erhalt der historischen Relikte – im Bereich der Bodendenkmäler und dem Rückgebaude in der Hellerstraße – in das Neubauvorhaben, fordere ich nach jetzigem Stand vehement . Aus meiner Sicht ist es dazu noch nicht zu spät, allerdings muss sich der Investor von seinen Maximalforderungen, was die Größe der Verkaufsfläche betrifft, verabschieden. Das ausgewählte Stuttgarter Architekturbüro ist in der Lage mit der „Erfurter Lösung“ ein Pendant in Bamberg zu schaffen.
Toller Artikel! Super! Unser Bamberger Viertel mit Stadtmauer und jüdischem Quartier ist meiner Meinung nach geeignet für ein Literaturhaus (hier wurde Hegels Phänomenologie des Geistes erstmals gedruckt), für ein jüdisches Museum, für Wohnungen und für kleine Geschäfte mit hochwertigem Angebot.