Peter von Liebenau
Wir wollten wissen, warum die Bamberger das Theater so mögen, ob das vielleicht sogar an einer unvermuteten Weltläufigkeit, einer angeborenen Urbanität liegen könnte.
Ein Reiseführer über Salzburg aus dem Münchner Prestel-Verlag schreibt, die Stadt an der Salzach habe mit Bamberg, Würzburg oder Passau gemeinsam, dass sie ein geistliches und zugleich weltliches Fürstentum gewesen sei, mit einer mittelalterlichen Burg über einer barocken Stadt, was eine „gewaltige Bühne“ abgebe für einen Stamm, dem das Schauspiel im Blut liege. Und dann wird noch Hugo von Hofmannsthal zitiert, der geschrieben habe: „Es ist nichts Zufall, alles Geographische Wahrheit, tiefer Zusammenhang zwischen scheinbar nur Geistigem und scheinbar nur Physischem.“
Insofern ist Bamberg in der Tat eine geographische „Bühne“, wenn man an das Panorama der sieben Hügel denkt, das sich einem von der Inselstadt aus bietet, in der zudem fast jedes Haus eine barocke „Fassaden-Kulisse“ erhalten hat. Aber: Liegt auch uns das Schauspiel im Blut? Mehr als einem anderen „Stamm“? Und: Welche „Wahrheit“ liegt im „Geographischen“? Nur zu gern mögen manche glauben, dass unser „Nabel der Welt“ seit jeher irgend ein geheimnisvoller Mittelpunkt von „geistig-physischen“ Zusammenhängen gewesen sei.
Unser Theater hat jedenfalls eine ansehnliche, ja global bedeutsame Tradition. 1802 soll es gegründet worden sein, heißt es in einem der vielen Bamberg-Bücher. Doch halt! Welches Theater wurde 1802 gegründet? Eine andere Aussage lautet: Bis Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Bamberg kein Theater. Also gab es eines um die Mitte der 18. Jahrhunderts, jedenfalls doch schon vor 1802.
Wir erfahren: Es existierten schon früh wandernde Schauspielgruppen, die ihre Buden vor der Stadt, zum Beispiel auf dem heutigen Schönleinsplatz oder auch auf einem Markt, aufschlugen. Einen richtigen, geschlossenen Raum hatten sie sogar zeitweise im Gasthaus „Raben“ in der Oberen Sandstraße 11, „dessen Gastwirt 1753 einen großen ‚Redoutensaal’ gebaut hatte“, wie Karin Dengler-Schreiber in ihrem hervorragenden Bamberger Theaterbuch schreibt.
1753 also. Und vorher? Im selben Theaterbuch finden wir die Abbildung eines „Heckentheaters“ im Park von Schloss Seehof, abgebildet auf einem Kupferstich aus dem Jahre 1731. Aha! Noch früher also. Und dieselben Fürstbischöfe, die laut Dengler-Schreiber nur ungern oder gar nicht Auftritte reisender Theatergruppen erlaubten, gestatteten sich selbst das Vergnügen eines „Heckentheaters“, das der meist adeligen Gesellschaft ein sommerliches Vergnügen bot, nach dem sich dann das eine oder andere Pärchen in das angeschlossene Heckenlabyrinth zurückziehen konnte, um dort … Genug der Spekulation! Dem Volk traute man, im Gegensatz zur Herrschaft, einen kritisch-genüsslichen Schauspielgenuss einfach nicht zu.
Und was war vor der Zeit des Heckentheaters? Herumziehende Schauspielgruppen gab es wohl seit dem Mittelalter, und was genau vorher war – wer weiß das? Von einem Stamm, dem das Schauspiel möglicherweise im Blut liegt?
Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts, schon um 1615, betrieben die Jesuiten eine Art „Lehrtheater“ für ein kirchliches Seminar und Kolleg, das sie damals übernommen hatten. Die Bühnen der Jesuitentheater waren üppig ausgestattet, um es den Protestanten mit ihrer reformatorischen Zurückhaltung einmal richtig zu zeigen, was die gegenreformatorische katholische Kirche so alles an Pracht zu bieten hat: farbige Kulissen, herabschwebende Engel, Blitz und Donner. Jünglingen aus Stadt und Land muss Bamberg mit solchen Darbietungen als Höhepunkt der Urbanität vorgekommen sein. Diese Art Theater, in lateinischer Sprache, lief in immer wieder erneuerten Gebäuden im Hof hinter dem ehemaligen Kollegiumsschulbau (im Folgenden Arbeitstitel „Aula“), an der heutigen Straße „An der Universität“, Hausnummer 7, bis zum Jahr 1773, als der Jesuitenorden verboten wurde (nach dem Bamberg-Inventar von Breuer/Gutbier, 1990). 1778 soll aber nahebei ein „allgemeines Comödienhaus“ errichtet worden sein.
Fürstbischof von Erthal verbot dann das Theater in seinem Einflussbereich, sodass 1791 eine Schauspielergruppe in Walsdorf auftreten musste. Im selben Jahr gründete aber ein fortschrittlicher und gebildeter Kreis von Bamberger Bürgern einen Club, der sich im Vorderen Bach, dem Haus des heutigen Barockhotels, traf. Vielleicht haben sie dort auch schon mal Theater gespielt? Oder nur über die neuesten Stücke diskutiert – aber nicht über diejenigen der reisenden Schauspielgruppen, die manchmal auch das Volksstück vom „Faust“ aufführten, und auch nicht über die barocken „Kulissen-Stücke“ des Jesuitentheaters mit ihrem „Deus ex machina“, sondern über die bekannt gewordenen Werke von Lessing, Iffland, Kotzebue, Goethe, Schiller, August Wilhelm Schlegel, Graf von Soden oder Lenz.
Die gebildeten Bürger, die da saßen, sich vorlasen, schauspielerten und diskutierten, waren sicher sehr fortschrittlich – aber gebildete Frauen einzubeziehen, dazu reichte es dann wohl doch nicht, oder? Wir wissen nichts davon. Es lebten damals aber gebildete Damen in unserer Gegend, die vielleicht noch bedeutender waren als die erwähnten gebildeten Herren. Da war zum Beispiel Charlotte von Kalb, eine geborene Freiin Marschalk von Ostheim, deren Familie das Trabelsdorfer sowie das Dankenfelder Schloss und von 1678 bis 1783 das adelige Stadtpalais in der Karolinenstraße 18 besaß. Das Stadtpalais ist eines der typischen Bamberger „Kulissentheater“: Auf das Mittelalter, zumindest das Jahr 1400, zurückgehend, wurde es in der Barockzeit unter Christoph Marschalk von Ostheim, also um 1720/30, umgebaut und vielfältig ausgestattet. Durch das „Treppenauge“ (Tilmann Breuer) schaut man in eine visionäre Kuppel, ursprünglich gemalt von Giovanni Francesco Marchini, im zweiten Obergeschoß zeigen Wandgemälde nach Marchini gleichsam ein Schauspiel zwischen antiken Säulen, mit Allegorien des Alters.
Charlotte von Kalb, mit ihrem Herrn von Kalb unglücklich verheiratet, lernte in Mannheim den jungen Schiller kennen und lieben. An Schillers Wende vom Sturm und Drang zur Klassik war sie nicht unbeteiligt. Zu den Theater-Diskussionen der gebildeten Club-Herren hätte sie einiges beitragen können, wenn sie zugegen gewesen wäre. Auch mit Hölderlin und Jean Paul war Charlotte später befreundet. Jean Paul gestaltete unter anderem eine Romanfigur nach ihr. Auf der 2013 aufgestellten Litfaßsäule am Schillerplatz, zum 250. Geburtstag von Jean Paul, wird Charlotte von Kalb leider mit keinem Wort erwähnt – auch nicht auf dem Plakat, das den Bamberg-Beziehungen des Dichters gewidmet ist.
Man müsste nachforschen, inwieweit sich die Lebenslinien Charlottes mit dem entstehenden Bamberger Theater in unserer Region überschneiden; denn die Freundin oder Bekannte der großen Dichter (auch Goethe und Wieland gehörten dazu) war anfangs viel unterwegs; einer ihrer Lieblingsplätze war der sogenannte „Friedleinsbrunnen“ an einer Lichtung mit Quelle zwischen Dankenfeld und Trabelsdorf, heute auch „Charlottenruh“ genannt. Sie nannte den Platz einen „Opferhain mit drei uralten Eichen, steinernen Tischen und Sitzen“ (Literarischer Führer Deutschland, Insel-Verlag). Auch Hölderlin war hier womöglich einmal zugegen – Urbanität, kulturgeschichtliche Bedeutung – hier überschlagen sich alle Bewertungen, man kann es gar nicht genug hervorheben.
In heranwachsenden Städten wie Berlin zum Beispiel waren es damals gerade Frauengestalten, die den Mittelpunkt herausragender literarisch-künstlerischer Salons bildeten, unter anderen Henriette Herz, Rahel Varnhagen von Ense, Bettina von Arnim und Caroline von Humboldt (sie hatte Salons auch in Paris, Rom und Wien). In Bamberg pflegte unter anderem das Haus der Familie Mark mit Tochter Julia eine Kultur, die auf ihre Weise – durch E.T.A. Hoffmann – in die Literaturgeschichte einging. Außerdem lebte bei uns Nanette Kauer, die für die Theatergeschichte ganz entscheidend werden sollte. Aber dazu später mehr.
Trotz der Achtung, welche diese grandiosen Anregerinnen in ihren Salons genossen, gestand man ihnen eigene Kreativität kaum zu. So wurde der genialen Komponistin Fanny Mendelssohn Bartholdy (verheiratete Hensel) vom Elternhaus aus verboten, mit ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit zu treten und diese drucken zu lassen, da dies für eine Dame der Gesellschaft als unschicklich galt. Ich jedoch finde einzelne Stücke, die von ihr bekannt wurden, fast genialer als diejenigen ihres Bruders Felix. Immerhin wurde die Bamberger Malerin Katharina Treu Hofmalerin von Kurfürst Karl Theodor und 1776 Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf – damals fast sensationell.
Das Schreiben konnte man den Frauen der Romantik schlecht verbieten. Im Jahre 1800, genau zur Entstehungszeit des Theaters, kam die Schriftstellerin Caroline Schlegel unter anderen mit Tochter Auguste – und wohl mit Friedrich Wilhelm Schelling – nach Bamberg. Auguste war dann im Juni in Theaterproben des „Bamberger Liebhabertheaters“ „verwickelt“ (Johannes Birgfeld, Fußnoten zur Literatur, Bamberg 2000). Das ist schon sensationell, dass neben E.T.A. Hoffmann auch der Kreis der Jenaer Romantikerinnen mit dem Bamberger Theater zumindest indirekt etwas zu tun hatte.
Ansonsten blieb die gebildete Bamberger Herren-Riege des „Club“ wahrscheinlich erst einmal unter sich, aber ihre Mitgliederzahl stieg an, sodass man sich ab 1796 in „Gesellschaft der Honoratioren“ umbenannte und im größeren „Fexer’schen Anwesen im Zinkenwörth“, heute Schillerplatz, regelmäßig zusammenkam, gegen Mietzahlungen. Vielleicht spielte man dort ab 1796 schon einmal die eine oder andere Theaterszene.
Ein richtiger, fester Spielort war das freilich nicht. Als solcher sollte der Kollegiumsschulbau fungieren (heute „An der Universität“ 7, Arbeitstitel „Aula“), wo 1797 eine erste interne Aufführung stattfand. Das erste öffentliche Schauspiel gab es hier am 1. Januar 1800. Doch bald kamen die Franzosen ins Land und machten das regelmäßige Theaterspiel unmöglich, außerdem störten die Aufführungen den Unterricht. In dieser Zeit trat der eifrige Dr. Daniel Gottlieb Quandt auf, der sich ständig um das Theater in Bamberg bemühte. Er begann im Saal des Gasthofs „Zum schwarzen Adler“ in der Unteren Königsstraße 2 zu spielen (Dengler-Schreiber), wohl im Jahr 1801. Da dieser Saal sehr unbequem war, ging Quandt in die „Aula“ zurück und konnte am 2. Mai 1802 – wenige Monate vor der Besetzung Bambergs durch die bayerischen Truppen – dort eröffnen.
Aber auch die „Aula“ war nicht recht geeignet, sodass Quandt und die gebildeten Honoratioren den Reichsgraf von Soden drängten, sich für das erwähnte Haus am Schillerplatz zu engagieren. Nach einigem Zögern kaufte der adelige Herr, der das Theaterspiel liebte, das Haus am 8. April 1802, sodass wir endlich zum eigentlichen Eröffnungstermin eines festen Bamberger Theaters kommen: Am 3. (Dengler-Schreiber) und 4. (Breuer/Gutbier) Oktober 1802 wurde im umgebauten Haus am Schillerplatz eben dieses neue, feste Bamberger Theater eröffnet.
Doch es schien immer noch zu klein. Graf von Soden verkaufte die Gebäude alsbald an die erwähnte Pächterin unter anderem der „Theatergaststätten“ Nanette Kauer, die es unter Mitwirkung des Architekten Ferdinand von Hohenhausen nochmals umbauen ließ. Am 12. Oktober 1808 wurde nun das neue Doppelgebäude – Ballsaal und Theater – mit einem Ball eröffnet, am 16. Oktober folgte die Aufführung der Allegorie „Das Gelübde“, komponiert von E.T.A. Hoffmann, der gerade neu engagiert und am 1. September seine Stelle in Bamberg angenommen hatte.
Eine neue Zeitrechnung begann, nicht nur für Bamberg, sondern für die Kulturgeschichte der Menschheit. Gerade wegen Hoffmanns unglaublicher Bedeutung – aber auch Dr. Marcus ist wichtig – gewinnt die Plauderei über das Bamberger Theater urbane, ja sogar globale Bedeutung. Wir werden sie bei einem der nächsten Male fortsetzen müssen; denn es folgen noch spannende Zusammenhänge!
So. Bis hierher ist die Vor- und Frühgeschichte des Bamberger Theaters wohl skizziert. Hoffentlich habe ich nicht einzelne Angaben falsch wiedergegeben oder verwechselt. Um einen Überblick zu geben, seien die wichtigsten Daten, Orte und Personen – hoffentlich korrekt, wie gesagt – bis zum Eintreffen Hoffmanns aufgelistet: